Eine Szene gibt es in diesem Film, die stets wiederkehrt und so zum Markenzeichen des Titelhelden wird. Hinter der Ziellinie benetzt sich Hugo Koblet, auch nach sechzig Jahren noch eines der grössten Sportidole der Schweiz, mit Trinkwasser die Hände, fährt sich damit durch die dichten Haare und kämmt sie zurecht. Trotz aller Anstrengung gilt sein erster Gedanke dem perfekten Äusseren. Eine gute Leistung wird im beginnenden Fernsehzeitalter erst durch eine perfekte Präsentation weitergeleitet und verbreitet. Der Sportler als Medienstar.
Koblet, 1925 als Sohn eines Zürcher Bäckers geboren, gewann 1950 als erster Ausländer den Giro d’Italia, im Jahr darauf sogar die Tour de France – gleich bei seiner ersten Teilnahme. Eine Erfolgsgeschichte, die geradezu danach ruft, auf Zelluloid gebannt zu werden, zumal sie mit dem plötzlichen sportlichen Abstieg, finanziellen Ruin, regem Liebesleben, Scheidung und Unfalltod mit nur 39 Jahren genug Tragik für ein Filmdrama enthält. Aufgrund seiner Attraktivität, seiner Extrovertiertheit und seiner Eleganz gab der französische Sänger Jacques Grello dem Radsportler den Namen «Pédaleur de charme» – noch so eine Zuweisung, die Kinotauglichkeit signalisiert. Daniel von Aarburg hat sich nun entschieden, das Leben von Hugo Koblet in einer Mischung aus Interviews, zeitgenössischen Berichten und Spielszenen nachzuzeichnen. Keine reine Dokumentation, kein narrativer Spielfilm – mit dieser Zwitterform folgt von Aarburg einem Trend im aktuellen Dokumentarfilm, der sich vom Fernsehen – hier sei nur an Guido Knopp und seine gefällige Aufbereitung deutscher Geschichte erinnert – beeinflusst zeigt: Begebenheiten, für die es keine Bilder gibt, werden von Aarburg gab das auf der Piazza Grande in Locarno offen zu – mit künstlerischer Freiheit und, vor allem im Privatleben, mit viel Phantasie nachgestellt.
Koblet liegen die Frauen zu Füssen: weibliche Fans, flirtende Kellnerinnen, kurzzeitige Verlobung mit der österreichischen Schauspielerin Waltraud Haas, später dann Heirat mit dem Fotomodel Sonja Brühl. Der Mann, der die Frauen liebte. Doch gerade in diesen Szenen, die mit ihren blassen Farben und der korrekten Ausstattung immer auch ein wenig aussehen, als seien sie in den fünfziger Jahren gedreht, bleibt die Inszenierung eigentümlich bieder und hausbacken. Titeldarsteller Manuel Löwensberg spielt zudem so zurückhaltend und steif, dass man ihm den lebenshungrigen Casanova kaum abnimmt. Dieser Eindruck wird durch seinen Off-Kommentar, der Gesehenes bestätigt und der Erzählung, die stets durch Interview-Schnipsel und Dokumentar-Bilder unterbrochen wird, Halt zu geben versucht, noch bestätigt.
Ein wenig mehr Mut zur Kontroverse, vielleicht auch zur Klarstellung, hätte das Thema Doping vertragen. Koblet schluckt ein paar “Vitamintabletten” und gefährdet seine Gesundheit, so dass er bei der Tour de Suisse 1952 fast vom Rad fällt. Doch so richtig mag von Aarburg, der auch am Drehbuch mitschrieb, Doping nicht beim Namen nennen. Fast hat man den Eindruck, als solle hier nicht am Sockel eines grossen Idols gerüttelt werden.
Am interessantesten sind die Interviews mit Waltraud Haas, die gern auf ihre kurze Verlobungszeit zurückblickt, und vor allem mit Koblets Mannschaftskollegen und stärkstem Konkurrenten Ferdy Kübler. Kübler, 1950 Gewinner der Tour de France und zur Drehzeit schon über neunzig Jahre alt, fiel der Radsport nicht so leicht wie dem Tausendsassa Koblet. Er musste sich mehr erarbeiten, er musste mehr trainieren. Bewunderung und Anerkennung, aber auch ein wenig Neid und Bedauern sind in diesen Gesprächen zu spüren. Von dieser Tiefe hätte man sich als Zuschauer mehr gewünscht.