Der Interviewer hakt selten nach, spart sich bohrende Fragen. Er weiss, wem er gegenüber sitzt. Geniesserisch düpiert sein Gesprächspartner alle Versuche, ihn aus der Reserve zu locken. Einem erfahrenen Schauspieler gleich kennt er seine Rolle genau. Er stellt sich in einer Mischung aus Prahlerei und Dementi dar, ohne sich je wirklich zu erkennen zu geben. Ein Filmemacher, der Antworten erhalten will, muss raffiniert, vielleicht sogar verschlagen sein.
Schillernder Selbstdarsteller
Der Strafverteidiger Jacques Vergès ist unfasslich. Seine Karriere vereint in sich mehr Widersprüche, als die französische Politik der Nachkriegszeit aushalten kann. Sein Berufsethos ist von staunenswert elastischer Integrität. In jungen Jahren hat er die algerische Freiheitskämpferin Djamila Bouherid vertreten (die er nach ihrer Begnadigung heiratete), später den Terroristen Carlos und Slobodan Milosevic. Mit jugendlich glühender Begeisterung ist er einst der französischen Armee im Kampf gegen die deutschen Besatzer beigetreten, später sollte sein berühmtester und berüchtigtster Mandant Klaus Barbie werden, der «Schlächter von Lyon». Patrice Lumumba war eines seiner Idole, was ihn nicht davon abhielt, mit dessen möglichem Mörder Geschäftsbeziehungen zu unterhalten. Zeitlebens hat er die Meinungen polarisiert. Solch eine Figur müsste einen Regisseur eigentlich nötigen, unmissverständlich Position zu beziehen.
Ein vorhersehbarer Vorwurf gegen Barbet Schroeders dokumentarisches Porträt ist, er habe Vergès zu viel Freiraum zur Selbstdarstellung gelassen. Dessen Schillern lässt er unangetastet. Der Anwalt hatte nicht ganz unrecht, als er den Regisseur nach der Premiere wissen liess: «Ce film est très bon, et d’ailleurs c’est à cause de moi.» Schroeder gesteht seinem Gegenstand eine beträchtliche, prekäre Souveränität zu. Vergès bestimmt das Bild, das der Film von ihm zeichnet, massgeblich mit. Er buhlt nicht um die Sympathie der Zuschauer. Seine Arroganz ist immer auch Taktik, Prozesse hat er als Konfrontation geführt, hat die rupture défensive erfunden und als Methode perfektioniert, die einen Dialog zwischen den Parteien unmöglich macht. Seine Strategie zielt – vor Gericht ebenso wie vor der Kamera – nicht auf Klärung, sondern auf das Verdunkeln, Verbergen, steckt voller geschickter Ablenkungsmanöver, die mitunter indes eine andere, bezwingende Perspektive auf Sachverhalte eröffnen.
Schroeder durchkreuzt diese Strategie, indem er wie ein gewissenhafter Untersuchungsrichter vorgeht, der akribisch Dokumente, Hintergründe und Zusammenhänge recherchiert und eine imposante Menge von Zeugenaussagen präsentiert. Der Regisseur hat sich bewusst der Möglichkeit begeben, Vergès’ Äusserungen durch einen Erzählkommentar zu konterkarieren; was eine gewisse Objektivität suggeriert. Deren Wertung trägt er in Montage von Dokumentaraufnahmen und Gegenstimmen nach, die den Anwalt oft genug der Lüge überführen.
Ungeläufiges Zeitpanorama
Gleich zu Beginn bürdet Schroeder seinem Protagonisten eine schwere Hypothek auf: Während Vergès die Verheerungen des Regimes der Roten Khmer herunterspielt, schneidet er Einstellungen dazwischen von einem ganzen Feld von Gebeinen sowie von Schildern, die mitten im alltäglichen Lebensraum der Kambodschaner vor Landminen warnen. Aber Schroeder treibt weder simples Spiel mit Entlarvung und Ironie, noch droht er je rückhaltlos dem Charisma seiner Figur zu erliegen. Als Dokumentarist ist er ein listiger Treuhänder dieser einzigartigen Biographie: Nie verliert er ihren Kontext aus den Augen. Er öffnet den Blick für ihre Hintergründe, was sich als Kompositionsprinzip luzide in die Kadrage überträgt: Oft blendet Schroeder neben den Talking-Heads-Aufnahmen der Hintermänner ein.
Natürlich stellt Schroeder Spekulationen an über das grosse Rätsel in Vergès’ Biographie – sein acht Jahre andauerndes, unerklärtes Verschwinden in den siebziger Jahren –, er nutzt es aber vor allem als Parenthese, um die Entwicklung des internationalen Terrorismus nachzuzeichnen. Es ist ein ungeläufiges Zeitpanorama, das er hier entfaltet, vom algerischen Freiheitskampf über die Flugzeugentführungen der Palästinenser und die Aktionen der Carlos-Gruppe bis zu den Anfängen des islamistisch motivierten Terrors nach der Revolution im Iran. So erstaunliche wie schockierende Kontinuitäten werden sichtbar. Der schweizerische Nazi François Genoud etwa war schon in Vergès’ Aktivitäten verstrickt, lange bevor er dessen Honorar für die Verteidigung von Klaus Barbie bezahlte.
Philippe Azoury schrieb in «Libération» über Vergès, er sei die «faszinierendste fiktive Figur, die uns die Realität beschert hat.» Der Film greift dieses Schillern zwischen den Wirklichkeitsebenen auf. L’avocat de la terreur ist spannend wie ein Spionagefilm – die Musik Jorge Arriagadas ist so argwöhnisch und hellsichtig, als würde sie einen Thriller untermalen –, ist aber vor allem ein filmisches Glanzstück des investigativen Journalismus (auch wenn die meisten Fakten und Zusammenhänge Historikern gewiss längst bekannt sein werden), dessen Erzählrhythmus gelassen sein kann, da er eine übergreifende historische und biographische Perspektive wagt. Schroeder gewährt Innenansichten des internationalen Terrors, interessiert sich nachdrücklich für die menschlichen Leidenschaften, die diese Maschinerie vorantreiben. Von Djamila Bouherid bis Magdalena Kopp, der Gefährtin von Carlos, war Vergès fasziniert von kämpferischen, risikofreudigen Frauen.
Antikolonialistischer Furor
Schroeders Film löst die Widersprüche der Figur nicht auf, offenbart jedoch eine gewisse Logik, die ihrer Karriere innewohnt. Die Wahl seiner Mandate, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen, verdankt sich einerseits einer beachtlichen Eitelkeit, die die eigene Ehre an der Anzahl der Gegner bemisst. Auch in dieser Hinsicht stellt die Verteidigung Barbies einen Gipfel seiner Laufbahn dar: Beim Prozess sah er sich neunundreissig Anwälten auf der Anklagebank gegenüber.
Falls Vergès je eine Sinnkrise durchlebt haben sollte, sein Selbstverständnis je erschüttert wurde oder sein Gewissen unruhig – anmerken lässt er es sich nicht. Überdies ist er seinen Feindbildern stets treu geblieben. Ein tiefempfundener antikolonialistischer Furor zieht sich durch die Karriere des als Sohn eines französischen Diplomaten und einer Vietnamesin geborenen Anwalts. In Vergès’ Augen begann die französische Nachkriegsgeschichte nicht mit den Siegesfeiern des 8. Mai 1945, sondern mit dem Massaker von Sétif, durch das die Kolonialmacht am gleichen Tag ihren Anspruch auf Algerien blutig bekräftigte. Vergès ist stolz darauf, die Verfehlungen der französischen Kolonialpolitik – der Verweis auf die Folter in Algerien war seine zentrale Verteidigungsstrategie im Fall Barbie – vor französischen Gerichten bekämpfen zu können. Es steckt nicht bloss Selbstgefälligkeit darin, wenn er sich rühmt, die Grande Nation, die Montaigne, Diderot und die Revolution hervorgebracht hat, nur an ihren eigenen Idealen und Werten zu messen.