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Ex Libris: The New York ­Public Library

Es geht nicht um Bücher, es geht um Menschen. Die öffentliche Bibliothek in New York steht auch in Zeiten der Digitalisierung für soziale Teilhabe. Sie bietet Bildung und Kultur für alle. 

Text: Tereza Fischer / 13. Feb. 2018

Der Film beginnt mit der Gebäudeanschrift «The New York Public Library» und springt dann zurück zur Aussenansicht des imposanten Hauptgebäudes der Bibliothek an der Fifth Avenue. Ein kurzes Autohupen begleitet diese äusserst knappe Einführung. Das wirkt, als würden zwei Ausrufezeichen den Film eröffnen, bevor wir mitten in eine Podiumsdiskussion in der Eingangshalle der Bibliothek geraten. Also aufgepasst!
Der gut besuchte Event wird eine von vielen Veranstaltungen sein, die wir im dreieinhalb Stunden und dabei nie zu langen Dokumentarfilm von Frederick Wiseman erleben. In ausführlichen und vollkommen unkommentierten Ausschnitten, die sich wie ein Mosaik zu einem Gesamtbild der öffentlichen Institution fügen, porträtiert er die New York Public Library. Das Spätwerk des 87-jährigen Filmemachers gilt der Kultur und der Bildung, die Filme (etwa National Gallery, [art:la-danse-le-ballet-de-lopera:La Danse], Crazy Horse oder At Berkeley) sind aber immer noch in seinem ganz eigenen Stil gehalten. Dazu gehört der Verzicht auf alle erklärenden und kommentierenden Elemente, auf Off-Kommentare, Schrift, aber auch auf extradiegetische Musik. Die Zuschauer_innen sollen selbst ihre Schlüsse ziehen. Und Wiseman lässt sich bei der Erkundung einer Institution Zeit. Dabei gewähren nicht nur die Filme uns viel Raum, in einen komplexen Mikrokosmos einzutauchen, auch Wiseman verbringt viele Wochen damit, alle Vorgänge und die Menschen zu beobachten. Aus Hunderten von Stunden Filmmaterial kondensiert er die Essenz, aber auch eine eigene Haltung dem Sujet gegenüber.

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Das Interessante an seiner unverkennbaren Handschrift ist, dass er zwar immer gleich vorgeht, damit aber dennoch imstande ist, genau die spezifischen Eigenheiten der jeweiligen Institution aufzu­decken. So wechseln sich auch in Ex Libris wie in all seinen Filmen die langen Szenen im Innern mit einer kurzen Montagesequenz der städtischen Umgebung ab. Man kann diese Aussenaufnahmen als Mörtel zwischen den Mosaikstücken betrachten, sie vermitteln jedoch stets mehr. In diesem Fall die ganz unterschiedlichen Quartiere, in die die Bibliotheksfilialen architektonisch und sozial eingebettet sind. Es gehört zu seiner Ästhetik der Diversität, anhand der immer gleichen Methode die Unterschiede herauszuarbeiten. Indem er die unterschiedlichsten Menschen jeden Alters, aller Rassen und Klassenzugehörigkeiten auf die gleiche Weise ins Bild setzt, reflektiert er Diversität und das Recht auf Gleichbehandlung und damit auch die humanistische Haltung der NYPL, die sich als Bildungsinstitution für alle versteht – auch für die Obdachlosen.

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Dem Oszillieren zwischen Innen- und Aussenaufnahmen hinzugefügt ist das Hin und Her zwischen Menschen, die vermitteln, und jenen, die zuhören. Immer wieder blicken wir ins Publikum, das einer der vielen Veranstaltungen beiwohnt: Lesungen selbstverständlich, Geschichtsvorträge, deren Themen um Minderheiten, Sklaverei, Religion kreisen, Konzerte, Kurse in Brailleschrift sowie Aufgabenstunden für Kinder, die in den weniger privilegierten Stadtteilen leben. Die NYPL scheint in erster Linie Wissen unmittelbar von Mensch zu Mensch zu vermitteln. Auch Bücher sehen wir in diesem Film kaum, stattdessen sitzen die Bibliotheksbesucher_innen vor Bildschirmen. Der Wandel einer Bibliothek im Zeichen der Digitalisierung zieht sich als roter Faden durch den Film. In einer Stadt, in der ein grosser Teil der Bevölkerung nicht über einen Internetzugang verfügt, ist auch dies ihre Aufgabe, zum Beispiel indem man hier auch Internetmodems ausleihen kann.

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Obwohl dieser öffentliche Auftrag einleuchtend und notwendig erscheint, überrascht es kaum, dass wir aus den Einblicken in Administrations­sitzungen von der Abhängigkeit von privaten Financiers erfahren und von der Schwierigkeit, sich Jahr für Jahr für die Geldgeber neu zu erfinden und sich immer wieder auf neue und überzeugende Art und Weise legitimieren zu müssen. Sahen wir in National Gallery noch besorgte, manchmal auch herablassende Gesichter in diesen Leitungssitzungen, scheinen die US-Amerikaner_innen einen beneidenswerten Vorteil zu haben: Sie sind auch angesichts der grössten Schwierigkeiten ungebrochen optimistisch. Das ist nebst allem anderen faszinierend zu sehen.

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Wiseman vermittelt eindrücklich, was eine dänische Architektin und Expertin für Bibliotheksbau in seinem Film auf eine einfache Formel bringt: «Libraries are not about books, they are about people.» Wiseman platziert diese Einsicht jedoch nicht als Ausrufezeichen am Ende, sondern mitten in seinem Mosaik.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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