Anfang September 2005 ins Konzert gegangen. Zu spät gekommen. Vor einer geschlossenen Tür gestanden, ehrfürchtig gewartet. Der Spätsommerabend ist verboten schwül. Aus den Bars und Kneipen der näheren Umgebung dringen Schwatzgemurmel, vereinzelt gelles Frauenlachen, dunkle Männerlachsalve: Ausgehgeräusche in Zürich West. Durch die Tür dringen Fetzen von Jazz. Schemenhaft erkennbar: Menschen, eine Bar. Pause dann. Zusammen mit ein paar Luftschnappern quillt rauch- und hitzeschwanger-feuchte Luft und Konzerttalk durch die sich öffnende Tür: In einem improvisierten Club, in einer ehemaligen Schlosserei in Zürich West hat die Schweizer Combo Koch-Schütz-Studer im Spätsommer 2005 zu einer Performance der besonderen Art geladen. An dreissig aufeinanderfolgenden Abenden, nämlich vom 1. bis 30. September, spielte das Trio, das seit fünfzehn Jahren mitten im internationalen Musikgeschehen steht, je zwei Sets von jeweils vierzig Minuten Dauer. «30xTRIO» nannten Koch-Schütz-Studer den Event und hatten sich ganz der Improvisation verschrieben; Hardcore Chambermusic – Ein Club für dreissig Tage nennt Peter Liechti den Film, der daraus hervorgegangen ist. Es handelt sich dabei weniger um ein Zeugnis ablegendes Dokument als vielmehr um ein höchst eigenständiges Kunstwerk: einen Film, der seinerseits einzig dem Verlauf der Zeit verschrieben und der Kreativität Liechtis gehorchend selber daherkommt wie ein improvisiertes Stück Jazz.
Musikfilm zum einen ist Hardcore Chambermusic andererseits auch ein «Buddy-Movie», das Einblick vermittelt in das (kreative Zusammen-)Schaffen der drei so begnadeten wie arrivierten Musiker. Das sind: Hans Koch, geboren 1948 in Biel, ausgebildet zum klassischen Klarinettisten. In den neunziger Jahren dann aber hängte Koch seine klassische Orchesterkarriere an den Nagel. Er entdeckte Computer & Co. als Instrumente und gilt heute als einer der originellsten Holzbläser der Welt. Der Luzerner Fredy Studer, geboren ebenfalls 1948, ist ein weit- und weltgereister Autodidakt und gilt als einer der innovativsten Perkussionisten Europas; Studers einmaliges Improvisationstalent hat man schon in Peter Liechtis Namibia Crossings (2004) bewundern dürfen. Bleibt der 1954 geborene Cellist Martin Schütz zu erwähnen, ein Bieler wie Koch. Schütz, bis vor kurzem einer von Christoph Marthalers Hausmusikern, steht mit einem Bein immer auch im Theater und gilt – er hat für Filme von Peter Liechti, Dieter Gränicher, Tobias Ineichen komponiert – als einer der wichtigeren Schweizer Filmmusik-Komponisten.
Was das Trio vereint, ist nebst der Musik eine tiefe Freundschaft: «Bei Koch-Schütz-Studer», sagt Fredy Studer in Liechtis Film, «stimmt es nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich.» Just das, führt er weiter aus, ist eben nicht selbstverständlich, wenn man zusammen Musik macht. Es ist im Gegenteil eher ein Glück fast schon gar … Locker lehnen die drei in der Pause an der Bar. Mischen sich unter die Zuhörer, unter denen sich jeden Abend auch etliche Bekannte – etwa Irene Schweizer – finden. Sie trinken ein Glas, rauchen eine Zigarette und sind, wie sich in Hardcore Chambermusic zeigt, die Schwatzhaftesten nicht. Doch was sie sagen, ist von wohlüberlegter Treffsicherheit, verrät vieles über ihr Denken, ihr Fühlen, ihr Freundsein – und die Kunst der Musikimprovisation. «Ich kann nicht mit dem Kopf voller Gedanken auf die Bühne steigen, es braucht diese Leere, aus der die Musik zu strömen beginnt», erklärt Martin Schütz. Und später in Liechtis Film unterhalten sich Studer und Koch darüber, dass man nicht denken soll beim Improvisieren. «Weil man nicht frei ist, wenn man denkt, es nicht fliesst, wenn man der Musik Zügel anlegt …» und es in «30xTRIO» eben just um diese sich aus der Leere generierende Musik geht, die sich in nichts einschreibend ausser der Zeit den Zuschauer gerade diese vergessen lässt.
Abend für Abend haben Koch-Schütz-Studer gespielt, Abend für Abend haben ein paar Zuhörer mehr den Weg in die ehemalige Schlosserei gefunden. Ein paar Mal fanden sich unter ihnen Peter Liechti und seine Filmcrew: Die Kameramänner Peter Guyer und Matthias Kälin, der Tonmeister Balthasar Jucker. Sie haben Töne eingefangen und mit – fliegender – Kamera gefilmt: die drei Musiker. Ihre Gesichter, den Schweiss auf ihrer Stirn. Hände, Finger, Füsse. Instrumente. Saiten, Tasten, die Touchscreen von Kochs Sampler/Sequenzer/Synthesizer, das Wasser in Studers gelb leuchtendem Wasserbecken. Die huschenden Licht- und Schattenspiele an den Wänden: 1, 2, 3, … 11, 12, … 20, 21, 22, … 29, 30 zählt ein jeden Abend wechselndes Lichtbild. Das Lachen der Barkeeperin, die Konzentration des Mannes am Mischpult. Das Surren des endlos rotierenden Ventilators. Die Zuhörer. Mal konzentriert, mal in sich selbst versunken. Auf Hockern, Stühlen, Bänken, manche stehend. Selbstvergessen tanzend oder sanft wippend, den Hauch der leisen Glückseligkeit von Musikhörenden auf ihrem Gesicht.
Dem Lauf der Sessions und der Musik folgt Liechtis Film. Das Lichtbild an der Wand markiert auch im Film das Fliessen der Zeit. Abgesehen davon ist Hardcore Chambermusic, geschöpft aus der kreativen Fülle dieser genialen Gigs und vom Regisseur mit stupendem Musikgefühl und frivolem Mut zum Experiment montiert, ein klangvoll-verführerisches, filmisches Kleinod beziehungsweise ein Film über das wunschlose Sein im Moment der vollen Hingabe von Hörern und Musizierenden an das der Ewigkeit eingeschriebene Moment der Musik.