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Hikari / Radiance

Die Heldin in Radiance schreibt Hörfassungen für Filme. Ihr Ringen um die richtigen Worte, ­darum, adäquat zu ­beschreiben, was jemand nicht sehen kann, schafft eine poetische Reflexion über das Sehen und über das Kino.

Text: Tereza Fischer / 25. Dez. 2017

Als Film ohne Bild beginnt Radiance von Naomi Kawase. Eine Offstimme liefert Beschreibungen von dem, was uns anscheinend vorenthalten bleibt. Als sich kurz darauf die Filmbilder doch noch einstellen, werden sie weiterhin von den Beschreibungen begleitet. Beschreibungen von dem, was wir ohnehin sehen. Als hätte man versehentlich beim Fernseher den Kanal mit der Hörfassung für Sehbehinderte eingestellt, führt diese Verdoppelung zu Irritation. Doch bemerkt man auch schnell, dass die Worte nicht nur unsere Aufmerksamkeit auf Bildelemente lenken, sondern auch niemals genügen, um den Detailreichtum der Bilder zu erfassen. Es sind Unmengen von Kleinigkeiten, die wir en passant wahrnehmen und die eine bestimmte Stimmung oder den Charakter einer Figur definieren. All diese Kleinigkeiten müssen aber in einer Beschreibung fehlen.

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Wir bewegen uns also von einem Zuwenig (kein Bild) zu einem Zuviel (Pleonasmus von Bild und Wort). Beides ist unbefriedigend. In diesem Dilemma steckt auch die Protagonistin von Radiance: Misako arbeitet an einem Audiokommentar für den Film eines Altmeister-Regisseurs. Mit der Hilfe von Sehbehinderten, die ihr Feedback zu ihren Texten geben, versucht sie, die richtige Mischung zwischen genügend Information und nicht zu viel Vorgekautem zu finden. Sie sucht die Balance zwischen ihrer eigenen Interpretation, die ihr hilft, den Film zu verstehen, und dem Raum, den sie den Zuhörern lassen muss, damit diese zu ihren eigenen Bildern und Interpretationen finden können.

Dank der Verdoppelung von Bild und Beschreibung zu Beginn des Films betrachten wir ihn noch lange mit anderen Augen und fokussieren gerade auf die Zwischentöne und Nebensächlichkeiten. Dass der Film uns zu einer anderen Wahrnehmung verführt, dass er uns das Glück, zu sehen, vor Augen führt, ist seine Stärke. Die Geschichte indes vermag weniger zu überzeugen. Obwohl der Film von dramatischen Ereignissen im Leben seiner Protagonisten erzählt, wirkt er anämisch: Bei ihrer Arbeit wird Misako harsch kritisiert von Masaya Nakamori (von Kawases Stammschauspieler Nagase Masatoshi verkörpert, der auch in Jim Jarmuschs Mystery Train und Paterson mitspielte). Der beinahe erblindete und einst berühmte Fotograf hadert mit seinem Schicksal und klammert sich immer noch an seine Grossformatkamera, sein Herz, wie er sie nennt. Eines Tages erblindet er ganz. Und Misako hat immer noch nicht das viele Jahre zurückliegende Verschwinden ihres Vaters verarbeitet. Langsam nähern sich die beiden einander an. Die Trauer über den jeweiligen Verlust verbindet sie.

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In einem Bildband von Nakamori entdeckt Misako die Fotografie eines Sonnenuntergangs, der sie an schöne Momente mit ihrem Vater erinnert. Als kleines Mädchen wollte sie schon der untergehenden Sonne nachrennen, in der Angst, sie verschwinde für immer. Naomi Kawase hat keine Angst, ein derart für Kitsch anfälliges Bild ins Zentrum ihres Films zu stellen. Sie fürchtet sich auch nicht vor überdeutlicher Symbolik: der Sonnenuntergang oder Lichtreflexio­nen eines Prismas als Metaphern der Flüchtigkeit von Schönheit, Liebe und Leben. Ihre immer wieder in verklärendes Gegenlicht getauchten Bilder gehören seit langem zu ihrem Kamerastil genauso wie süssliche Natursymbolik, die der emotional nachvollziehbaren Zeichnung von Figuren tendenziell im Weg steht.
«Nichts ist so schön, wie das, was vor unseren Augen verschwindet», sagt der alte Mann im zu vertonenden Film, als seine Frau stirbt. Auch er schaut am Ende in die Sonne. Es ist der Kommentar zum Schicksal der beiden Protagonisten. Diese Verdreifachung desselben Themas in Kombination mit einer minimalen Handlung tendiert zu Überdeutlichkeit, die die Medi­tation über das Sehen vor allem in der zweiten Hälfte des Films schwächt.

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«Radiance», das ist der Glanz in den Augen angesichts von Schönheit. Der Film zeigt, welches Glück es ist, zu sehen, auch wenn man manchmal zuschauen muss, wie etwas Schönes gerade verschwindet. Es ist ein Film über die Liebe zum Kino, in dem die Bilder Schönheit produzieren, um gleich vor unseren Augen wieder zu verschwinden, bis sie sich mit der Abblende ganz in der Dunkelheit auflösen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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