John Callahan hat einen ziemlich schrägen Humor und ein ziemlich grosses Alkoholproblem. Seine Witze sind nicht jedermanns Sache, und mit der Selbstwürde nimmt er es auch nicht mehr so genau. Aber eigentlich ist er ein grundguter Kerl, der sich irgendwie durchs Leben hangelt. Bis sich eines Nachts schlagartig alles ändert: Auf dem Heimweg von einer Sauftour hat er einen Autounfall – als er im Krankenhaus zu sich kommt, ist er querschnittsgelähmt. Was nun beginnt, ist ein langer und steiniger Weg. Dass er von jetzt an auf den Rollstuhl angewiesen ist, hindert ihn nicht daran, weiterzutrinken. Auf eine Entzugstherapie lässt er sich nur mit der Zeit und widerwillig ein. Doch es stellen sich auch Lichtblicke ein. In der Selbsthilfegruppe lernt er Menschen kennen, die es gut mit ihm meinen – obschon er selbst dazu noch nicht in der Lage ist. Und er entdeckt sein zeichnerisches Talent, kritzelt mit seinen versehrten Händen Cartoons, deren politisch unkorrekter Witz ihn bald berühmt machen wird.
Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot basiert auf der gleichnamigen Autobiografie des Cartoonisten John Callahan, den Gus Van Sant bereits in den Achtzigerjahren in Portland kennengelernt hatte. Auch der Film selbst blickt auf eine lange Geschichte zurück: Robin Williams, der 1997 in Van Sants Good Will Hunting eine Hauptrolle spielte, hatte sich die Rechte an Callahans Buch gesichert mit der Absicht, die Hauptrolle zu spielen, während Van Sant Regie führen sollte. Doch an einem derart unbequemen Thema war kein Studio interessiert, und so folgte Scriptversion auf Scriptversion. Nach Williams’ Tod 2014 überarbeitete Van Sant den Stoff erneut: Er entschlackte ihn, beschränkte sich im Wesentlichen darauf, wie Callahan seine Alkoholsucht überwindet, und besetzte dessen Part mit einem herausragend agierenden Joaquin Phoenix.
Im Unterschied zu anderen Biopics ist Don’t Worry nicht linear erzählt, sondern in Rückblenden, deren Abfolge keiner zwingenden Logik folgt. Tatsächlich könnte sie an mehreren Stellen genauso gut anders sein, ohne an Sinn zu verlieren. Das mag hie und da zu Längen führen, doch letztlich kommt es dem Film zugute. Denn Van Sant setzt weniger auf das Erzählen einer stringenten Handlung, sondern vielmehr auf das Schildern von Zuständen, Stimmungen und Atmosphären – ein Ansammlung verschiedenfarbiger Steinchen, die zunächst ungeordnet wirken, sich nach und nach aber zum stimmigen Mosaik einer präzisen Charakterstudie fügen. Dazu passt, dass die Nebenfiguren nicht eigentlich eingeführt werden, sondern scheinbar unvermittelt auftauchen. Das gilt für Donnie, den charismatischen Leiter der Anonymen Alkoholiker, und Dexter, der nach der Sauftour den Unfall verursacht hatte, aber auch für Reba aus der Selbsthilfegruppe und Annu, die geradezu engelsgleich in Johns Leben eintritt. Ihr plötzliches Erscheinen ist dramaturgisch ebenso gewagt wie geglückt und verleiht dem Film in gewisser Hinsicht eine grosse Realitätsnähe: Im Alltag werden unsere Bekanntschaften ja auch nicht eingeführt.
Das alles wird in unprätentiösen, vermeintlich beiläufigen Bildern festgehalten, die in entsättigte Farben und zurückhaltend warmes Licht getaucht sind. Sie stammen von Christopher Blauvelt, der bei Van Sant mehrfach Kameraassistent war, bevor er die letzten drei Filme von Kelly Reichardt fotografierte. Seine Arbeit verleiht Don’t Worry eine erstaunliche Leichtigkeit, die in produktivem Gegensatz zur latenten Schwere des Themas steht. Callahans Geschichte ist daher keine tränenselige Tragödie, sondern ein liebevolles Porträt über einen, der sich bemüht, nicht unterzugehen. Ein Film, dessen Humor bei aller Lakonik grossmütig und schalkhaft bleibt: etwa wenn Johns Behindertenwitze bei den Rechtschaffenen für Entrüstung sorgen oder wenn er mit seinem frisierten Rollstuhl über Bürgersteige und Strassen flitzt.
Zu den berührendsten Momenten gehört womöglich eines der zahlreichen Treffen in der Selbsthilfegruppe: Immer noch hadernd, rechnet John seine Schicksalsschläge auf, hält den anderen Mitgliedern vor, er sei weitaus schlechter dran als sie, schliesslich sei er nicht nur Alkoholiker, sondern auch behindert, und überhaupt sei er als Kind adoptiert worden. Die neben ihm sitzende Reba – unübersehbar nicht nur wegen ihres Körpers, sondern auch wegen ihrer Persönlichkeit – lacht ihn an (nicht aus – ein wichtiger Unterschied) und rückt ihn kurz, aber heftig zurecht: ein Moment reinster tough love, gespielt von einer hinreissenden Beth Ditto, die hier als Kinodebütantin auftritt und im Grunde nichts anderes sagt als: «Du bist nicht allein.» Augenblicke wie dieser stehen für etwas, das Gus Van Sants Kino immer schon ausmachte: einen zutiefst menschenfreundlichen Respekt vor seinen Figuren und ihren Unzulänglichkeiten, Bedürfnissen und Sehnsüchten. Eine Haltung, die sich dem Vorwurf des Kitschs aussetzen mag, die aber letztlich nichts anderes verdient, als ernst genommen zu werden.
Apropos berührend: 1991 hatte Van Sant mit dem ebenfalls in Portland angesiedelten Stricherdrama My Own Private Idaho einen Meilenstein des New Queer Cinema vorgelegt (und der Welt nebenbei einen der schönsten Orgasmen der Filmgeschichte beschert). Die Hauptrolle hatte River Phoenix gespielt, eines der vielversprechendsten Schauspieltalente seiner Generation. Wenig später, mit gerade mal 23 Jahren, starb er in Hollywood an einer Überdosis aus Kokain und Morphium – auf dem Gehweg vor Johnny Depps Club «The Viper Room» und vor den Augen seiner machtlosen jüngeren Geschwister Rain und Joaquin. Wenn Letzterer heute, fast drei Jahrzehnte später, mit jenem Regisseur zusammenarbeitet, der dem grossen Bruder damals die Rolle seines Lebens verschafft hatte, dann ist das wohl auch eine Art Rückkehr, eine erneute und vielleicht sehr nahe Auseinandersetzung des Jüngeren mit dem Tod des Älteren. Dass Joaquin dabei einen verkörpert, der es – anders als River – schafft, seine Sucht zu überwinden, hat schon etwas Bewegendes. Da bekommt man irgendwie Gänsehaut.