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Moine 01

Le moine

Etwas staunt man schon, wenn man liest, dass Dominik Moll als Regisseur und Co-Autor von Le moine angekündigt ist. Moll, Autor von Filmen wie Harry, un ami qui vous veut du bien und Lemming, zwei ganz im Alltäglichen der Gegenwart verortete Psycho-Thriller à la manière de Patricia Highsmith, verfilmt einen der Klassiker der Gothic Novels, der englischen Schauerliteratur des achtzehnten Jahrhunderts: «The Monk» von Matthew Gregory Lewis von 1796?

Text: Josef Stutzer / 02. März 2012

Etwas staunt man schon, wenn man liest, dass Dominik Moll als Regisseur und Co-Autor von Le moine angekündigt ist. Moll, Autor von Filmen wie Harry, un ami qui vous veut du bien (2000) und Lemming (2005), zwei ganz im Alltäglichen der Gegenwart verortete Psycho-Thriller à la manière de Patricia Highsmith, verfilmt einen der Klassiker der Gothic Novels, der englischen Schauerliteratur des achtzehnten Jahrhunderts: «The Monk» von Matthew Gregory Lewis von 1796?

«The Monk» – von Lewis als Neunzehnjähriger in einem Zug runtergeschrieben – ist nicht der erste Schauerroman der Gothic Romance, doch wohl der reichste an Motiven und der folgenreichste. (Der Bruder Medardus in «Die Elixiere des Teufels» von E. T. A. Hoffmann etwa ist ein Wiedergänger des bösen Mönchs Ambrosio, der Roman war eines der Lieblingsbücher der Surrealisten, Antonin Artaud versuchte sich an einem Drehbuch für eine Stummfilmfassung …) Das genialisch-pubertäre Werk versammelt in seiner Lust zu schockieren viele Themen der Schwarzen Romantik: finstere Mönche und bigotte Nonnen, schwärzester Katholizismus, Sadismus, dekadente Verführer und verfolgte Unschuld, Wunderglauben, Spiritismus und übernatürliche Erscheinungen, Dekadenz, Hexenwahn, Inquisition und orgiastische Messen, Verführung und Inzest, finstere Gruften und tiefe Verliesse, Marienschwärmerei und Adoration des Bösen. Doch: «Mehr als die anderen Autoren der literarischen Gotik zeigt er die Abgründe des Bösen und erkennt sie als soziale Wunde.» (Klaus Völker)

Dominik Moll hat den überbordenden und streckenweise gar eintönig zu lesenden Roman auf seinen Hauptstrang reduziert. Der Mönch Ambrosio, als Findelkind auf der Schwelle des Klosters niedergelegt, ist ein machtvoller Prediger. Er gilt als keuscher Heiliger. In seiner Zelle schwärmt er im frommem Überschwang ein Marienbild an. Ein Traum verfolgt ihn: Vor dem Kloster will er sich einer in einen roten Umhang gehüllten Frau nähern, doch nie kann er in ihr Antlitz schauen. Ambrosio macht sich stark dafür, dass ein neuer Zögling als Novize ins Kloster aufgenommen wird: Valerio ist angeblich Opfer eines Brandes und trägt deshalb beständig eine Maske. Der Novize zeigt sich anhänglich, Ambrosio wendet sich ihm väterlich zu, doch in einer Nacht im Klostergarten nimmt Valerio auf Drängen Ambrosios die Maske ab, entpuppt sich als junge Frau und enthüllt ihm, dass sie ihm das nach ihr gemalte Madonnenbild hat zukommen lassen. Ambrosio will sie aus dem Kloster verbannen, sie bittet um einen Rosenzweig aus seiner Hand, er gewährt ihr dies und wird von einem Insekt gebissen und todkrank in die Zelle gebracht. Valerio opfert sich für ihn, beisst die Wunde aus, erkrankt und verschwindet eines Nachts in einem offenen Grab. Gesundet, steht Ambrosio vor dem Kloster und sieht die Frau aus seinem Traum, er nähert sich ihr, sie kehrt sich um; es ist Antonia, die vor kurzem mit ihrer Mutter nach Madrid gekommen ist und ihn bittet, in ihr Haus zu kommen, um der Mutter geistigen Trost zu spenden. Die Geschichte eskaliert und mündet in erzwungenen Beischlaf und Mord, die sich als Inzest und Muttermord erweisen. Ambrosio wird in flagranti ertappt, und vor die Inquisition gestellt.

Moine 05

Was hier so dürr zusammengefasst ist, ist für Dominik Moll und seinen Kameramann Patrick Blossier Anreiz für ein faszinierendes visuelles Spiel. Schroff werden einander das Dunkle des Inneren von Kloster und Kirche, von Zelle und Verliess, von Nacht und geistiger Finsternis und das Überhelle eines Aussen, der dürren spanischen Landschaft oder der sonnverbrannten Stadt gegenübergesetzt. Es beginnt gleich mit dem Vorspann. In der Schwärze eines Beichtstuhls sieht man nur das dunkle Gesicht von Ambrosius in Grossaufnahme aufleuchten und hinter einem vergitterten Fenster die Umrisse eines Beichtenden. Schnitt, und in überbelichteter Helle Aufnahmen von furchterregenden Wasserspeiern und grotesken in Stein gehauenen Monstern. Das Dunkle in vielen Schattierungen, vom dunklen Grau über intensivstes blauviolett bis zur absoluten Schwärze, dominiert den Film, immer wieder fast schockartig akzentuiert durch eine gleissende Helle, ein intensives Gelb, das der dürren, menschenleeren Landschaft, in der sich allenfalls eine Gruppe Nonnen in Schwarz bewegen, oder dem einsam über einer Ebene thronenden Kloster eine unheimliche Intensität verleiht. Bildfindungen, Kadrierungen, Durchsichten und Farbakzente sind sichtlich inspiriert von den Klassikern des spanischen Sieglo de oro oder stammen direkt aus einem Mönchsbild von Zurbarán. Zum visuellen Spiel gehört auch der Einsatz von fast altmodisch wirkenden Stilmitteln wie Lochblenden, wie – besonders fulminant in der zentralen Verführungsszene durch Valerio – Überblendungen, Doppelbelichtungen und Radiographien. Die Gerichtsszenen am Ende sind gar wie in Stummfilmen eingefärbt in sattes Rot und Blau. In Antwort zur Schwärze des Filmbeginns ist sein Ende in die blendende Helle einer dürren Wüstenlandschaft getaucht – in kongenialer Umsetzung des fulminanten Ende des Romans.

Was Moll hier mit «The Monk» gemacht hat, ist in der visuellen Ausgestaltung höchst faszinierend anzusehen, doch bleibt es ein wenig «exercise de style». Es fehlt dem Film der Ruch nach Schwefel, nach dem Bösen. Wundern tät’s mich schon, wie Ado Kyrou – bekannt als Autor etwa von «Le surréalisme au cinéma» – mit dem Stoff umgegangen ist, den er ebenfalls unter dem Titel Le moine nach einem Drehbuch von Luis Buñuel und Jean-Claude Carrière mit Franco Nero und Nathalie Delon 1972 verfilmt hat.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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