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Fish and cat 01

Fish and Cat / Mahi va gorbeh

Wie eine Schrifttafel am Anfang verlautet, basiert Fish and Cat auf einem im Iran weithin bekannten realen Fall aus den neunziger Jahren, in dem einige Studenten spurlos verschwanden und daraufhin Restaurantbetreiber in derselben Gegend der Verwendung von Menschenfleisch angeklagt wurden. So etabliert Regisseur Shahram Mokri gleich zu Beginn eine Atmosphäre des Suspense und des drohenden Unheils.

Text: Natalie Böhler / 10. Dez. 2014

Wie eine Schrifttafel am Anfang verlautet, basiert Fish and Cat auf einem im Iran weithin bekannten realen Fall aus den neunziger Jahren, in dem einige Studenten spurlos verschwanden und daraufhin Restaurantbetreiber in derselben Gegend der Verwendung von Menschenfleisch angeklagt wurden. So etabliert Regisseur Shahram Mokri gleich zu Beginn eine Atmosphäre des Suspense und des drohenden Unheils, und das Publikum kann gar nicht anders, als den Film unter diesen Vorzeichen zu sehen.

Der Inhalt ist rasch erzählt: Eine Gruppe Studenten aus Teheran campiert am Ufer eines abgelegenen Sees, um an einem Drachenflugwettbewerb teilzunehmen. Ganz in der Nähe treiben sich tatsächlich finster wirkende Gasthofbesitzer herum, denen das Fleisch ausgegangen ist und die immer wieder auf die jungen Leute treffen. Durch den schon im Voraus hergestellten gruseligen Unterton spielt Fish and Cat mit Elementen des Horror- und Stalker-Genres. Die abweisende Landschaft mit ihren winterlich kahlen Bäumen und ihrer wunderschön fahlen, silberstichigen Farbpalette trägt ebenso kräftig zur unterschwelligen Bedrohlichkeit bei wie der Score, der überdeutlich an Hitchcocks Psycho gemahnt. Gewalttaten werden keine gezeigt, doch antizipieren wir sie fortlaufend.

Die Kamera von Mahmud Kalari (A Separation) folgt während des ganzen Films einzelnen Leuten und reiht episodenhaft Gegebenheiten aneinander, die keine kohärente Erzählung ergeben, sondern immer wieder Momente der Spannung herstellen und wieder auflösen – ein kühnes Experiment mit den Zuschauern, denen ein spannend ungemütliches Erlebnis geboten wird: Sie sind der geisterhaft schwebenden Kamera und ihren manchmal unlogischen erzählerischen Sprüngen ausgeliefert. Zwischen den Episoden und Anekdoten ergibt sich kaum eine Sinnkohärenz, die einzelnen Leute und Geschichten stehen in einer eigenartigen Beziehungslosigkeit zueinander, zusammengehalten lediglich durch den Ort und die mäandrierende Kameraführung. Die Katastrophe, die man dabei erwartet, entzieht sich einem immer wieder. Das braucht beim Zuschauen gehörig Nerven, regt aber zugleich die Phantasie stark an. Zusätzlich legt Fish and Cat dadurch offen, welche Konstruktionsprozesse wir beim Zuschauen vornehmen, wie wir Fragmente einer Story zusammenfügen und dabei von narrativen Konventionen geleitet werden. Werden diese Konventionen aber, wie hier, von der filmischen Erzählung unterlaufen, stehen wir als Zuschauer immer wieder an, und unsere Sinnkonstrukte laufen ins Leere. Auf diese Weise spielt der Film mit unserem Vertrauen in sein narratives Gefüge. Kaum aber haben wir uns an die falschen Fährten gewöhnt, die der Film auslegt, und wähnen uns in Sicherheit, kommt es dann doch anders – wie, sei hier nicht verraten.

Fish and cat 02

Fish and Cat ist ausserdem ein formales Experiment: Er weist keinen einzigen Schnitt auf, sondern ist in einer einzigen Einstellung gedreht, die 134 Minuten dauert – so lange also wie der gesamte Film. Dadurch spare man sich, so der Regisseur, zwar die mühselige Arbeit am Schnitt, müsse aber dafür mit den Schauspielern so lange akribisch proben, bis das Timing bei allen haargenau stimme (da die Möglichkeit, durch den Schnitt zu korrigieren, ja entfällt). Die Kamera fängt fortlaufend das Geschehen ein, wobei manchmal subtile Ungereimtheiten und Stolperer im Raum-Zeit-Kontinuum beim Publikum Déjà-vus hervorrufen: Haben wir diese Szene nicht bereits gesehen, hat sie sich nicht bereits ereignet? Dass nicht nur die Erzähllogik und die Handlungsstränge aus den Fugen geraten, sondern sogar die Zeit selbst, steigert das Unbehagen noch und verleiht ihm eine metaphysische Dimension. Die existenzielle Absurdität und der finstere Humor, die den Film prägen, sind verstörend und wirken noch lange nach Filmende nach. Sie erinnern an andere iranische Filme der neuen Generation, so etwa an Mani Haghighis brillantes Anti-Roadmovie Modest Reception (2012); auch hier finden sich die Gegensätze zwischen den Generationen, der Stadt und der kargen, wilden Provinz, in der die Regeln anders lauten, sofern es überhaupt welche gibt. Ob die Absurdität undurchschaubarer, verwirrender Ereignisse dem Lebensgefühl einer jungen (Filmemacher-)Generation entspricht, lässt sich an dieser Stelle nur mutmassen.

Einen Film in nur einer Einstellung zu drehen, habe noch einen Vorteil: Es sei für die strikte iranische Zensurbehörde sehr viel schwieriger, Szenen herauszuschneiden, scherzte Shahram Mokri an einer Diskussion über seinen Film am Festival in Fribourg diesen Frühling. Auch die bedrohliche Atmosphäre des Films trägt wohl eine politische Ebene; so wurden in dem Jahr, in dem der Film spielt, von der Regierung besonders viele Inhaftierungen vorgenommen. Dass sich eine direkte Metaphorik fürs historische Zeitgeschehen findet – eine Erzählweise, die im iranischen Kino Tradition hat –, ist durchaus möglich, lässt sich ohne mehr Kontextwissen hier aber nicht sagen. Hingegen ist es gut vorstellbar, dass die atmosphärischen Ambivalenzen und das Misstrauen, das das Fehlen einer logischen, durchschaubaren Erzählung hervorruft, als indirekter Ausdruck eines Empfindens steht, das an der grundsätzlichen politischen wie auch metaphysischen Sinnkohärenz seiner Lebenswelt zweifelt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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