Im Jahr 2009 wurde Iván Simonovis, ehemaliger Polizeichef von Caracas, auf direkten Befehl des damaligen Präsidenten Hugo Chávez zu 30 Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Simonovis soll während einer Demonstration im Jahr 2002 Sicherheitskräften den Befehl gegeben haben, auf regierungsnahe Demonstranten zu schiessen. Durch seine Inhaftierung wurde Simonovis zu einem der bekanntesten politischen Gefangenen Venezuelas und ein Gesicht der venezolanischen Opposition. Simonovis verbrachte zehn Jahre seiner Haftstrafe im Gefängnis und fünf im Hausarrest – bevor es ihm gelang, aus dem Land zu fliehen.
Simonovis Sohn, Iván Andrés, reiste während der Gefangenschaft wann immer möglich von Deutschland – wo er damals studierte und heute im Exil lebt – nach Venezuela, um seinen Vater im Hausarrest besuchen und filmen zu können. Anhand dieser Aufnahmen und Material aus dem Familienarchiv erzählt Iván Andrés Simonovis Pertíñez in My Father’s Prison die Geschichte seines Vaters, die gleichzeitig auch ein Teil der Geschichte Venezuelas ist.
Iván, Ihr Film My Father’s Prison hat am Visions du Réel 2023 Weltpremiere gefeiert. Wie haben Sie den Abend erlebt?
Es war mir eine Ehre, meinen ersten Langfilm am Visions du Réel zeigen zu können. Ich liebe dieses Festival. Gleichzeitig ist es aber auch eine Art Folter, den eigenen Film immer wieder sehen zu müssen. Und ich war sehr nervös. Einerseits weil viele meiner Freund:innen gekommen sind, andererseits weil der Film extrem persönlich ist; er die Schmerzen meiner Familie, meines Landes zeigt – und teilweise auch sehr gewalttätig ist.
Einige der Filmproduzent:innen sind aus Sicherheitsgründen anonym geblieben. Welche weiteren Sicherheitsvorkehrungen mussten Sie während des Filmdrehs treffen?
Als mein Vater unter Hausarrest stand, hatte der Geheimdienst innerhalb unseres Hauses Überwachungskameras installiert und beim Eingangstor gab es eine Polizeikontrolle. Aus diesem Grund hatte ich immer nur eine kleine Kamera dabei, in einer doppelbodigen Reisetasche versteckt, damit ich sie an den Wächtern vorbeischmuggeln und meinen Vater im Hausarrest filmen konnte. Ausserdem hatten wir das gefilmte Material immer auf zwei Festplatten. Eine war bei mir und die zweite bei einer anderen Person der Filmcrew. Das sind Dinge, die man in diktatorischen Ländern mit politischer Verfolgung beachten muss.
Im Gespräch nach dem Film haben Sie erzählt, dass Ihr Vater, der vor seiner Inhaftierung als Polizeichef von Caracas tätig war, während der Film-Interviews manchmal in einen «Performance-Modus» verfiel. Wie sind Sie damit umgegangen?
Sobald die Kamera lief, nahm mein Vater die Rolle des Polizeiagenten ein, so ist er auch in einigen Szenen im Film zu sehen. Als ich dann zurück in Berlin war, habe ich die Kamera weggelegt und ihn angerufen – und sobald er durch das Telefon sprach, hatte er diesen Verteidigungsmechanismus nicht mehr und ich konnte ihn viel besser erreichen. Also habe ich unsere Telefongespräche aufgenommen.
Warum funktionierte es am Telefon besser?
Während den Jahren, in denen er im Gefängnis war, durfte er einmal pro Tag mit uns telefonieren. Das Telefon gab ihm damals die Möglichkeit, für uns da zu sein und seine Emotionen mit uns zu teilen. Aber trotzdem – am Ende ist er ein Polizist und Polizist:innen haben eine Art, mit ihren Gefühlen klarzukommen, die anders ist, als beispielsweise bei uns Künstler:innen.
Welche Chancen und Herausforderungen gibt es, wenn die Beziehung zwischen Filmemacher:in und Protagonist:in so nahe ist wie in Ihrem Film?
Ich habe mich nicht absichtlich dazu entschieden, diesen Film zu machen. Gerade hier in Europa gibt es Leute, die Zeit und Ressourcen haben, ein Thema auszuwählen und dann irgendwo in Afrika oder Lateinamerika einen Film zu drehen. Diesen Luxus hatte ich nicht. Es war eine extrem persönliche Geschichte und ich war der Einzige, der Zugang und eine Kamera hatte. Als ich den Film gedreht habe, dachte ich nicht, dass er so werden würde, wie er heute ist. Ich dachte immer, dass mein Vater sterben wird und habe deshalb versucht, mit der Kamera Erinnerungen zu schaffen – für eine Zukunft ohne ihn. Deswegen ist der Film so persönlich. Jetzt, da mein Vater ein freier Mann ist, sehe ich ihn anders. Ich kann nun auch seine Defizite besser sehen, aber wenn jemand im Gefängnis sitzt, ist das vergleichbar mit jemandem, der im Krankenhaus liegt.
Die Venezolaner:innen sehen ihn noch viel weniger kritisch als ich. Er wird immer als eine Art Held dargestellt – von denjenigen, die gegen die Regierung sind. Die anderen hassen ihn. Er ist eine kontroverse Figur.
In einer der letzten Szenen des Films, kurz vor der Flucht, gehen Sie ein letztes Mal in die Wohnung Ihrer verstorbenen Grossmutter. Sie wird im Zentrum Ihres nächsten Films stehen, richtig?
Ja, meine Oma hat eine sehr interessante Geschichte. Sie kam aus Bremen und ist nach Venezuela ausgewandert. Vor zehn Jahren ist sie gestorben und ich glaube, jetzt ist der richtige Moment, um einen Film über sie zu machen. Ich habe schon ein paar Ideen und viel Archivmaterial, aber ich muss noch Gelder für die Finanzierung beantragen. Ich brauche vor allem auch Zeit, um zu denken.
Der Beitrag entstand im Rahmen einer Exkursion des MA Kulturpublizistik der ZHdK ans Filmfestival Visions du Réel in Nyon.