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Inconvenient sequel truth to power szenen 05 al gore

An Inconvenient Sequel: Truth to Power

Wenn nun nach zehn Jahren die Fortsetzung von An Inconvenient Truth folgt, scheint Al Gore immer noch unermüdlich den gleichen Kampf zu führen. Der Don Quijote des Umweltschutzes berührt und kann doch nicht viel bewegen.

Text: Erwin Schaar / 09. Okt. 2017

«Für mich war es wichtig, dass das Wort ‹Wahrheit› im Titel des Films vorkommt, denn das ist etwas, worum es heute geht: Immer mehr Menschen haben das Gefühl, sie erfahren nicht die ganze Wahrheit, nicht aus ihren Zeitungen, nicht aus dem Fernsehen und nicht von den Politikern», antwortete der Regisseur des ersten Films über Al Gores Bemühungen um den Umweltschutz, Davis Guggenheim, dem Interviewpartner Frank Arnold auf dessen Frage nach der Wahrheit (in Filmbulletin 7/2006). Und jetzt hat der ehemalige demokratische US-Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger von 2007 mit einer beeindruckenden und emotional stimulierenden filmischen Fortsetzung seiner Bemühungen nachgelegt, inszeniert von Bonni Cohen und Jon Shenk, beides sozial engagierte Dokumentaristen.

Gores Kampf für umweltschonende erneuerbare Energien hat nicht nur die vor allem dem Kapital verpflichteten Bosse der einschlägigen Wirtschaft herausgefordert, es ist ihm vor allem ein Präsident Donald Trump und dessen nach rückwärts gewandte Umweltpolitik in die Quere gekommen. «In den USA wird es kein Zurück zur Kohle geben. Die Arbeitsplätze dort sind verloren – aufgrund von Automatisierung und weil Gas inzwischen noch billiger ist. Trumps Versprechen an die Bergbauarbeiter können nicht gehalten werden, aber Trump könnte, wenn er wollte, diese Jobs in der Solaranlagenindustrie schaffen», äusserte sich Al Gore gegenüber der «Zeit»-Redakteurin Wenke Husmann anlässlich der Präsentation seines Films in Cannes zu Trumps Plänen. Leider gibt es im Film keine Konfrontation der beiden Kontrahenten, man sieht nur, wie Al Gore den pompösen Eingang des Trump-Towers betritt. Der Zuschauer mag daraus eigene Schlussfolgerungen ziehen. Vielleicht hat die Beendigung des Films bei Beginn der Macht des neuen Präsidenten diese unbefriedigende bildliche Lösung als Kompromiss gefordert.

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Spannend wird es, wenn Al Gore beim UN-Klima­gipfel 2015 hinter den Kulissen mit den Indern verhandelt, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, 500 neue Kohlekraftwerke zu bauen, die Sonne und Himmel weiter verdunkeln würden. Können die Inder doch darauf hinweisen, wie der Westen über Jahrzehnte eine die Umwelt zerstörende Energie ohne Widerspruch und mit Beharren gefördert hat. Wir verfolgen Gores Bemühungen, seinen Freund Elon Musk von Solar City am Mobiltelefon zu überreden, den Indern kostenfrei die neue Energietechnologie zu überlassen, was immerhin Narendra Modi veranlasst, dem Klimaschutzabkommen zuzustimmen.

Die ersten Bilder des Films zeigen, dass sich Gore vor dem Kongressausschuss nicht ins Bockshorn jagen lässt. Seine engagiert anmutenden Argumente werden vom Gegner eher uneinsichtig infrage gestellt. Und dann kommen die Bilder von den schmelzenden Gletschern in Grönland, verursacht durch die Erd­erwärmung, diese wiederum die Folge einer unbeeindruckten Energieindustrie. Überschwemmungskata­strophen in Florida oder auf den Philippinen sind die Folgen. Die Aufnahmen zeigen Menschen in Not, Städte, deren Infrastruktur durch die Wassermassen zusammenbricht. Diese Bilder sind wie Beweise zwischen die Ausführungen von Al Gore geschnitten, der mit seiner charismatischen Ausstrahlung eine spannend gestaltete Power-Point-Show dem ihm zugetanen Publikum präsentiert. Der Zuschauer ist gar nicht in der Lage, die Ausführungen dieses sympathischen Menschen, der auch schon körperlich eine überzeugende Erscheinung abgibt, zu hinterfragen. Der Film sorgt mit seiner Konzeption, seiner gezielten Konzentration auf die Unbilden der Energieindustrie, durch seine idealisierende Darstellung des unermüdlich kämpfenden Al Gore für ein mitfühlendes Engagement. Schliesslich wurde schon eine grosse Zahl seiner emotional aufgeheizten Gefolgschaft für die tätige Mithilfe als Umwelt-Trainees gewonnen.

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Das alltäglich Mitmenschliche erhält geschickt in den Bild- und Tonverlautbarungen seinen dramaturgischen Platz: der Besuch in seinem schon musealen Elternhaus – Beweis einer bürgerlichen Herkunft aus geordneten Verhältnissen. Oder Gores Reise nach Texas in die kleine Stadt Georgetown, wo er den volkstümlichen republikanischen Bürgermeister Dale Ross trifft, der mit Stolz erklärt, dass seine Stadt den Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien bezieht. Wenn auch nicht aus Umwelt-, sondern aus finanziellen Gründen. Trotzdem ein emotional geprägtes Treffen über Parteigrenzen hinweg.

Die einfühlsame Filmmusik von Jeff Beal unterstreicht die Notwendigkeit des Handelns für die Rettung unseres Erdballs, personifiziert in der euphorischen Haltung der Zuhörer von Gores Ausführungen. Kritiker Nick Allen: «If any movie were to create the global warming idea as a type of cult, this is it. Gore’s many speaking scenes are to people in his climate change group, which has the air of watching an evangelist preaching to the choir …» (RogerEbert.com). Eine solche Beurteilung kann angesichts der ­Al-Gore’schen One-Man-Show nachvollziehbar sein. Doch die Probleme, die menschliches Verhalten der Umwelt gegenüber aufwirft, können vielfältiger gesehen werden, wenn man nur die Abholzaktionen riesiger Waldgebiete in Asien oder Südamerika in Betracht zieht. Der Film sollte daher, damit die Zuseher eine Haltung zur Umweltproblematik gewinnen, Anlass zu einer Diskussion werden, die deren Probleme in einem Für und Wider beleuchtet. Jedenfalls müsste sie differenziertere Argumente austauschen, als es die apodiktische Trump’sche Auslassung «I don’t believe in global warming» vorgibt.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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