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The Giant Buddhas

Wie eindrücklich man mit filmischen Mitteln Leben und Werk von verstorbenen Persönlichkeiten beschwören kann, hat in der Schweiz vor allem Richard Dindo mit verschiedenen Arbeiten bewiesen. In seinem dritten Kino-Dokumentarfilm geht Christian Frei noch einen Schritt weiter. Er befasst sich mit der Geschichte und der Wirkung von zwei künstlerischen Objekten, die gar nicht mehr existieren, nämlich mit den inzwischen zerstörten riesigen Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal in Afghanistan.

Text: Gerhart Waeger / 01. Sep. 2005

Wie eindrücklich man mit filmischen Mitteln Leben und Werk von verstorbenen Persönlichkeiten beschwören kann, hat in der Schweiz vor allem Richard Dindo mit verschiedenen Arbeiten bewiesen. In seinem dritten Kino-Dokumentarfilm geht Christian Frei noch einen Schritt weiter. Er befasst sich mit der Geschichte und der Wirkung von zwei künstlerischen Objekten, die gar nicht mehr existieren, nämlich mit den inzwischen zerstörten riesigen Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal in Afghanistan. Konnte Dindo in seinen Filmen wenigstens von erhaltenen Schriften und Bildern ausgehen und sich damit letztlich dem Geheimnis des schöpferischen Prozesses annähern, so standen Frei lediglich überlieferte Berichte und Aussagen zur Verfügung, die er zu einem Ganzen zusammenfügen musste. Und obwohl in seinem Film viel von Rekonstruktion (der zerstörten Statuen) die Rede ist, konnte The Giant Buddhas im Ansatz deshalb nicht (wie Dindo dies tat) vom Prinzip eines schöpferischen Prozesses ausgehen, sondern weit eher von einem solchen der Vergänglichkeit. Dass gerade damit ein Kernstück der buddhistischen Lehre berührt wird, ist Frei natürlich nicht entgangen und kommt in seinem Film denn auch implizit zum Ausdruck – etwa durch den an markanter Stelle zitierten, Buddha zugeschriebenen Ausspruch «Alles ändert, nichts bleibt».

Die Qualität von Freis Film liegt nicht zuletzt in der Art und Weise, mit der er die Fülle von Material, die ihm nach aufwendigen Recherchen zur Verfügung stand, bildhaft umgesetzt hat. Von der Einführung ins Thema zu Beginn einmal abgesehen tat er dies vor allem durch die Einführung von als Protagonisten eingesetzten Zeugen, die aus verschiedenen Blickwinkeln ihrer Betroffenheit Ausdruck verleihen. Der älteste von ihnen ist eine historische Figur: Xuanzang, ein buddhistischer Mönch und Gelehrter, der im siebten Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf einem 16 000 Kilometer langen Fussmarsch von China nach Indien pilgerte und seine Erlebnisse akribisch in einem «Bericht über die westlichen Länder» (Buddhist Records of the Western World, Siyuki) festhielt. Während die von Kameramann Peter Indergand geführte subjektive Kamera den Spuren des Wanderers (teils in berückenden Fahrten durch tiefe Felsschluchten, weite Schneefelder und endlose Wüstengebiete) folgt, werden im Off Partien aus seinem Bericht zitiert (Erzähler in der deutschen Fassung ist Stefan Kurt). Im Jahre 632 erreichte Xuanzang das im Herzen des Hindukusch gelegene Bamiyan-Tal, eine wichtige Verbindung zur alten «Seidenstrasse», und war vom Anblick der gigantischen, in das weiche Konglomerat einer gut zwei Kilometer langen Felsklippe gehauenen Buddha-Statuen förmlich überwältigt. Die kleinere der beiden, blau bemalt und mit einem goldenen Gesicht versehen, war 35, die rot bemalte grössere 55 Meter hoch. Die Statuen standen damals offenbar in einem durch Felswege und Treppen miteinander verbundenem System von Höhlen und Nischen, einer Art Felsenkloster, in dem Mönche lebten, die das Gesicht des grossen Buddhas jeweils hinter einem Vorhang verbargen, der am Abend gelüftet wurde.

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Interessant ist, dass Xuanzang noch von einer dritten Statue berichtet, einem «schlafenden Buddha», der 300 Meter lang gewesen sein soll. Der heute an der Marc-Bloch-Universität in Strasbourg lehrende Archäologe Zémaryalaï Tarzi, ein Afghane und weiterer Protagonist in Freis Film, hat (bisher vergeblich) versucht, diese dritte Statue zu finden. In The Giant Buddhas sieht man 150 afghanische Arbeiter, die unter Tarzis Leitung tiefe Schächte graben, um nach dieser verschollenen, rätselhaften dritten Statue zu suchen – eine in die Gegenwart zurückführende Suche, die Freis Film eine zuweilen fast kriminalistische Spannung verleiht.

In der Gegenwart, nämlich im März 2001, liegt auch das erschütternde, gewaltsame Ende der beiden grossen Statuen, von denen die kleinere im Jahre 507, die grössere fünfzig Jahre später erbaut worden war. Frei fügt in seinen Film die inzwischen berühmt gewordenen Videoaufnahmen ein, die Taysir Alony, der jahrelang in Afghanistan als Korrespondent des arabischen TV-Senders «Al Jazeera» gearbeitet hatte, von der Sprengung der Statuen gemacht hat. Alonys Aussagen kann entnommen werden, dass die lokalen Taliban-Milizen der Sprengung ursprünglich «skeptisch bis ablehnend» gegenüber standen und letztlich auf Befehl ihres obersten Chefs Mohammad (Mullah) Omar handelten, der die Zerstörung im Frühjahr 2001 in einem religiös motivierten Edikt verfügt hatte. Der auf Anhieb sinnlos erscheinende Angriff auf die leblosen Statuen wird in Freis Film letztlich als ein Schlag gegen die kulturelle Identität der notleidenden afghanischen Bevölkerung gedeutet. Diese ist dem Filmautor im Grunde genommen ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als die Geschichte und das Schicksal der beiden Steinkolosse. Eine Aussage von Taysir Alony bringt es auf den Punkt: «Niemanden auf der Welt hatte vorher gross interessiert, dass in Afghanistan Hunderte, ja Tausende von Kindern verhungerten oder von Minen verkrüppelt wurden! Doch wegen zwei alten Steinfiguren reagierte die Welt nun mit fassungslosem Entsetzen.» Der iranische Filmemacher Mohsen Makhmalbaf, Autor des die Situation in Afghanistan thematisierenden Filmes Kandahar, meint dasselbe, wenn er sagt: «Ich bin jetzt überzeugt, dass die Buddha-Statue nicht demoliert worden ist. Sie zerbröckelte aus Scham. Aus Scham wegen der Ignoranz des Westens gegenüber Afghanistan.»

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Die afghanisch-kanadische Schriftstellerin und Schauspielerin Nelofer Pazira, die in Makhmalbafs Kandahar die weibliche Hauptrolle spielte, ist in Freis Film eine wichtige Protagonistin. Sie erinnert sich an ihren Vater, der als Student mit andern Kommilitonen einst auf dem Kopf des grossen Buddhas musizierte und dem mehrfach zurückgeworfenen Echo lauschte. Sie hatte sich immer gewünscht, die grossen Buddhas einmal sehen zu können. Nun fährt sie ins Bamiyan-Tal und steht erschüttert vor der leeren Nische, in der früher der grosse Buddha gestanden hatte. In einer Vision glaubt sie einige Momente lang, der grosse Buddha sei auferstanden: ein optischer Effekt, den Patrick Lindenmaier und Paul Avondet von Andromeda Film AG in Zusammenarbeit mit der ETH in Zürich zustandegebracht haben. Grundlage dazu waren die exakten Bilddaten des Afghanistan-Instituts in Bubendorf und der Kyoto-Universität in Japan. Diese könnten auch die Grundlage bilden für eine Rekonstruktion der Statuen im Bamiyan-Tal. Anscheinend gibt es neben andern Plänen tatsächlich ein von Paul Bucherer und Professor Armin Grün entwickeltes Schweizer Projekt für eine solche Rekonstruktion. Der Film begleitet ein Team von UNESCO-Experten nach Bami-yan, wo (wie die Erzählstimme im Off berichtet) über eine mögliche Rekonstruktion, die Errichtung eines Mahnmales am Boden und die Restauration der verbliebenen Fresken diskutiert wird. Eine wie es scheint völlig unqualifizierte Kopie des grossen Buddhas von Bamiyan wurde offenbar in China für den «Oriental Buddha Kingdom Park» im südchinesischen Leshan, einer Art Disneyland des Buddhismus, angefertigt. Der kommerzielle Park mit etwa dreitausend Buddha-Replikas befindet sich in der Nähe des (originalen) Leshan Buddhas, der mit 71 Metern Höhe die grösste Buddha-Statue der Welt ist. Christian Frei und sein Kameramann Peter Indergand suchten die Replik des Bamiyan-Buddhas jedoch vergeblich und wurden vom Parkpersonal mit ausweichenden Antworten abgespiesen.

Das grosse Interesse der Weltöffentlichkeit für die nun zerstörten Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal hatte für die unmittelbar betroffenen Bewohner des Tales, Hazara-Familien, die als moderne Höhlenbewohner in den Nischen und Grotten des Kliffes auf ärmliche Weise lebten, höchst unliebsame Folgen. Gegen den ausdrücklichen Willen der UNESCO erklärten der Gouverneur von Bamiyan und ein französisches Hilfswerk die nun leeren Buddha-Nischen als «Weltkulturerbe» und siedelten die Bewohner in ein steriles Hüttendorf auf einem Hochplateau um. Einer dieser einstigen Höhlenbewohner, Sayyed Mirza Hussain, ist einer der wenigen direkten Zeugen der Zerstörung der Bamiyan-Buddhas. In Freis Film wird er damit zu einem seiner wichtigsten Protagonisten. Für Sayyed Mirza Hussain sei der Anblick der Sprengung gewesen, «wie einem Mord zuzuschauen». Die Aussage dieses einfachen Mannes schlägt eine nachvollziehbare Brücke zwischen der historischen Dimension der Riesenstatuen und den aktuellen Lebensumständen der im Bamiyan-Tal lebenden Hazara-Familien. Und um beides ist es Christian Frei in seinem Film gegangen. The Giant Buddhas, sagt er, sei «ein Film über die Vergänglichkeit an sich, ein Film über den Verlust kultureller Identität, über die Suche nach Wahrheit, Schönheit und Vielfalt. Mich hat einfach interessiert, von einem Ereignis, das die Welt erschütterte, auszugehen und mich auf eine Filmreise zu begeben.»

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2005 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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