Häufig sieht man ihn nur im Profil, den Kopf geneigt, ein Piercing an der Lippe, mürrisch, in sich gekehrt, oder dann in der Rückenansicht, am Strand verdrossen vor sich hinschlendernd – den zwölfjährigen Nic, der mit seinem jüngeren Bruder Agostino und seinem Vater – die Mutter kommt später mit dem Zug – zwei Wochen Sommerferien in einem Campinglager in den Maremmen verbringt. Die Ehe der Eltern ist am Zerbrechen, der Vater jähzornig, gewalttätig und nach seinen Ausbrüchen sentimental larmoyant. Unerträglich für seine Frau, und doch kann sie sich nicht von ihm lösen.
Gleich am ersten Tag stossen Nic und sein Bruder auf eine Gruppe von etwa Gleichaltrigen: Agostino will beim Sandburgenbauen mitspielen, es wird ihm verwehrt, ein Junge mit Strohütchen stösst ihn weg, Nic rennt hinzu, zerstört die Sandburgen, der Junge mit Hütchen und Nic prügeln sich, wälzen sich am Boden, zwei Mädchen wollen die Streithähne trennen, dabei tritt Nic mit dem Fuss das ältere Mädchen weg und verletzt sie an der Lippe. Mürrisch zieht Nic ab, ohne sich zu entschuldigen, wie das Mädchen ihm vorwurfsvoll nachruft. Nic kommt am nächsten Tag zur Gruppe zurück, bittet das Mädchen, sie solle ihn schlagen, und als sie dies verachtungsvoll ablehnt, schlägt er seinen Mund an einem Boot wund – so seien sie quitt.
Das Thema ist gesetzt: Gewalt in der Familie setzt sich fort im Verhalten der Kinder, Rollen werden gelernt, meist übernommen, allenfalls abgewandelt. Was hier so papieren und thesenartig formuliert ist, trifft zum Glück des Zuschauers auf den Film nur in ganz wenigen, etwas symbolbefrachteten Einstellungen zu. Rolando Colla evoziert eine herbe Sommerferienstimmung, voll von Geheimnissen, ersten erotischen Annäherungen, beklemmenden Stimmungen, bedrohlichen wie gelöst heiteren Szenen.
Ein heruntergekommener Schuppen neben einem Maisfeld. Nic hat die Scheune entdeckt. Sie wird zum geheimen Sammelplatz der Gruppe, hier “beschwören” sie ihren Bund: Jeder soll ein Geheimnis verraten, das er bis anhin niemandem anvertraut habe. Die eine fürchtet sich vor Spinnen, der andere vorm tiefen Wasser, der Junge mit dem kecken Sommerhütchen verachtet seinen aus Asien stammenden Vater, weil der kein Italienisch kann, obwohl er auf dem Campingplatz einen Laden führt. Und Nic empfindet angeblich nichts. Es sei ganz einfach, man müsse nur jemand anderer sein, verrät er einmal Marie. Ihr Geheimnis hingegen ist, dass sie kein Geheimnis habe. Und sie bekennt Nic später, dass sie ihren Vater nicht kenne, nur seinen Namen wisse und hier auf der Suche nach ihm sei. Diese Suche nach dem Vater ist ständiger Anlass für Streitereien zwischen Marie und ihrer Mutter, die ihr nichts von ihrem Vater erzählen will. Der geheimnisvolle Schuppen – er wird von einem bösartig kläffenden Köter bewacht – und das Maisfeld wird zum Spielplatz. Hier laden sich die unschuldigen Spiele allmählich mit unterschwelliger Gewalt und Erotik auf.
Von Erotik und Gewalt ist auch das Zusammenleben der Eltern Nics geprägt. Einer entspannten Szene am Morgen, Vincenzo spielt auf seiner E-Gitarre einen Lovesong, Adrianas schwerer Körper bewegt sich leicht um den Morgentisch, sie stupst komplizenhaft Nic und streichelt zärtlich den Kopf Agostinos, folgt am Abend eine Eifersuchtsszene, betrunken schlägt Vincenzo seine Frau nieder, sie heult, und Nic stülpt seinem Bruder Kopfhörer über. Nic zeigt später einmal Marie seine Handy-Aufnahmen vom ersten Sommerferientag, als Vincenzo beim Aufbruch wieder einmal ausrastet und seine Frau wegen einer Bagatelle schlägt. Marie hat nur Verachtung übrig, sowohl für den Vater wie auch für Nic. Und Nic ist zerrissen zwischen Hass und Stolz auf seinen Vater.
Rolando Colla erzählt die Geschichte des sich gegen jeden Schmerz immunisierenden Nic und seiner allmählichen Wandlung mit einer beweglichen Kamera, nah an den Protagonisten, in schöner Abfolge von Grossaufnahmen und Halbtotalen. In besonderen, kathartischen Momenten nimmt sich die Kamera auch die nötige Zeit. Etwa wenn die Mutter Marie endlich erzählt, dass ihr Vater gestorben ist. Oder als Vincenzo, der im Steit Nic verfolgt und plötzlich in einem Tümpel versackt, seinen Sohn um Hilfe anruft und der plötzlich mit einem langen Ast auf ihn einschlägt, bis Adriana, die den beiden nachgesprungen ist, erschrocken eingreifen kann. Sie holt ihren zu Tode erschrockenen Mann aus dem Sumpfloch und – die Kamera verharrt in einem langen Close-up – befreit ihn mit langsamen Gesten vom Schlamm. Berührungen, Gesten, das sanfte Streicheln mit der Hand oder einer Vogelfeder werden sowieso immer mal wieder von der Kamera festgehalten.
Und immer wieder öffnet sich der Blick aufs Meer. Die Landschaft spielt mit. Eine karge, herbe Landschaft, ein bewegtes Meer, der Strand nicht herausgeputzt, eher wild, mit herumliegendem Baumstämmen, einem Bootswrack; das besondere Licht gefiltert duch den Pinienwald; das dichte sattgrüne Maisfeld; ein sumpfiges Hinterland, mit Tümpeln und verschlungenen Pfaden; etruskische Gräber. In den Worten von Rolando Colla: «Die Tiefenschicht der Filmgeschichte findet einen Einklang in der Intensität und der poetischen Kraft der Maremma. Die Handlung hat den Ort ihres Geschehens gefunden.»