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The Eagle Huntress

Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der 13-jährigen Aisholpan, Tochter eines Adlerjägers, und erinnert an ein Märchen etwa wie jenes von Pocahontas.

Text: Tereza Fischer / 13. Juli 2017

Nah über der schneebedeckten Ebene fliegt die Kamera den majestätischen Bergen im Hintergrund entgegen. The Eagle Huntress setzt neben den überwältigenden Landschaftsaufnahmen des Altai-Gebirges in der Mongolei mit einem Off-Kommentar ein, der von der jahrhundertealten Tradition der mongolischen Nomaden erzählt, von der Adlerjagd, die besonders in den strengen Wintern überlebenswichtig war. Sie wird bis heute gepflegt und von Vater zu Sohn weitergegeben.

Der Dokumentarfilm hätte auch mit «Es war einmal …» anfangen können, denn die Geschichte der 13-jährigen Aisholpan, Tochter eines Adlerjägers, erinnert an ein Märchen etwa wie jenes von Pocahontas. Nicht nur, dass das unerschrockene Mädchen noch sehr jung ist, sie will vor allem eine Kunst beherrschen, die traditionell den Männern vorbehalten ist. Fest entschlossen und mit der liebevollen Unterstützung ihres Vaters erlernt sie die Adlerjagd, holt sich ein junges Adlerweibchen und gewinnt gleich auf Anhieb beim alljährlichen Golden Eagle Festival den ersten Preis mit ihrem aussergewöhnlichen Tier. Schliesslich endet auch die Fuchsjagd erfolgreich, das letzte Abenteuer, von dem der Film erzählt und bei dem sich Jägerin und ihr Adler ein weiteres Mal beweisen müssen.

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Der Mut dieser jungen Protagonistin ist in der Tat bewundernswert. Wie sie mit dem erhabenen, aber mit etwa 8 Kilogramm sehr schweren Vogel auf dem Arm auch sehr lange Wege durch den Schnee bewältigt, bei tiefsten Temperaturen nicht hadert und schon gar nicht aufgibt und ganz selbstverständlich mit diesem wilden Tier zärtlich umgeht, ist beeindruckend. Imponiert hat Aisholpans Erscheinung auch dem Engländer Otto Bell, als er das Mädchen auf einem Foto von Asher Svidensky sah. Darauf lässt sie auf einer Bergspitze stehend einen Adler in die Lüfte steigen, mit den rosa Wangen und in traditioneller Jagdmontur. Nur gerade mit der Erfahrung mit kurzen kommerziellen Dokumentarfilmen beschloss Bell sofort, einen langen Dokumentarfilm über Aisholpan zu machen. Er kratzte sein Erspartes zusammen, fand Svidensky und suchte begleitet vom Fotografen und dem Kameramann Chris Raymond die Familie.

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Bells Erstling ist in erster Linie von der einnehmenden Protagonistin und von der berührenden Vater-Tochter-Geschichte getragen. Auf einer grossen Leinwand werden die Aufnahmen der beeindruckenden, menschenleeren Landschaft Staunen und Ehrfurcht verbreiten und das Publikum genauso verzaubern wie Aisholpans Strahlen, wenn sie mit ihrem Adler Erfolg hat. Doch je länger der Film dauert, stellt sich auch ein Unbehagen ein, denn der Film wirkt allzu sehr auf die emotionale Wirkung hin orchestriert: die bombastische Musik, die die Berge noch majestätischer erscheinen lassen soll, das von Star Wars-Star Daisy Ridley (die auch als Produzentin eingestiegen ist) gesprochene Voice-over im BBC-Tierdokumentationsstil und die perfekten Tele- und Zeitlupenaufnahmen. Bei der zweiten Reise in die Mongolei war der Tüftler-Kameramann Simon Niblett für die monumentalen Aufnahmen zuständig. Auch die kunstvolle Montage von Pierre Takal ist emphatisch, vor allem aber so auf den emotionalen Effekt hin getrieben, sodass vieles gestellt wirkt. Schnell fühlt man sich an Robert Flahertys Nanook of the North erinnert, den ersten als Dokumentarfilm bezeichneten Film, der mittels Re-enactment die traditionelle Lebensweise der Inuit eingefangen hat.

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Doch nichts sei in The Eagle Huntress nachgestellt, liest man im Presseheft. Dass es dennoch so wirkt, lässt sich an vielen Stellen aufzeigen. So scheint beispielsweise die finale Jagd auf einen Fuchs zwar mit mehreren Anläufen, aber an einem einzigen Tag stattzufinden. Die Aufnahmen dauerten bei tiefsten Temperaturen jedoch ganze 22 Tage. Diese Verdichtung ist als Eingriff, als Konstruktion einer Geschichte deutlich spürbar. Umgekehrt haben Bell und sein Raymond in einer 12 Minuten langen kontinuierlichen Aufnahme gefilmt, wie Aisholpan in einer halsbrecherischen Kletterpartie das Adlerjunge aus dem Nest holt. Sie war zusätzlich mit einer GoPro-Kamera ausgerüstet. Während sie versucht, den Vogel zu fangen, kreist die Adlermutter drohend über dem Nest. Konstruiert wirkt das Ganze, weil Bell zum einen die Aufnahmen von drei oder gar vier verschiedenen Kameras montiert, zum anderen vergisst er, die Präsenz des kreisenden Adlers durch einen Schwenk vom Mädchen in den Himmel zu authentifizieren. Als Zwischenschnitt eingestreut, hätten die Einstellungen der Adlermutter irgendwann gedreht werden können.

Dies alles würde vielleicht weniger irritieren, hätte Bell sich bei der Konstruktion seiner Geschichte weniger an Disney-Filmen orientiert und mehr von der Kultur der mongolischen Nomaden oder auch mehr über die Adlerjagd erzählt. Sein eigenes Projekt liest sich dabei genauso märchenhaft: Mit einem minimalen Budget und unter erschwerenden Wetterbedingungen hat es Bell dennoch geschafft, einen durchaus packenden Film zu realisieren, der an mehreren Festivals lief und gar einige Preise gewann.

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