Wie Schachfiguren stellen sich die Protagonistinnen in Laura Ferrés’ Debüt La imatge permanent auf. Im histo-fiktionalem Film hat jede Figur ihren eigenen Platz, vollzieht ihre eigene Bewegung und besitzt eine eigene Geometrie. Die Bildkomposition wirkt wie ein Familienporträt, das sich hier einer langen Belichtung aussetzt. Statisch und möglichst ausdrucksstark.
Bewegungslos sitzen im ländlichen Andalusien der Sechzigerjahre auch Antonia und ihre Mutter vor der Kamera, den Trauerschleier aus dem Gesicht geschoben, den Tod des Vaters betrauernd, der später durch eine Doppelbelichtung wie ein Geist über ihnen schwebt. Doch dass Antonia von unsichtbaren Geistern oder Vätern (unter der Erde oder im Himmel) beherrscht würde, kann man nicht sicher sagen. Breit strahlt der unbeugsame Teenager in die Kamera, das Schicksal nicht einfach in die Hand Gottes legen wollend. Antonia ist hochschwanger, zwölf Jahre alt, und will ausbrechen aus den strikten Konventionen, die das katholische Spanien, ihre Mutter und der Priester ihr auferlegen. Sie träumt von einer Insel, auf der Bananen wachsen, und auf der sie nicht nur auf ihre Disziplin oder Schönheit reduziert werden würde. Auf der sie nicht ihre Haare verliert wie ein schlachtfertiges Huhn seine Federn, wenn sie sich einmal wieder nicht im Zaum halten konnte. Deshalb verlässt Antonia in einer Nacht- und Nebelaktion nicht nur das Dorf, in dem sie aufwuchs, sondern auch ihre Familie und ihre Tochter, die sie gerade eben zur Welt brachte.
50 Jahre später, Szenenwechsel ins kosmopolitische Katalonien, wo Carmen (María Luengo) lebt. Dort arbeitet diese als Scout für die Werbefirma Nova Image. Ausschnitt der Kampagne «Fumar Mata» (Rauchen ist tödlich): Mutter und Tochter betrauern den Vater im Sarg; wobei Carmen den Toten immer wieder ermahnen muss, sich nicht zu bewegen.
Für eine weitere politische Kampagne sucht Carmen «authentische» Persönlichkeiten, die ihre migrantischen Erfahrungen mit der Kamera teilen. Ein Gesicht sticht Carmen dabei besonders in Auge: Antonia (Rosario Ortega) verkauft auf den Strassen der Grossstadt aus Bananen hergestelltes Parfüm, besitzt eine Vogelpfeife und auch einen Hang zur Gewalttätigkeit. Carmens ungefragtes Fotografieren quittiert sie nämlich prompt mit einem Schlag auf die Nase. Mit einem Pflaster verarztet, lässt Carmen jedoch nicht von Antonia ab und so entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine Freundschaft. Die sich entfaltende Zärtlichkeit vermag es, die Ernsthaftigkeit und Einsamkeit, die beide Frauen umgab, allmählich zu lindern. Ein unsichtbares Band verbindet Carmen und Antonia, die sich inmitten des Chaos und der Absurdität des Lebens (wieder)gefunden haben.
Ferrés, 34 und selbst gebürtige Spanierin, flicht in ihrem Debüt Erlebnisse ihrer Grossmutter mit ein, die im Nachkriegs-Spanien von Andalusien nach Katalonien kam. Dieser persönliche Bezug spiegelt sich in der Darstellung der weiblichen Figuren – denn was Ferrés porträtieren kann, sind Frauen: Vielschichtige und interessante Frauen, die – auch dem Wunsch der Filmfigur Antonia folgend – nicht nur auf das Äussere reduziert werden. Sie lassen sich nicht einordnen, sind zärtlich und abweisend, sind, wie Menschen auf einem doppeltbelichteten Bild, präsent und doch Geister ihrer selbst. Dabei zeigt Ferrés’ Porträt Spaniens die Zwischenräume des Lebens. Gekonnt führt die Regisseurin vor, wie der dort herrschende Arbeitsalltag, die einengenden, von Religion getränkten Erwartungen an Frauen und die in der Grossstadt herrschende Vereinsamung zunehmend Abdrücke hinterlassen. Die Absurdität des Lebens zeichnet jedes Gesicht und lässt es schlussendlich zum Verschwinden bringen.
Auf der Leinwand zeigt sich in La imatge permanent ein Konglomerat aus Vogelkäfigen in abgedunkelten Räumen, Werbefilme von ungewollter Komik und der Geschichte Spaniens, die durch andalusische Volkslieder erlebbar wird. Ferrés weiss ihre Bilder immer wieder zu unterlaufen. Sie nimmt sich und ihre eigene Geschichte ernst. Aber auch nicht allzu ernst. Besonders Luengos Carmen besticht immer wieder durch ihre skurrile Art und bissigen Humor. So muss man trotz allem, was einem an diesen beiden berührenden Frauenbiografien wehtut, wegen der allgegenwärtigen Absurdität immer wieder schmunzeln. Zurück lässt Ferrés bereits mit ihrem ersten Film ein permanenter Abdruck.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Locarno Critics Academy am Locarno Film Festival.