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Like Father, Like Son

Es beginnt mit einer kleinen Lüge. Bei einem Aufnahmegespräch für die Grundschule berichtet der aufgeweckte sechsjährige Keita, wie sein Vater, Ryota Nonomiya, ihm während eines Camping-Urlaubes das Drachenfliegen beigebracht habe. Der Urlaub hat allerdings nie stattgefunden, wie wir wenig später erfahren, ebenso wenig die Lektion im Drachenfliegen.

Text: Michael Ranze / 16. Dez. 2013

Es beginnt mit einer kleinen Lüge. Bei einem Aufnahmegespräch für die Grundschule berichtet der aufgeweckte sechsjährige Keita, wie sein Vater, Ryota Nonomiya, ihm während eines Camping-Urlaubes das Drachenfliegen beigebracht habe. Der Urlaub hat allerdings nie stattgefunden, wie wir wenig später erfahren, ebenso wenig die Lektion im Drachenfliegen. Keita hat auf Geheiss seiner Eltern gelogen, um einen guten Eindruck zu machen. Denn in Wirklichkeit hat Ryota, ein ehrgeiziger Architekt, für seine Familie keine Zeit, weil er bis spät in den Abend arbeitet, um seine Karriere voranzutreiben. Nicht, dass er seine schöne Frau Midori und seinen Sohn, für den er sich eine erfolgreiche Zukunft ausmalt, nicht liebte. Aber mit seiner steifen, unbeholfenen Art wirkt er wie ein Fremdkörper im familiären Miteinander, das modern eingerichtete Apartment, das irgendwo in einem Hochhaus mitten in Tokio versteckt ist, strahlt eine Kühle aus, die Ryotas Gefühlswelt zu spiegeln scheint. Doch schon bald wird das wohlgeordnete, durchgeplante Leben der Nonomiyas gehörig durcheinandergewirbelt. Das Krankenhaus, in dem Keita vor sechs Jahren zur Welt kam, informiert die Eltern darüber, dass der Bub nach der Geburt vertauscht wurde. Ihr leiblicher Sohn ist in der Familie von Yudai Saiki aufgewachsen, der in einem Vorort einen bunt gemischten Elektroladen betreibt. Die Saikis leben mit ihren drei Kindern in einer kleinen Wohnung über dem Geschäft, Yudai ist mit ungepflegten Haaren und achtlos zusammengestellter Kleidung schon äusserlich als Lebenskünstler kenntlich, der die Dinge nicht so eng sieht. Beide Elternpaare, so unterschiedlich sie auch sein mögen, zögern zunächst, ihre Söhne sofort auszutauschen. Sie kommen überein, dass man sich zunächst trifft, näher kennenlernt, die Jungs vielleicht einmal übers Wochenende in der anderen, der leiblichen Familie übernachten lässt.

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Der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda ist in Europa vor allem durch Nobody Knows (2004), dem beklemmenden Drama einer alleinerziehenden Mutter, die einfach ihre vier Kinder verlässt, und Still Walking (2008) bekannt geworden, der Geschichte eines Ehepaares, das seinen Sohn bei dem Versuch, einen Ertrinkenden zu retten, verloren hat, ein ebenso sensibel inszenierter wie feinfühlig beobachteter Film über das Leben – auch wenn der Tod das Familientreffen überschattet. Themen wie Generationenkonflikte, unvollständige oder durch Traumata gefährdete Familien, Zusammenleben, Älterwerden und Sterben erinnern an die Filme des grossen Meisters Yazujiro Ozu, auch stilistisch nähert sich Kore-eda mit erzählerischer Einfachheit und bewundernswerter Lebensklugheit dem Vorbild an. Zwei Babys werden nach der Geburt vertauscht – diese schlichte Erzählprämisse ist für Kore-eda Anlass, über Elternschaft nachzudenken, über Familienbande und die Verantwortung der Erziehungsberechtigten. Dabei geht es vor allem – der englische Verleihtitel deutet es bereits an – um die Erwartungen des Vaters, für Ryota hat die leibliche Vaterschaft absoluten Vorrang. Blut ist dicker als Wasser, so heisst es, doch sind die vererbten Gene wichtiger als die Zeit, die ein Kind in einem anderen Elternhaus verbringt, als die Erziehung, vor allem die Liebe, die es dort erfährt? Die Antwort darauf ist nicht einfach, so wie sich auch die Filmfiguren ihre Entscheidung nicht leichtmachen, und so nähert sich der Regisseur, ähnlich wie es Etienne Chatiliez in La vie est un long fleuve tranquille 1987 getan hat, seinen Fragen mit mild ironischen Kontrasten, die das Gefälle zwischen den beiden Familien betonen. Doch während Chatiliez eine wilde, nicht immer geschmackssichere soziale Satire im Sinne hatte, konzentriert sich Kore-eda auf die unterschiedlichen Charaktere der Paare und ihre konträren Lebensentwürfe. Dem bürgerlichen, eleganten, aber auch distanzierten Lebensstil der Nonomiyas steht das lebendige Chaos der Saikis gegenüber, manchmal mit komischen Folgen: Zum ersten Treffen fährt Yudai mit einem klapprigen Nissan-Bulli vor und parkt umständlich neben Ryotas Nobelkarosse ein, sodass man unwillkürlich lachen muss. Kore-eda wertet allerdings nicht. Ryota entspricht nur den Erwartungen der japanischen Gesellschaft, in der beruflicher Erfolg und Corporate Identity alles sind und Individualität kaum zählt. Yudai hingegen ist trotz seiner Nachlässigkeit ein geschickter Handwerker, der Keitas Spielroboter wie selbstverständlich repariert – etwas, wofür Ryota nie die Zeit oder die Geduld findet. Spannend auch zu verfolgen, wie sehr sich die Kinder in ihre neue Umgebung einfügen. Besonders der zurückhaltende Keita lebt unter seinem liebevollen, verspielten biologischen Vater förmlich auf – sehr zum Unwillen von Ryota.

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Kore-eda treibt in seiner für ihn typischen, ebenso kraftvollen wie sanften Inszenierungsweise die Handlung nicht voran, sondern wirft den Zuschauer in kleine, zärtlich beobachtete Augenblicke, die melodramatische Zuspitzungen vermeiden. So lernt man Ryota immer besser kennen und auch zu verstehen. Auch er hatte eine schwere Kindheit, wie ein Besuch bei seinem Vater und seiner Stiefmutter andeutet, und dann kommt es mitten im Film, quasi als Essenz und Begründung seines Verhaltens, zur Begegnung mit der Krankenschwester, die sich mit Geld von ihrer (im Übrigen mutwillig aufgeladenen) Schuld freikaufen wollte. «Sie haben meine Familie zerstört!», klagt er sie an, während er ihr den Umschlag mit dem Geld zurückgibt, und in diesem einen Satz ist seine ganze Tragik begründet.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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