Am 17. Juli 2014 startet das Passagierflugzeug MH-17 der Malaysia Airlines in Amsterdam und macht sich auf den Weg nach Kuala Lumpur. An Bord sind 298 Menschen. Die Maschine überquert Deutschland und Polen und fliegt über den östlichen Teil der Ukraine. Mehrere Gewitter sind auf der geplanten Route angekündigt, woraufhin der Kurs leicht angepasst wird. Um 13:10 befindet sich das Flugzeug im Luftraum der selbst proklamierten «Volksrepublik Donezk». Um 13:20 bricht abrupt jeglicher Kontakt mit der Maschine ab. Das Flugzeug wurde, wie sich in den folgenden Tagen zeigen wird, von einer russischen Luftwaffenabwehr-Rakete des Typs BUK abgeschossen. Was von der Maschine übrigbleibt, stürzt in einem Feld nahe der Stadt Tores ab. Alle Menschen an Bord des Flugzeuges werden dabei getötet.
Der Film Iron Butterflies des ukrainischen Regisseurs Roman Liubyi zeigt, wie im Jahr 2014 298 Menschen Opfer eines Kriegs wurden, der offiziell erst 2022, mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, begonnen hat. Mittels Archivmaterialien, Beiträgen aus News-Sendungen, Social-Media Clips, Übertragungen aus Gerichtsverhandlungen und einzelnen animierten und inszenierten Elementen werden die Ereignisse rund um den 17. Juli 2014 rekonstruiert.
Junge Kritik
Diese Filmkritik entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am Dokumentarfilmfestival Visions du Réel 2024 in Nyon. Filmbulletin publiziert ausgewählte Kritiken des Workshop mit Studierenden.
Während des gesamten Filmes werden immer wieder schwarz-weisse Aufnahmen eingestreut. So werden etwa Frauen, Männer und Kinder gezeigt, die mit Reisekoffern und Nackenkissen inmitten eines kargen Feldes starr in einer perfekten Reihe stehen. Oder russische Soldat:innen, deren Gesichter verpixelt sind und die in einer leeren Scheune ihre Körper mit einer dunklen Masse einschmieren, bevor sie nach draussen hasten und in kraftvollen Bewegungen zu tanzen beginnen.
Die Symbolsprache und die schwarz-weisse Farbgebung geben ihnen den Charakter eines Nachrufs – eine Rückblende mit Blick auf einen bevorstehenden Tod. Liubyi ging es dabei, wie er sagt, darum, das auszudrücken, wofür ihm die Worte fehlten. Iron Butterflies ist somit kein Dokumentarfilm im klassischen Sinn – vielmehr ist es eine essayistische, persönliche Auseinandersetzung mit einem Gewaltverbrechen, dessen Täter bis heute weitgehend unbestraft sind.
Mit Blick auf eine Zeit, in der Fake News noch kein geflügelter Begriff war, zeigt Iron Butterflies, wie russische Falschmeldungen gezielt Verwirrung und Unsicherheit darüber stifteten, was am 17. Juli effektiv passiert ist. Durch clevere Filmschnitte, in denen die Gerichtsverhandlungen den polemischen und propagandistischen russischen News-Talks gegenübergesetzt werden, wird verdeutlicht, wie absurd die Ereignisse, Konsequenzen und die Aufarbeitung des 17. Julis sind und wie die persönlichen Schicksale der 298 Opfer zu einem internationalen politischen Anliegen wurden.
Der 17. Juli 2014 jährte sich unlängst zum zehnten Mal. Juristische Konsequenzen hatte die Katastrophe erst sechs Jahre später, 2020. Im selben Jahr lähmte die Covid-19-Pandemie den Globus. Liubyis Filmprojekt wurden die Gelder gestrichen und der fast fertige Film blieb vorerst unveröffentlicht liegen. Im Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Erst heute sehen wir, wie Iron Butterflies mit genügend finanziellen Mitteln und ohne globale Pandemie bereits 2020 ein Warnzeichen hätte sein können.