Auftritte mit Gagen von sechs Dollar pro Kopf, das ist natürlich auf die Dauer kein Zustand, selbst für eine junge Hardcore-Punkband nicht, die es gewohnt ist, das Benzin für die Reise zum nächsten Konzert aus den Tanks unbewacht parkender Autos herauszusaugen. Kein Wunder also, dass die aus drei Männern und einer Frau bestehenden Ain’t Rights nicht allzu viele Nachfragen stellen, als ein Bekannter ihnen einen «real gig» in Aussicht stellt. Und so bekommt der Film die vier Musiker mit recht wenig erzählerischem Aufwand da hin, wo er sie haben will: in einen Club, der eigentlich eher eine Mischung aus Schuppen, Scheune und Bunker darstellt und der irgendwo weit ab vom Schuss gelegen ist, in den Wäldern Oregons, im dünn besiedelten Nordosten der USA. Wo niemand einen hört, egal wie laut man schreit.
Begrüsst werden sie aber erst einmal ganz harmlos von Gabe (Macon Blair, dessen sanfte, melancholische Art sich mit seiner Rolle auf interessante Weise reibt), der den Laden für Darcy Banker (wie immer hochgradig professionell: Patrick Stewart) managt. Und der, das wird wenig später klar, über den harten Kern der Jungfaschisten, die sich auf seinen Konzerten tummeln, wie ein Feldherr verfügt. Dass Bankers Kundschaft zum politischen Rechtsdrift neigt, war den vieren schon vorher mitgeteilt worden, weshalb sie sich von den allgegenwärtigen Bomberjacken und SS-Graffiti zunächst nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen lassen.
Jung und verwegen genug, vor einem Haufen rechtsradikaler Skinheads den Dead-Kennedy-Song «Nazi Punks Fuck Off» anzustimmen, sind die vier ebenfalls; backstage lauert dann allerdings ein ganz anderer Schrecken. Plötzlich finden sich die schlacksigen Mittelklassepunks in einem Hinterzimmer des Clubs wieder, eben im titelgebenden Green Room, und werden von einem bewaffneten bulligen Hünen in Schach gehalten. Neben der versifften Couch liegt eine noch warme Leiche, der Mörder gehört zum Personal, die Ain’t Rights sind potenzielle Zeugen – und sie haben guten Grund, Bankers Beteuerungen, dass er sie nur bis zum Eintreffen der Polizei dabehalten wolle, nicht zu glauben. Auch dass sie ihren primären Aufpasser mit vereinten Kräften überwältigen können, verschafft ihnen lediglich eine kurze Atempause.
Vorläufig noch still im Hintergrund kauert als fünfte Zeugin Amber, die bald darauf zur eigentlichen Hauptfigur avanciert. Das ist nur eine von mehreren geschickten Manövern, mit denen der Regisseur Jeremy Saulnier eine Situation unter Spannung hält, bei der eigentlich ziemlich schnell alles glasklar zu sein scheint: vor der Tür des Green Room eine kleine Armee von bis an die Zähne bewaffneten Neonazis und im Green Room fünf verängstigte junge Menschen, die, um ihr nacktes Überleben zu sichern, zu allem bereit sind. Beziehungsweise: die dabei sind, herauszufinden, was es heisst, zu allem bereit zu sein.
Jeremy Saulnier ist, das zeigte schon sein Vorgängerfilm Blue Ruin, als visuell denkender Regisseur begabter denn als Drehbuch- und vor allem Dialogautor. Schon dank der durchweg inspirierten Besetzung fallen diesmal gelegentliche Skriptschwächen weniger ins Gewicht, aber wenn sich die Musiker zum Beispiel mehrmals gegenseitig auffordern, eine «lonely island band» zu nennen, die für sie alles andere in den Schatten stelle, dann ist das nichts, was sich organisch aus der Situation ergeben würde; vielmehr scheint viel zu deutlich Saulniers Versuch durch, auf Teufel komm raus ein Leitmotiv zu konstruieren.
Glücklicherweise geht es in Green Room im Kern nicht um psychologisch runde Figuren, sondern um eine Architektur des Terrors. Tatsächlich haben die Ain’t Rights und ihre neue, energische Bekanntschaft Amber wenig Zeit für subkulturelle Standortbestimmungen oder gar ernsthaftere wechselseitige Annäherungsversuche. Stattdessen müssen sie sich dynamisch an eine ständig wechselnde Gefahrenlage anpassen. Der Film wechselt dabei geschickt zwischen den diversen Perspektiven; mal gönnt er den Kinozuschauern einen kleinen Wissensvorsprung, mal lässt er sie mit den Protagonisten blindlings in die Falle tappen.
Green Room ist Teil einer kleinen filmischen Welle. Schon seit einigen Jahren entdeckt das amerikanische Independentkino die von den Studios zuletzt eher vernachlässigten härteren Spielarten des Genrekinos für sich: Regisseure wie Ti West (The House of the Devil, The Innkeeper), David Robert Mitchell (It Follows), Adam Wingard (You’re Next, The Guest) oder eben Saulnier feiern zumindest auf einschlägigen Festivals grosse Erfolge; gemeinsam ist ihren Filmen eine mal mehr, mal weniger deutliche Retro-Schlagseite, die sie von den «Found-Footage»-Horrorfilmen des Smartphone-Mainstreams abhebt und auf den Charme des Handgemachten setzt. «If you go all virtual, you lose the texture», meint in Green Room einer der Musiker, als er gefragt wird, warum die Ain’t Rights über keine Social-Media-Präsenz verfügen.
Noch deutlicher als die anderen genannten Filme schliesst Green Room an die raue Tradition des Exploitationkinos der siebziger Jahre an. Mit dem über eine Crowdfunding-Kampagne finanzierten Blue Ruin und seiner auf nicht allzu überzeugende Weise auf alttestamentarische Massstäbe aufgeplusterten Rachegeschichte hatte sich Saulnier noch ein wenig verhoben. Green Room ist in seinen Ambitionen bescheidener, aber auch konzentrierter und durchdachter. Und ausserdem deutlich blutrünstiger. Die Waffe der Wahl ist über weite Strecken nicht die Pistole, sondern die sozusagen noch einmal etwas weniger virtuelle Machete …