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Zerstörte Träume und der Wunsch nach Würde in The Burdened

Eine Abtreibung bringt im Jemen eine Familie in arge Bedrängnisse. Amr Gamal erzählt mit sensiblem Gespür von den schmerzhaften Auswirkungen des Bürgerkriegs.

Text: Sarah Stutte / 15. Aug. 2024
  • Regie

    Amr Gamal

  • Buch

    Mazen Refaat, Amr Gamal

  • Kamera

    Mrinal Desai

  • Schnitt

    Rebecca Trösch

  • Darsteller:innen

    Khaled Hamdan, Abeer Mohammed, Samah Alamrani

Ein Blick von oben auf das nächtliche Treiben vor einer Markthalle. Erst hören wir die Stimme von Ahmed, der zusammen mit seiner Frau Isra’a in der Hafenstadt Aden im Süden des Jemen lebt. Dann sehen wir beide in der Halle vor einem Stand. Sie kaufen Gemüse. Auf dem Weg nach draussen beschwert sich Ahmed über den Preis, den er für zu hoch hält.

Früher war das Ehepaar beim zweitgrössten TV-Sender des Landes angestellt. Dann verloren beide ihre Jobs. Schuld daran ist der seit 2014 tobende Bürgerkrieg, der das ohnehin ärmste Land der Arabischen Halbinsel in eine schwere Wirtschaftskrise stürzte. Nun kümmert sich Isra’a um die gemeinsamen drei Kinder und Ahmed fährt mit seinem Minibus Taxi.

The Burdened ist der erste Spielfilm aus dem Jemen, der je an die Berlinale eingeladen wurde. Im letzten Jahr gewann er dort den Amnesty-International-Filmpreis. Am Festival erzählte Regisseur Amr Gamal von den schwierigen Bedingungen, von denen die Dreharbeiten geprägt waren – Stromausfälle, Wassermangel, Militärkontrollen.

Dieses ständige Gefühl der Unsicherheit wird auch in den Alltagsszenen spürbar. Nicht nur, wenn Ahmeds Bus von einem Militärfahrzeug gerammt wird, im Krankenhaus plötzlich das Licht ausgeht oder er mit zwei Kanistern in den Händen das Schloss zum örtlichen Wassertank aufbricht. Auch auf seinen letzten Lohn vom Sender wartet das Paar immer noch. Aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten müssen sie umziehen. Doch das allein wird ihre Probleme nicht lösen, denn Isra’a ist wieder schwanger. Ein weiteres Kind kann sich das Paar schlichtweg nicht leisten und entscheidet sich deshalb für eine Abtreibung. Eine solche ist im Jemen aber aus religiösen Überzeugungen grundsätzlich verboten und einzig erlaubt, sollte die Schwangerschaft das Leben der Mutter gefährden. Ahmed und Isra’a suchen verzweifelt nach einer Lösung und bringen damit nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern auch eine befreundete Ärztin in einen
moralischen Konflikt.

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Kameramann Mrinal Desai arbeitet oft mit Weitwinkelaufnahmen. Diese erfassen die Umgebung, wenn die Protagonist:innen schon lange nicht mehr im Bild sind. Sie ruhen minutenlang auf den Menschen in den Strassencafés und schmalen Gassen, fangen das Leben in einer zerstörten Umgebung ein. Auch diese spart die Kamera nicht aus. Zeigt uns zerbombte Häuser als verletzte Zeugen der Schlacht zwischen den Huthi-Rebellen und der jemenitischen Armee um die Kontrolle über Aden.

Die Authentizität dieser Szenen spiegelt die Willenskraft der Bevölkerung, unter widrigen Bedingungen weiterzumachen. Diese dokumentarisch anmutenden Momente schlagen nicht nur eine Brücke zur fiktionalisierten Erzählung, sie gehen weit darüber hinaus. Auch deshalb, weil die Geschichte selbst auf einer wahren Begebenheit beruht. Gamal kennt sie aus seinem eigenen Freundeskreis.

Die Abtreibung steht in The Burdened aber immer auch als Metapher für die zerstörten Träume der Jemenit:innen von einem Leben in Würde. Gamal erzählt vom Abschied, indem er die Erinnerungen an seine einst blühende Heimatstadt festzuhalten versucht. Im Abspann blitzt kurz eine Widmung auf: Samira Abdo Ali (1947–2021). Sie war die erste TV-Direktorin des Landes, Künstlerin und Cartoonistin aus Aden. Eine Hoffnungsträgerin für die Kultur und Fortschrittlichkeit des Landes. Der Krieg hat diese Hoffnung zunichte gemacht.

 

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2024 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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