Klassische Geschichte: Ein deutscher Konzern kündigt die Schliessung einer Produktionsstätte für Autozubehör in Südfrankreich mit 1100 Beschäftigten an. Zwei Jahre zuvor war die Rettung des Betriebs garantiert worden, nachdem die Belegschaft eine Prämienstreichung und die 40-Stunden-Woche akzeptiert hatte. Nun fühlt man sich verraten, verkauft. Dramatische Fernsehbilder vor den Fabriktoren. Wut, die sich Bahn bricht, denn eigentlich hat die Firma 14 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet. Nicht ihre Wettbewerbsfähigkeit ist das Problem, sondern die Rentabilität für die Aktionäre, das ist unverdaulich in einer von Arbeitslosigkeit gebeutelten Region. Der nach der knallharten Exposition eingeblendete Filmtitel kennt nur eine Gewissheit: Es herrscht Krieg.
Die Geschichte ist fiktiv, und man glaubt sie gut zu kennen. Wirklich – jenseits der TV-Aktualität? En guerre könnte wie Stéphane Brizés vorletzter Film erneut La loi du marché heissen. Die Antwort auf das verzweifelte Warum der Fabrikschliessung gibt ein Konzernvertreter von göttlicher Warte aus: «Sie liegt ausserhalb der Fabrik, und sie hat einen Namen und ein Gesicht: der Markt!» So weit, so üblich und so übel.
Ein weiterer Film zum brisanten Thema legitimiert sich durch die Qualität der Auseinandersetzung sowie durch den dramatisch-dramaturgischen Zugriff. En guerre überzeugt in beiden Hinsichten, ist gleichermassen intelligentes und hoch emotionales Kino. Ja, es herrschen die kapitalistischen Unvermeidlichkeiten, ja, es gibt den Krieg zwischen oben und unten, nur dass das Oben im Zeichen von Grenzüberschreitung und Globalisierung kaum mehr dingfest gemacht werden kann. Streik dennoch. Brizé und seinem Drehbuchautor Olivier Gorce (La loi du marché) ging es um den Blick auf die Mechanismen. En guerre spielt modellhaft durch, was es bedeutet, wenn die Firmenleitung die alte Leier anstimmt, dass «wir doch alle im selben Boot sitzen»: Wer sitzt wo? Wer hat das Steuer in der Hand? Ist das Boot nicht ferngesteuert? Was kann die Politik unter dem Diktat der Wirtschaft anbieten? Wessen Recht gilt, von Gerechtigkeit einmal ganz zu schweigen? Was können die Beschäftigten tun, um nicht einfach «als Anpassungsvariablen der Aktionäre behandelt zu werden», wie es ihre Anwältin einmal auf den Punkt bringt?
Laurent Amédéo ist im Plot der gewerkschaftliche Gewährsmann, der im Kampf um die Arbeitsplätze nicht aufgeben will und der Belegschaft die Zugänge ertrotzt: zum Büro des Firmenchefs, zum Arbeitgeberverband in der Hauptstadt, zum sozia-len Rechtsberater und Mediator des Präsidenten der Republik, zu den Angestellten der Schwesterfabrik. Endlich stellt sich auch der deutsche Konzernchef, zwar nicht dem Gespräch, aber zumindest in Person. Die Schliessung ist juristisch legitim, und ein Verkauf an die Franzosen steht nicht zur Diskussion; diese wäre als rechtliche Option zwar vorgesehen, aber ergibt keine Verpflichtung. Und überhaupt ist die Belegschaft längst fatal gespalten: Wäre es nicht besser gewesen, am Ende des zermürbenden Streiks wenigstens eine möglichst hohe Abfindung herauszuschlagen? Laurent führt einen Zweifrontenkrieg und scheitert. Nun haben sie kaum den Spatz in der Hand, und die Taube auf dem Dach: weggeflattert.
Ein politischer Kopf ist Laurent eigentlich nicht, aber ein moralisch einwandfreier. Lässt sich das trennen? Strategisch wohl ja. Doch wenn ihm ein Manager vorhält, er bringe alles durcheinander, kontert er plausibel, dass «in bestimmten Momenten alles zusammenhängt». En guerre ist ein spannender Film über politische Strategien (zum Beispiel: wie Kräfte am besten auseinanderzudividieren sind). Das Vertrackte dabei ist, wie einsichtig, wie vernünftig, wie logisch die Argumentationslinien beiderseits klingen.
Um den Argwohn zu kontern, ob hier nicht etwa ein Brecht’sches Lehrstück Urständ feiere: En guerre entfesselt von der ersten Einstellung an eine Energie, die sowohl die Argumentation wie das realistische Drama praktisch ohne Atempause bedient. Solche Energie mit Laien in nur 23 Drehtagen nicht in einem individuellen, sondern einem Kollektivdrama dokumentarisch aufzubauen und durchzuhalten, gelingt sonst allenfalls Ken Loach. Dabei ist, was von den ein bis drei Kameras so natürlich und spontan erfasst wirkt, minutiös geplant und auch getextet. Der Glaubwürdigkeit förderlich war gewiss, dass Protagonist_innen in Schlüsselrollen (unter ihrem eigenen Namen) beruflich einschlägiges Gepäck mitbringen: Laurents Kollegin Mélanie etwa ist Schweisserin und Gewerkschafterin, andere, wie etwa der Mediator im Élysée, der deutsche Konzernchef oder die Anwältin der Belegschaft, sind Jurist_innen. Bleibt Vincent Lindon, inzwischen Stammschauspieler bei Brizé; für einmal nicht schweigsamer Natur, sondern immer an vorderster Front, glaubhaft in jeder Faser, bis zu jenen Flashes in sein Privatleben als werdender Grossvater, nach verlorenem Kampf. Der Ausgang der Geschichte ist vielleicht ein My Metaphorik zu viel. So als ob Brizé sich selbst nicht ganz traute, hat er zum Kunstgriff einer im entscheidenden Moment radikal verkleinerten Leinwand gegriffen, damit Pathos draussen bleibe. Aber die (fälschlicherweise Brecht zugeschriebene) Kernbotschaft des Films, der übrigens wie schon La loi du marché im Wettbewerb von Cannes lief, kommt an: «Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.»