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James

I Am Not Your Negro

Mit seinem neusten Dokumentarfilm setzt Raoul Peck dem afroamerikanischen Schriftsteller James Baldwin ein faszinierendes Denkmal – und legt zugleich eine messerscharfe Analyse des Rassimus in den USA vor.

Text: Philipp Brunner / 20. Apr. 2017

«Vergesst den Rassismus, denn er ist nicht das Pro­blem.» Die Aussage stammt von James Baldwin, einem der bedeutendsten afroamerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts, und er machte sie ausgerechnet zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung, als in den USA die schwarze Bevölkerung gegen das gesetzlich verankerte Unrecht protestierte, dem sie noch in den sechziger Jahren ausgesetzt war. Dass der Rassismus dennoch sehr wohl existiert, war Baldwin schmerzhaft klar: «Sagt irgendwo auf der Welt ein Weisser, ‹Gebt mir die Freiheit oder den Tod!›, applaudiert die gesamte weisse Welt. Sagt ein Schwarzer die exakt gleichen Worte, gilt er als Krimineller und wird auch so behandelt.» Wie also kommt er darauf, der Rassismus sei nicht das Problem?


Die Antwort liefert Raoul Peck in seinem Dokumentarfilm I Am Not Your Negro, einem mitreissenden Porträt des 1924 geborenen Baldwin, der seit den vierziger Jahren Erzählungen, Romane und Essays verfasste, die immer wieder um die Themen Identität, Rassismus und Homosexualität kreisen – lange bevor das Civil Rights Movement oder die Gay Liberation den Kampf um die juristische, kulturelle und politische Gleichstellung aufnahmen. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass der gebürtige Haitianer Peck Mut zur Konfrontation beweist. Gleich zwei Filme widmete er dem kongolesischen Freiheitskämpfer Patrice Lumumba, der 1960 als Hoffnungsträger eines ganzen Kontinents ermordet wurde – mit Unterstützung der belgischen Regierung und der CIA. Im Spielfilm Sometimes in April (2005) thematisierte er den Völkermord in Ruanda, und im Dokumentarfilm Assistence mortelle (2013) wagte er es, die desaströsen Auswirkungen der Präsenz der internationalen Hilfsorganisationen anzuklagen, die nach dem Erdbeben von 2010 in Haiti einfielen und das Land mit «tödlicher Hilfe» überzogen. Pecks Filme gelten als ebenso poetisch wie intelligent, ebenso aufrichtig wie bescheiden. Dass sie immer wieder provozieren, sagt viel aus über das Unbehagen des westlichen Publi­kums, das sich durch sie zurückgeworfen sieht auf seine eigenen Haltungen und Wertvorstellungen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach wie vor kolonialen und rassistischen Denkmustern verhaftet sind.

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Im Zentrum von I Am Not Your Negro steht Baldwins unvollendeter Text «Remember this House». Darin setzt sich der Autor mit dem Leben dreier Freunde aus der Bürgerrechtsbewegung ausein­ander, die alle in den sechziger Jahren durch Attentate umgebracht wurden: Martin Luther King, Malcom X, Medgar Evers. Doch Baldwin konnte das Projekt nicht abschliessen, sondern hinterliess bei seinem Tod 1987 ein Manuskript von nur dreissig Seiten, niedergeschrieben in einer für Peck «heftigen, unausweichlichen und unerreichten Sprache». Gelesen von Samuel L. Jackson, bildet es den Kern von I Am Not Your Negro, der ansonsten auf jeglichen Kommentar verzichtet. Die Bildspur wiederum ist eine Collage aus vorwiegend historischem Bildmaterial: Auftritten der drei Bürgerrechtler werden Reklamen des «weis­sen» Amerika gegenübergestellt, in denen «Neger» bestenfalls als Dienstboten zu sehen sind. Aufnahmen von Protestmärschen kontrastieren mit Bildern rassistischer Exzesse. Eine Preisliste informiert den interessierten weissen Käufer, wie viel ein junger Sklave («kräftig») kostet oder – besonders preiswert – ein Säugling von neun Monaten. Dazwischen immer wieder Ausschnitte aus Reden, Interviews und Talkshows mit Baldwin. «Wörter aus einer vergangenen Zeit», nennt sie Peck, «die bis heute klar und deutlich nachhallen». Tatsächlich beschränkt sich Peck nicht auf die Geschichte, sondern streut wiederholt Dokumente der Gegenwart ein: afroamerikanische Teenager, die auf offener Strasse erschossen werden, weil sie (vielleicht) eine Waffe trugen oder sich (angeblich) verdächtig verhielten; die Rassenunruhen von Ferguson und Dallas; Demon­strationen mit Transparenten, auf denen «Black Lives Matter» zu lesen ist.

Zwar mag die Machart des Films konventionell sein, dennoch entwickelt er einen Drive, der nicht zuletzt auf die fesselnde Präsenz seines Protagonisten zurückzuführen ist. So entwirft er das Bild eines unerhört klugen und brillanten Gesellschaftskritikers, der komplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen vermag, ohne sie zu verfälschen. Die Geschichte der Afroamerikaner, sagt Baldwin, lasse sich nicht von der Geschichte Amerikas trennen. Im Gegenteil: «Die Geschichte des Negers ist die Geschichte Amerikas. Und sie ist keine schöne Geschichte.» Doch der Autor ist selbstbewusst genug, um die ihm zugedachte Opferrolle zurückzuweisen. Mehr noch, er hält den Weissen den Spiegel vor: Denn, so Baldwin, den Neger gebe es gar nicht. Er sei lediglich ein Konstrukt der Weissen, das diese benötigten, um sich ihrer selbst zu vergewissern.

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Und plötzlich leuchtet Baldwins Logik auf bestechende Weise ein: Wenn der Neger nur eine «weisse» Idee ist, dann ist auch der damit verbundene Rassismus nicht mehr das Problem der Schwarzen, sondern das der Weissen. «Die Frage, die ihr Weissen euch stellen müsst, ist, warum ihr den Neger überhaupt nötig habt. Ich bin kein Neger, ich bin ein Mensch. Nur ihr denkt, ich sei ein Neger. Das bedeutet, dass ihr diese Vorstellung braucht. Ihr müsst herausfinden, warum. Davon hängt die Zukunft dieses Landes ab.» Der Rassismus ist also nicht das Problem, sondern nur das – allerdings katastrophale – Symptom von etwas, das sehr viel tiefer liegt, das mit Angst und Vorurteilen zu tun hat und der fehlenden Bereitschaft, sein Gegenüber kennenzulernen. Daher gibt es für den Menschenfreund Baldwin – der er trotz allem ist – letzten Endes nur ein Mittel. Die Augen öffnen und wahrnehmen, was mich mit meinem Nachbar verbindet (anstatt mich darauf zu versteifen, was ihn von mir unterscheidet): das Menschsein. Wem das zu sozialkitschig klingt, sollte sich fragen, warum heute in den USA Zehntausende dagegen protestieren, dass sich seit der Bürgerrechtsbewegung längst nicht genug geändert hat. Die Gründe dafür blicken auf eine grauen­volle Geschichte zurück. Und sie haben nicht das Geringste mit Sozialkitsch zu tun.

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