Ein trüber Fischtank, ein darin stochernder Stock, um die halbtoten Tiere in Bewegung zu versetzen. Die Eröffnungsszene in Animal setzt zugleich die Stimmung von Sofia Exarchous neustem Film, der in Locarno Premiere feierte und von domestizierten Tieren im vermeintlichen Ferienparadies erzählt.
Griechenland, Strand, Meer, die All-Inclusive-Hotels reihen sich wie Sardinenbüchsen aneinander. Hier, im Herzen des Massentourismus, arbeitet Kalia (Dimitra Vlagopoulou) im Hotel Mirage als Animateurin. Sie gehört zu einer Gruppe von Aussenseiter:innen, die abseits des Hotelkomplexes nirgends hingehören zu scheinen. Doch hier begeistern sie zumindest die Hotelgäste. Sie animieren, unterhalten und kokettieren. Kalia stochert mit ihrem Stock im trüben Tank, um die Gäste aus ihrer sommerlicher Trägheit herauszureissen – «Yes sir, I can boogie, all night long», schmettert sie ins Mikrophon und die Zuschauer:innen singen und tanzen mit. Dabei vergisst Kalia nie ihr Gesicht, es strahlt, um jeden Preis. Schnell werden die Schattenseiten des Animateur:innen-Daseins sichtbar. Die langen Arbeitsstunden, die prekäre Wohnsituation in einer Slum-ähnlichen Unterkunft, die Leere, die in Kalia tagsüber herrscht. Doch sobald die Nacht einkehrt und die Bühne ihr gehört, füllt Kalia, mit Extensions in den Haaren, Make-Up im Gesicht, ihre Nächte mit Exzessen und Alkohol. Dabei gibt sie Acht, das Padding im BH nicht zu vergessen, denn die Tourist:innen wollen etwas geboten bekommen und da wird auch gerne mal zugepackt. Doch «we never stop, no matter what», sagt Kalia, und meint es ernst. Die Party geht jede Nacht weiter. Auch nachdem sich Kalia im Club am Knie verletzt. Sie beisst die Zähne zusammen, tackert sich die blutige Wunde selbst zusammen, schaut in den Spiegel, richtet sich die Haare und schmückt sie mit Strasssteinen.
Denn hier im Party-Mekka wird nicht über das Unglück geredet. Hier werden klaffende Wunden und sexuelle Übergriffe in Alkohol ertränkt, bis nur noch eine Hülle des Selbst zurückbleibt. «Yes sir, I can boogie, all night long», singt Kalia deshalb in Dauerschleife. Und das tut sie auch heute, morgen und übermorgen, dabei rinnen ihr nie versiegen wollende Tränen über die eingefallenen Wangen.
Und so wiederholen sich auch die Szenen in Animal ständig und ergeben eine Akkumulation von Unglück und Leid, welches bei Exarchou unausweichlich mit Weiblichkeit verknüpft ist. So ist es am Ende Eva (Floria Papadaki), die Neue in der Truppe, die anstelle von Kalia für die Zuschauer:innen performt. Die gleichen Tränen glitzern in ihren Augen, die nächste Schallplatte ist eingelegt – ein weiblicher Menschenverschleiss.
So sorgt Exarchou zwar für brutale Ehrlichkeit, jedoch nicht für viel Plot. Wie ein dystopisches Karussell dreht sich die Handlung im Kreis und findet weder Anfang noch Ende. Tourist:innen kommen und gehen, doch die Animateur:innen bleiben und drehen sich im Kreis, werden bei Nacht selbst zu Tieren, domestiziert, um zu entertainen. Das birgt narratives Potenzial, welches Exarchou jedoch nicht vollständig ausschöpft. Denn obwohl Animal ein erschreckendes Bild einer Gesellschaft zeichnet, schafft es Exarchou nicht, ihre Gesellschafts- und Kapitalismuskritik deutlicher herauszuarbeiten. Der Film verharrt in einer Vagheit, welche ihn trotz enormer Schauspielleistung und aufschürfender Thematik platt macht. Und so schwimmt Animal träge im Fischtank, in dem nur ab und zu gestochert wird.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Locarno Critics Academy am Locarno Film Festival.