Eben lief auf dem Gang des Hotels Tilda Swinton vorbei, die in [art:1346] eine Sprechrolle hat. Der Regisseur des Films Wes Anderson, und seine Koautoren, Jason Schwartzman und Roman Coppola, warten derweil im eigens für die Interviews hergerichteten Hotelzimmer auf dem Sofa. Da entdeckt Jason Schwartzman mein Notizbuch und möchte wissen, wo ich es herhabe. Es entspinnt sich ein Gespräch darüber, was uns an Gegenständen fasziniert.
Wes Anderson: Ich weiss, wir müssten eigentlich übers Kino reden, aber was den Reiz der Objekte angeht, beobachte ich bei meiner kleinen Tochter etwas sehr Interessantes. Sie liebt Vinyl. Dabei geht es ihr aber gar nicht darum, die Platten zu hören, sondern vielmehr darum, ihnen zuzuschauen.
Jason Schwartzman: Ich habe ja bei der Geburt meiner Tochter gleich zweihundert Platten gekauft, von denen ich fand, dass man mit ihnen aufwachsen müsse. Musik ist flüchtig und vergänglich, aber im Objekt der Platte wird es materiell.
Wes Anderson: Aber ich glaube, wir müssen nun doch über den Film sprechen.
Filmbulletin: Wie die alltäglichen Dinge mit komplexen Gedanken zusammenhängen, das zeichnet ja auch die japanische Gedichtform des Haikus aus, die in [art:1346] verschiedentlich vorkommt. Im Haiku werden grosse Zusammenhänge, in reduzierte, scheinbar banal-alltägliche Bilder zusammengezwungen. Wie müsste wohl das Haiku lauten, das diesen Film zusammenfasst?
Wes Anderson: Das ist eine schöne Frage, zumal es eine ist, die wir wirklich beantworten können. Ich habe nämlich gerade vor ein paar Tagen wieder die Blätter angeschaut, auf denen wir unsere ersten Ideen für diesen Film notiert haben, und die Stichworte, die sich auf dem allerersten Blatt finden, sind erstaunlicherweise alle im fertigen Film. Was die anderen Notizen angeht, so hat sich im Prozess der Stoffentwicklung so viel verändert, dass fast nichts mehr so ist, wie mal notiert. Aber was auf dieser ersten Seite steht, da hat sich alles bis zum Schluss bewahrt, und es stehen merkwürdige Sachen drauf, tatsächlich wie in einem Gedicht.
Roman Coppola: Sags wie ein Haiku!
Wes Anderson: Okay, da steht: «Gefrässige Hunde, traurige Hunde, Flöhe, Würmer, Zecken, Läuse, Vögel und Ratten. Mach es japanisch. Mach es poetisch.»
Wesentlichen Anteil an der Poesie des Films hat ja auch seine Animationstechnik. Die Stop-Motion-Animation, bei der mit tatsächlichen Puppen und Figuren gearbeitet wird, ist ja diese ganz eigene Mischung aus Materialität und Stilisierung. Ich denke da zum Beispiel an das Fell der Hunde, das so greifbar wirkt und zugleich so merkwürdig.
Wes Anderson: Das ist exakt, was mich daran fasziniert, der Umstand, dass die Arbeit mit den Stop-Motion-Figuren so taktil, so absolut physisch und sinnlich ist und dass zugleich das Resultat beinahe abstrakt anmutet und weniger real ausschaut als irgendetwas anderes. Diese Balance ist es, die mich interessiert.
Jason Schwartzman: Was so toll an Fell ist: Da versucht man bei den verschiedenen Hunden jeweils eine ganz eigene Textur zu bestimmen, aber zugleich ist es immer etwas falsch und unordentlich. Das finde ich geradezu elektrisierend.
Wes Anderson: Ich glaube, dass ist auch der Grund, warum mich das Arbeiten mit Knetfiguren viel weniger interessieren würde. Ich will «Fell-Animationsfilme» machen, wenn es das als eigene Genrebezeichnung gibt. Beim Arbeiten berührt man ja unweigerlich das Fell, und dadurch wird jeder Versuch der Kontrolle sogleich wieder zerstört. Wir haben das so gelöst, dass im Film die ganze Zeit der Wind bläst, der das Fell angeblich durcheinanderbringt. Ich muss immer lachen, wenn ich gefragt werde, wie aufwendig diese Windeffekte zu animieren gewesen seien: Es ist einfach das, was passiert, wenn man nicht vorsichtig genug mit den Figuren umgeht. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich ja nicht selbst die Puppen bewege, sondern das ist ein ganzes Team von Animationskünstler_innen.
Jason Schwartzman: Umso mehr finde ich es immer wieder erstaunlich, wie viele verschiedene Hände da die ganze Zeit an den Figuren dran sind.
Interessant an diesem Aspekt des Unkontrollierbaren in der Stop-Motion-Animation finde ich, dass Ihre Filme sich ja gerade durch
ihre akribisch präzise Ästhetik auszeichnen…
Wes Anderson: … und umso wichtiger ist es, dass die Figuren trotzdem lebendig bleiben, dass sie atmen können.
Ausgehend von den bewusst zugelassenen, subtilen «Fehlern», welche die Animationstechnik unweigerlich mit sich bringt, könnte man etwas Ähnliches nicht auch vom Drehbuch sagen? Auch dort finde ich neben der strengen Komposition all die kleinen Löcher im Plot eigentlich noch interessanter. Die Figur des Hundes Duke zum Beispiel, der immer all die neusten Gerüchte aus der Stadt kennt. Ich frage mich, wo der die Informationen denn überhaupt her hat, hier auf der Gefangeneninsel.
Roman Coppola: Ja, da würde ein Drehbuchguru wohl Einwände erheben.
Werden solche Plot-Holes bewusst ins Drehbuch hineingeschrieben? Oder ist das eher das Resultat davon, dass man sich gegenseitig davon abhält, das Drehbuch allzu perfekt auszumalen?
Wes Anderson: Ich mag das halt sehr gern, all diese Sachen in einer Geschichte drin zu haben, die sich eigentlich nicht wirklich erklären lassen und die nicht so recht Sinn ergeben. Und zugleich gefällt mir, wenn man den Zuschauer_innen unterschiedliche Erklärungsmuster anbieten kann. Die einen im Publikum sagen: Ah, okay, verstanden, das ist witzig, dass wir nicht verstehen, wo Duke seine Sachen herhat, und das passt genau zu dieser Filmwelt, die hier kreiert wird. Die anderen stören sich an solchen ungeklärten Fragen, und ich würde ihnen dann einfach erklären, dass Duke halt in den Szenen, die wir nicht sehen, mit anderen Hunden, die frisch auf die Insel kommen, spricht, oder mit den Vögeln. Aber ehrlich gesagt: Ich weiss es selber nicht, woher meine Figuren ihr Wissen haben.
Das Gespräch führte Johannes Binotto
Die Kritik zu [art:1346] gibt es nachzulesen hier.