Obwohl das Kino ein historisch ausgewiesenes Nahverhältnis zur Eisenbahn pflegt und mit dem Automobil einen engen Verbündeten für ein eigenes Subgenre gefunden hat, bleibt das Schiff sein wundersamstes und symbolträchtigstes Vehikel: Das Schiff ist das älteste Fahrzeug der Menschheit. Und nicht zuletzt deshalb geht es an Bord eines Schiffs stets um die Verfolgung einer Idee, einer Ideologie oder manchmal gar einer Religion. Oder immer wieder, ganz praktisch, eines Feindes oder ganz konkreten Ziels: Das welterste Schiff mit Eigennamen ist Jasons «Argo», und dessen Begehr, für das er eigens seinen offenen Einmaster anfertigen lässt, ist nicht weniger als das Goldene Vlies. Auf einem Schiff unterwegs zu sein, das bedeutet im Kino, das gesamte Spektrum des Lebens erzählt zu bekommen: von der Geburt bis zum Untergang. Auf dem Schiff liegen die grössten Hoffnungen, und mit ihm legt man die letzten Meter des Lebens zurück; träumt man von neuen Ufern oder lässt sich von Charon ins Reich der Toten übersetzen. Das Schiff ist Fluchtort und Schutzraum, Tatort und Verlies.
Ein Schiff zu besitzen, bedeutet im Film Herrschaft, Autonomie, Hoffnung und Verantwortung. Für den Menschen hat es seit Noahs gezimmerter Arche dafür schon immer eines guten Grunds bedurft, und sei es ein noch so provisorisches Schiffchen wie Moses’ geflochtenes Körbchen. Der grosse Zweifler in Darren Aronofskys nur sehr lose von der Bibel inspiriertem Monumentalfilm Noah (2014) baut sich sein 300 Ellen langes Schiff allen Widrigkeiten zum Trotz, weil er es als Gebot betrachtet. Mit dem grössten Rettungsschiff der Mythologie bewahrt der erste und letzte Seemann vor dem Herrn seine auserwählte Familie vor dem Untergang – und sichert der Menschheit sowie den «reinen und den unreinen» Tieren ihren Fortbestand. Doch nicht nur für die menschliche Nachwelt, auch für das Kino sind solche Erzählungen ein Segen, wenngleich Noahs schwarze Arche vor dunkelgrauem Himmel aussieht wie ein riesiger Tanker der Apokalypse. Die ersten Schiffe hingegen werden nie die letzten sein, und so stehen sie im Film oft für den Anfang und das Ende zugleich ein: des Einzelnen, der Gemeinschaft oder gar einer ganzen Zivilisation. Terrence Malicks The New World (2005) beginnt mit der Ankunft dreier englischer Schiffe an der Küste der Neuen Welt, die ihren Namen der Beschreibung eines florentinischen Seefahres verdankt: Amerigo Vespucci. Und im Inneren eines dieser majestätischen Zweimaster wartet der eingesperrte John Smith bereits auf seine Chance…
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