FB Frau Schilling, spielen Sie auch ein Instrument?
RS Als Kind habe ich ein bisschen Unterricht bekommen. Aber das war natürlich nur laienhaft. Und nach ungefähr einem Jahr war das dann auch wieder vorbei mit den Klavierstunden. Meine Eltern fanden, dass ich nicht genug übte. Danach habe ich versucht, mir Dinge selbst beizubringen.
FB So hat die Musik nie aufgehört, Sie zu begeistern.
RS Auch später blieb ich mit Klaviermusik sehr verbunden. In meinen Zwanzigern habe ich alle Beethoven-Sonaten rauf- und runtergehört. Das hat mir sehr viel gegeben.
FB Beethoven ist für Igor Levit besonders wichtig. Was hat diese Musik uns heute noch zu sagen?
RS Musik ist die unmittelbarste der Künste. Sie geht direkt in den Körper. Schon als Embryo im Mutterleib hören wir den Herzschlag unserer Mutter. Musik trifft uns ganz physisch, darum funktioniert sie auch nach 250 Jahren noch. Das fasziniert mich tatsächlich sehr. Hören Sie sich zum Beispiel einmal die Grosse Messe in c-moll von Mozart an. Das macht doch etwas mit einem!
FB Ist das der Grund, warum wir im Film fast nichts anderes als Igor Levit am Klavier sehen?
RS Genau. Igor spielt extrem leidenschaftlich und mit grossem Körpereinsatz. Er schwitzt und stöhnt und stampft mit den Füssen. Das wollte ich zeigen. Ich hoffte, dass Igors Begeisterung auf das Publikum übergeht und dort das auslösen würde, was mit Worten nicht zu beschreiben ist. Das war die Idee des Films: seine Liebe zur Musik einzufangen und zu transportieren. Ich wollte, dass die Musik im Film etwas Physisches mit den Menschen macht.
Regina Schilling ist als Dokumentarfilmerin breit interessiert. Sie hat ein Künstlerporträt über den deutschen Schauspieler Josef Bierbichler (Bierbichler, 2007) gedreht, eine historische Reflexion über das Schweigen in Nachkriegsdeutschland (Kulenkampffs Schuhe, 2018) sowie eine Reportage über sexuelle Missbräuche an einer Schule (Geschlossene Gesellschaft, 2011). Schilling lebt in Köln und Berlin. Wir haben sie am Filmfestival Yesh! In Zürich getroffen.
FB Ziemlich mutig von Ihnen.
RS So heisst ja auch der Film: «no fear» (lacht). Nein, im Ernst. Es steckt tatsächlich ein Minimalismus in meiner Herangehensweise. Ich war zuerst auch gar nicht sicher, ob das funktionieren würde. Aber ich kam zum Schluss, dass ich auf meine Intuition vertrauen muss.
FB Trotzdem würde man mehr Einordnung erwarten in so einem Porträt.
RS Igor ist 35 Jahre alt, also noch sehr jung. Mein Film ist nur eine Momentaufnahme. Igor hat alles noch vor sich. Ich hätte es falsch gefunden, zu sagen, er sei so und so und hätte einen bestimmten Stil. Ich wollte ihm seine Geheimnisse lassen. Und in fünf Jahren kann sich ohnehin alles ändern. Dann ist er immer noch jung, und alles ändert sich nochmal. Ich wäre dieser Entwicklung nicht gerecht geworden.
FB Ausserdem stehen die Fakten auf Wikipedia.
So ist es. Wenn Sie wissen wollen, wann er Geburtstag hat und wer seine Lehrer waren, dann schauen Sie im Internet nach. Ich sah es nicht als meine Aufgabe, derlei Sachen in meinen Film hineinzunehmen. Ich wollte, dass die Leute sich auf die Musik einlassen. Zuhören und sich ihre eigenen Sachen denken.

Die deutsche Regisseurin Regina Schilling. Bild: zVg