Wo liegt das Glück? In der Zuverlässigkeit einer Sicherheit gebenden Geborgenheit, die eine feste, langjährige Beziehung gewährt? Oder in dem aufregenden Abenteuer, das die Herausforderung einer Begegnung mit dem Neuen und Fremden verheisst? Gibt es nur das Entweder – Oder?
Hanna und Simon sind seit zwanzig Jahren ein Paar, das könnte ein Anlass sein, dies jetzt durch eine Heirat zu besiegeln, nachdem es mit einem Kind bisher nicht geklappt hat. Sie ist Journalistin mit eigener Radiosendung, er setzt mit seinem Architekturbüro die Entwürfe von Künstlern in die Wirklichkeit um eine eher brotlose Kunst. Ihr beruflicher Alltag reisst sie auseinander, dafür bleibt ihnen das gemeinsame Interesse an Kultur, sie gehen zusammen ins Ballett, ins Theater, in Ausstellungen.
Als Hanna eines Abends von Simon wegen seiner Arbeit versetzt wird, entdeckt sie in der Schlange an der Theaterkasse Adam. Mit dem Stammzellenforscher hatte sie kurz zuvor im Ethikrat eine Auseinandersetzung. Jetzt verstehen sie sich beide prächtig, der Abend endet in seinem Bett. Adam ist in dieser Beziehung nicht festgelegt, der Zuschauer sieht auch, dass er Männern zugetan ist. Einen von ihnen macht er später im Umkleideraum eines Schwimmbades an, neugierig auf das Resultat von dessen gerade erfolgter Hodenoperation. Es ist Simon. Der entdeckt ganz neue Gefühle bei sich. Sie treffen sich erneut, und so kommt es zu der titelgebenden Dreiecksbeziehung, bei der Hanna und Simon nicht wissen, dass sie sich in denselben Mann verliebt haben.
Eine Zweierbeziehung, die durch einen dazukommenden Dritten gefährdet wird, aber am Ende gestärkt aus diesen Zwischenspiel hervorgeht: im Thriller bedarf das der Gewalt, wenn der/die Fremde sich als Psychopath entpuppt-wie etwa in Fatal Atraction-,in der Komödie geht das meist weniger drastisch auf. Einen Thriller hat Tom Tykwer zuvor mit The International gedreht, davon ist hier keine Rede, zudem bietet eine Komödie noch am ehesten die Möglichkeit einer überraschenden Konfliktlösung. Natürlich ist Drei keine reine Komödie, die würde von Tykwer wohl auch niemand erwartet. Die Komik erwächst hier daraus, dass sowohl Hanna als auch Simon über die Verwirrung ihrer Gefühle verlernen, normal zu funktionieren. Das reicht von Hannas hektischer Suche nach einem FLuchtweg aus Adams Plattenbauwohnung bis zu Simons Sprachlosigkeit, beginnt also schon lange vor den panischen Reaktionen beider, als die mit Adam während einer Vernissage beinahe zusammentreffen.
Was in Drei dennoch an einen Thriller denken lässt, ist die Figur von Adam, der mit Nachnamen auch noch Born heisst. Adam ist als Stammzellenforscher in gewisser Weise Herr über Leben und Tod. Daneben spielt er Fussball, singt im Chor, übt sich in der Kunst der Selbstverteidigung, steuert ein Segelboot, fährt Motorrad und hat von früher eine Familie – ein beredter Kontrast zu den leeren Zimmern seiner Wohnung mit auf dem Boden gestapelten Zeitschriften.
Die Schwierigkeiten mit dieser Figur machen einem zugleich deutlich, dass man als Zuschauer im Kino ein Stück Realismus erwartet. Aber bei Tom Tykwer? Der nannte 1993 DieTödliche Maria, seinen ersten abendfüllenden Spielfilm, einen «Liebesthriller», die dafür gegründete Produktionsfirma trug den Namen «Liebesfilm». Kino ist bei Tykwer immer grösser als das Leben, ein Experiment, das sich als Konstrukt zu erkennen gibt und doch etwas Spielerisches bewahrt. Schon sein zweiter Film, Winterschläfer, ging der Frage nach, was dabei herauskommen kann, wenn sich die Geschichten zweier Paare überkreuzen. Daran darf man hier beim Anfang des Films denken, der dem Verlauf lange parallel laufender Linien folgt, die schliesslich als Stromleitungen erkennbar werden, eine spielerische Vorwegnahme, genauso wie in der Dreieckskonstellation des Balletts zu Beginn des Films.
Und wenn eine mittels Splitscreen-Montage verdichtete Sequenz die Zahlen 3 und 9 in eine Zahlenmystik einwebt, dann stellt der Tonfall, in dem dies geschieht, die Idee schon wieder in Frage. Was nicht heisst, dass der Krebstod von Simons Mutter (in dessen Umfeld sich die Zahlenmystik entfaltet) nicht zugleich mit einem ernsthaften Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit einhergeht. Dass ein «Abschied vom deterministischen Biologieverständnis», den Adam bei der Verführung Simons einfordert, nicht so leicht zu bewerkstelligen ist, macht der Film deutlich, ebenso aber auch, dass er eine mögliche Utopie ist.
Ist es ein Zufall, dass gleich drei deutsche Filme in diesem Herbst die Frage stellen: Wie geht es weiter, mit der eigenen Generation, und überhaupt? Bemerkenswerterweise gehören die Regisseure nicht derselben Generation an: aber in den Filmen von Rudolf Thome (*1939), Tom Tykwer (*1965) und Lars Kraume (*1973) finden sich einige bemerkenswerte Parallelen. Wo Kraumes kühner Entwurf Die kommenden Tage im Rahmen einer epischen Familiengeschichte Lebensentwürfe miteinander konfrontiert und sie in den Kontext einer gesellschaftlichen Entwicklung setzt, in der die Probleme der Gegenwart sich zuspitzen, und wo Thome in Das rote Zimmer auf seine verspielte Art einen Liebesforscher mit einem Frauenpaar zusammenbringt, da spielt Tykwer seine Utopie am konsequentesten zu einer möglichen Lösung aus.
Wenn unter dem Nachspann der David-Bowie-Song «Space-Oddity» erklingt, dann unterstreicht das, dass diese Utopie so neu nicht ist, aber auch die Differenz zwischen Filmbild und Liedtext. Es wurde wirklich Zeit, dass das Kino das Potenzial des Utopischen einmal anders auslotet als in Destruktionsphantasien.