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At Eternity’s Gate

Willem Dafoe brilliert in einem Künstlerporträt, das nicht die geläufigen Erzählungen über das Leben van Goghs ins Zentrum rückt, sondern sich dem Fragmentarischen verschreibt.

Text: Michael Ranze / 16. Apr. 2019

Auf seine Mitmenschen muss Vincent van Gogh mitunter einen furchterregenden Eindruck gemacht haben, so, als drohe Gefahr von ihm, als ginge man ihm besser aus dem Weg. Zu Beginn des Films spricht van Gogh in Südfrankreich auf einem Feldweg eine Schafhirtin an. Eine sehr unruhige, handgehaltene Kamera, die die Labilität des Malers nachempfindet, blickt ihm über die Schulter, sie verweigert den Überblick, zeigt nur Details. Ob er sie zeichnen dürfe, fragt van Gogh die junge Frau. Sie versteht nicht, will weiter, ist trotzdem interessiert. Am Schluss wird der Film diese Szene noch einmal aufgreifen und zu Ende erzählen. Es wird noch öfter geschehen, dass sich Szenen doppeln und ihr Ausgang sich erst beim zweiten Mal erschliesst. Das ist auch schon das Geheimnis dieses Films: Es ist ein Drama der Eindrücke, der Momente, der hingeworfenen Fragmente. At Eternity’s Gate zeigt van Gogh als verfolgte Seele im Kampf mit seinen geistigen Problemen, in Opposition zu seinen Mitmenschen, vor allem aber als leidenschaftlichen, asketischen Künstler, der nicht aufhören kann zu malen, der einfach malen muss.

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Ein Maler macht einen Film über einen Maler. Julian Schnabel, Regisseur von Basquiat, Before Night Falls und Le scaphandre et le papillon, interessiert sich in seinen Filmen zumeist für Menschen, für das, was sie umtreibt, für ihre Emotionen und Leidenschaften. Van Goghs verzehrendes Fieber für das Malen hat Schnabel staunen lassen: Wer war dieser Mann? Wie hat er gelebt? Schnabel weiss um die populäre Wahrnehmung van Goghs als gequälter Künstler, arm, verkannt, vielleicht verrückt. Darum vermeidet er die bekannten Klischees, nicht einmal das Abschneiden des Ohrs zeigt er uns, nur später den grossen Verband um den Kopf. Stattdessen findet er Bilder für die These, dass van Gogh von zwei Jungen erschossen wurde, also nicht Selbstmord beging. So kreiert Schnabel eine ganz eigene Vision dieses Künstlers und zeigt ihn schwankend zwischen naiver Liebe für die Menschen und einsamer Unzufriedenheit.

Darum ist At Eternity’s Gate auch keine filmische Biografie. Allenfalls lassen sich soziale Fixpunkte bestimmen, Menschen, die für Vincent und sein künstlerisches Schaffen wichtig sind. Es beginnt in Paris, wo van Gogh in einem Restaurant eine Gruppenausstellung mit Kollegen geplant hat. Doch die anderen lassen ihn im Stich, und darum hängen nur Vincents Bilder an der dunklen Wand. Immerhin lernt er hier Paul Gauguin kennen, sie werden Freunde, er rät ihm, nach Süden zu gehen. Und so zieht Vincent, finanziell unterstützt von seinem Bruder Theo, nach Arles, dorthin, wo das Licht ist. «Was malen Sie?», wird Vincent später in der Heilanstalt von einem Insassen gefragt. «Licht», antwortet er kurz und knapp. Egal, was Vincent van Gogh gemalt hat, ob Sonnenblumen, Weizenfelder, Cafés, Stühle, Stiefel oder sich selbst – immer ist es das Licht, dass die Dinge zum Strahlen bringt. Und so sehen wir, wie Vincent durch die Felder streift, einen Strohhut auf dem Kopf, seine Leinwand aufstellt und sich von der Natur inspirieren lässt. Nicht jedem gefällt das, die Dorfbewohner_innen begegnen Vincent feindselig, einmal belästigt ihn auf einer Anhöhe eine Schulklasse, die Lehrerin schüttelt verständnislos den Kopf über das Motiv – Baumwurzeln. Dazu passt das Unverständnis eines in der Anstalt arbeitenden Priesters, der van Goghs Bilder schlicht und einfach hässlich findet. Jetzt häufen sich auch die Unschärfen, die sich wie ein Lineal durch die untere Bildhälfte ziehen, fast so, als hätte van Gogh tränenüberschwemmte Augen. Er wiederholt Sätze, so als hätte er Stimmen im Kopf, als würden ihn unsichtbare Dämonen verfolgen.

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Willem Dafoe spielt diesen van Gogh mit bewundernswürdiger Intensität und Ausdrucksstärke. Seine unruhigen Augen strahlen, das von tiefen Falten zerfurchte Gesicht bebt, die Hände mischen hastig die Farben und tragen sie kräftig, mit dickem Strich, auf. Dafoe hat für diesen Film nicht nur zu malen gelernt, sondern so zu malen, wie van Gogh es getan hat, ohne Rücksicht auf Konventionen, nur seiner Vision folgend. Sogar Gauguin tadelt ihn: «Dein Bild sieht eher aus wie eine Skulptur denn wie eine Gemälde.» Dafoe lässt vor unseren Augen die Farben auf der Leinwand leuchten, während seine brüchige, tiefe Stimme ihm eine verzweifelte Bestimmtheit verleiht. Neben -Scorseses The Last Passion of Christ ist dies seine wohl grösste schauspielerische Leistung.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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