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Juno

Wie aus dem Nichts tauchte Juno im letzten September beim Filmfestival in Telluride auf und trat durch Mund-zu-Mund-Propaganda seinen Siegeszug in Nordamerika an. Einige US-Filmkritiker nahmen Juno sogar in ihre Top Ten 2007 auf.

Text: Michael Ranze / 05. März 2008

Ein einziges Mal nur, doch mehr braucht es manchmal nicht. Dabei hatten sich die sechzehnjährige Juno und ihr Freund Bleeker nur einen schönen Fernsehnachmittag machen und noch einmal Blair Witch Project anschauen wollen, den sie seit dem Kinostart nicht mehr gesehen hatten. Stattdessen schlafen sie miteinander – mit ungewollten Folgen: Juno erwartet ein Baby. Sie absolviert gleich drei Schwangerschaftstests. Doch am Resultat ist nicht zu rütteln. Bleeker trägt’s mit Fassung. Und sogar Junos Vater und Stiefmutter zeigen Verständnis: Kann ja mal vorkommen. Trotzdem denkt Juno an eine Abtreibung. Doch irgendwie gefallen ihr die Schwingungen im Wartezimmer der Klinik nicht. Unverrichteter Dinge zieht das junge Mädchen von dannen. Und dann steht Junos Entschluss fest: Sie will das Baby austragen und zur Adoption freigeben.

So beginnt eine der besten Komödien, die im letzten Jahr in den USA starteten: witzig, intelligent, anrührend, schnell, anspruchsvoll. Little Miss Sunshine (2006) kommt einem gleich in den Sinn: Beides sind Independent-Filme, die (fast) ohne Stars und Special Effects auskommen und den Zuschauer mit originellem Humor überraschen. Wie aus dem Nichts tauchte Juno im letzten September beim Filmfestival in Telluride auf und trat durch Mund-zu-Mund-Propaganda seinen Siegeszug in Nordamerika an. Einige US-Filmkritiker nahmen Juno sogar in ihre Top Ten 2007 auf. Viel Lob für eine Komödie, die – wenn man sie denn in eine Schublade stecken wollte – als Coming-of-Age-Geschichte oder, nicht ganz so elegant, als Teenager-Romanze durchginge.

So einfach ist es natürlich nicht. Nach flottem, quirligem Beginn begibt sich Juno in ernsteres Gewässer und führt neue Charaktere ein. Auf der Suche nach einer Lösung schaut die werdende Mutter ins wöchentliche Anzeigenblatt unter der Rubrik «Desperately Seeking Spawn» – gleich neben den «Exotic Birds». Und schon sind die neuen Eltern gefunden: Mark und Vanessa. Er: ein erfolgreicher Komponist von Werbe-Jingles, der nicht erwachsen werden will und noch immer davon träumt, Rock-Star zu werden. Sie: eine attraktive, etwas unsichere und ängstliche junge Frau, die sich verzweifelt ein Baby wünscht und diesem Ziel alles unterordnet. Man ahnt, dass das nicht gut gehen kann.

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In der Folge begleitet Regisseur Jason Reitman (Thank You for Smoking) die neun Monate der Schwangerschaft Junos, von Herbst bis Sommer, und ihren Kontakt zu den Adoptiveltern, Mark vor allem. Dabei profitiert Reitman von dem geschickt und feinfühlig aufgebauten Drehbuch von Diablo Cody – für das sie mit einem Oscar ausgezeichnet wurde –, das hinter den witzigen One-linern, den geschliffenen Dialogen und absurden Situationen immer auch die Verletzlichkeit und Sensibilität der Figuren spürbar macht. Je mehr Juno ihre Mitmenschen mit frecher Lakonie und ironischem Humor voller kultureller und politischer Anspielungen auf Distanz hält, desto mehr erfahren wir über ihren Charakter. Die darstellerische Leistung von Ellen Page (Hard Candy) ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ihre blitzschnelle Schlagfertigkeit, ihr ruppiges Selbstbewusstsein und ihre unbekümmerte Abgeklärtheit, verbunden mit der Fähigkeit, nie zu weit zu gehen, zeugen von perfektem Timing und grosser Präsenz. Gerade mal einundzwanzig Jahre alt, erweist sich Ellen Page hier als vollendete Komikerin.

Cody, die früher als Stripperin und Telefonsexarbeiterin ihr Geld verdiente, bevor sie mit dem Drehbuch für Juno als Autorin debütierte, unterläuft immer auch die Erwartungen des Zuschauers. Wann hat man zuletzt solch verständnisvolle Eltern gesehen, die mit soviel Gleichmut auf die ungewollte Schwangerschaft ihrer minderjährigen Tochter reagieren? «Wir hatten schon Angst, du wärst von der Schule geflogen», bemerken sie lakonisch, als sie endlich den Grund für die abendliche Aussprache erfahren. Nicht einmal dem angehenden Vater wollen sie einen Vorwurf machen: «Natürlich war es nicht seine Idee!» Liebenswerte Figuren, von Cody einfallsreich und originell gegen den Strich gebürstet. Zum Prinzip ihres Humors gehört die Überraschung, das Unerwartete. Nie sollte man sich sicher sein, was als nächstes passieren wird.

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Sorgsam aufgebaut ist auch die moralische Ambivalenz von Mark und Vanessa. Erst erscheinen sie als ideales Paar. Doch mit der Zeit schält sich heraus, dass Mark von dem Kinderwunsch seiner Frau überfordert ist. Unmerklich lässt er eine gewisse Reserviertheit spüren und vermeidet es, sich mit Vanessa auszusprechen. Die hingegen hat ihren Mann mit all seinen Jugendsachen, Les-Paul-Gitarre inbegriffen, in ein eigenes Zimmer abgeschoben, damit sie das Gesamtbild des kalt, aber perfekt eingerichteten Wohnzimmers nicht stören. Ob ein Kind für sie beide das Richtige ist – darüber hat sie nie nachgedacht. Es sind solche schleichenden, genau beobachteten Veränderungen, die die Glaubwürdigkeit und Lebendigkeit der Figuren ausmachen.

Einer der schönsten Running Gags fällt dem schüchternen, stets ein wenig tollpatschigen Bleeker zu. Mit Stirnband und unvorteilhaft sitzendem Sport-Outfit hechelt er immer mal wieder einer Crosslauf-Mannschaft hinterher. Bis er am Schluss einfach abbiegt, dem Kreisssaal entgegen. Er weiss, dass Juno die richtige Entscheidung getroffen hat.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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