FB Pauline Jeanbourqin, wie sind Sie dazu gekommen, diesen Film zu drehen?
PJ Bereits vor vier Jahren habe ich damit begonnen, über einen Film, der die «Faiseur de secret»- Gabe thematisiert, nachzudenken. Im Jura, wo ich herkomme, ist sie sehr verbreitet. Ich wollte aber nicht nur das Thema beleuchten, sondern vor allem das Leben der Menschen hinter dieser Gabe. Mir war es wichtig, keine ältere Person zu porträtieren, sondern zu zeigen, wie die neue Generation mit diesem historischen Erbe umgeht. Ich fand damals eine potenzielle Protagonistin. Sie war 15. Ihr Grossvater wollte ihr seine Gabe weitergeben. Der Plan war, dass ich sie fünf Jahre lang filme. Nachdem wir bereits fast drei Jahre gefilmt hatten, entschied sie, dass sie seine Gabe nicht annehmen wollte. Diese Jahre waren ein gutes Learning für mich. Per Zufall stiess ich kurz danach auf dieses Mädchen auf Tiktok – bis dahin hatte ich dieses Thema noch nie auf Tiktok gesehen. Das fand ich spannend. Also kontaktierte ich Juliette und sie sagte zu. Danach ging alles sehr schnell. Juliette informierte mich über dieses bevorstehende Sommercamp. Ich rief meine Produzentin an, erzählte ihr davon und sie fand es eine geniale Idee.
FB Das Setting ist tatsächlich perfekt – ich musste mich während der Visionierung immer wieder daran erinnern, dass ich einen Dokumentarfilm sehe.
PJ Als ich von Juliettes Ferienplänen hörte, dachte ich dasselbe. Eine Hexe im Kloster – das ist grossartig, öffnet aber auch ein Spannungsfeld. Deshalb wollte ich nicht werten und möglichst neutral bleiben. Ich möchte auch allen, die den Film sehen, überlassen, was sie über die verschiedenen Thematiken denken. Die Szene mit Juliette und der Nonne zum Beispiel ist sehr eindrücklich, weil sie beide an etwas glauben. Auch wenn die Dinge, an die sie glauben, sehr unterschiedlich sind, ist es spannend, weil beide starke Frauen mit einer starken Überzeugung sind. Katholizismus ist natürlich alles andere als feministisch, aber auch da wollte ich nicht werten.
Pauline Jeanbourquin
FB Verstehen Sie Feu Feu Feu als feministischen Film?
PJ Ja, definitiv. Die ganze Geschichte der «Faiseur de secret»-Gabe und des Hexentums ist ein höchst feministisches Thema. Zudem gibt es im Film diese verschiedenen Charaktere. Der, der sich am meisten öffnet, ist ein Mann. Und es sind drei alte Frauen, die Juliette auf ihrem Weg begleiten: Ihre Grossmutter, die Nonne und zum Schluss die Hebamme. Zudem waren wir auch sehr viele Frauen, die hinter der Kamera mitgearbeitet haben. Ich denke also, der Film hat viele feministische Aspekte.
FB Um die Gruppendynamik im Camp nicht zu stören, mussten Sie ein gutes Verhältnis zu Juliette aufbauen. Wie haben Sie das gemacht?
PJ Wir haben viel Zeit zusammen verbracht. Sie erzählte mir viel und legte mir die Karten. Für mich war es sehr wichtig, wenn ich so tief in ihr Leben eintauche, auch viel von mir zu teilen. Ich wollte mit ihr auf Augenhöhe sein. Irgendwann fühlte ich mich ein wenig wie ihre grosse Schwester. Ich verfügte zum Zeitpunkt der Reise also bereits über viel Vorwissen. Ich konnte dadurch abschätzen, welche Art von Gesprächen stattfinden würde und wie die Dynamik sein würde.
FB Haben Sie also konkrete Momente oder Szenen bestimmt, in denen gefilmt wird?
PJ Ja, denn wir waren als Filmteam ja irgendwie Teil der Gruppe. Das Team war sehr jung, das erleichterte das Eintauchen in ihre Welt. Wir interagierten viel mit ihnen. Liessen ihnen aber auch ihren Raum und ihre Zeit. Wir mussten sehr sorgfältig sein, um die Atmosphäre und ihre Ferien nicht zu stören. Wir bestimmten alle gemeinsam, wann wir filmten und wann nicht. Ich fragte auch oft nach, ob es ihnen zu viel ist oder unangenehm. Wir filmten zum Beispiel fast nur abends, wenn die Stimmung ausgelassener und das Licht schöner war.
Junge Kritik
Dieses Interview entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am Dokumentarfilmfestival Visions du Réel 2024 in Nyon. Filmbulletin publiziert ausgewählte Kritiken des Workshop mit Studierenden.
FB Die Dialoge im Film interessieren mich. Manchmal wirken sie inszeniert.
PJ Ich plante natürlich, was ich filmen wollte. Ich wählte die Orte dafür und fragte, ob man an bestimmten Orten über bestimmte Themen sprechen konnte. Ich wusste, was ich erzählen wollte und welche Bilder ich dafür brauchte. Ich hatte schliesslich nur zwei Wochen Zeit.
FB Was war die Hauptmessage, die Sie mit Feu Feu Feu senden wolltest?
PJ Zu Beginn wollte ich einfach einen Film über die «Faiseur de Secret»-Gabe drehen, mit der Hauptmessage, dass du ein normales Mädchen sein, aber gleichzeitig etwas Magisches haben kannst. Wenn ich den Film jetzt anschaue, dann habe ich das Gefühl, dass Feu Feu Feu auch von Hoffnung im Leben erzählt, davon, an etwas zu glauben, das dem Leben Sinn gibt. Und es ist eine Art Generationenporträt geworden.
FB Der Film ist sehr wohlwollend. Skepsis gebenüber dem «Faiseur de secret»-Phänomen wird darin nicht sichtbar. Was war der Grund für diese Entscheidung?
PJ Juliette macht ihr Ding und schert sich nicht darum, was andere Menschen sagen. Das fand ich toll. Ich mag meine Protagonist:innen sehr und wollte, dass das auch die Menschen tun, die den Film schauen.