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Die Liebe am Berg: Höhenfeuer / Derborence

Text: Walter Ruggle / 01. Okt. 1985

Jetzt hat der Schweizer Film also wieder Werk hervorgebracht, an dem alle ihre Freude haben. Nicht ohne Grund, stehen in Fredi M. Murers Höhenfeuer doch lnhalt und Form, Ausführung und Darstellung in einem seltenen Einklang. Ganz im Gegensatz zu Francis Reussers Derborence, zu dem ein kleiner Quervergleich aus verschiedenen Gründen naheliegt.

Die beiden Filme erzählen eine Liebesgeschichte, und beide erzählen sie vor einem alpinen Hintergrund. Murer erdachte sich seine Geschichte selber, Reusser übernahm sie vom Schriftsteller Charles Ferdinand Ramuz, dessen kurzer gleichnamiger Roman 1934 herauskam. Was die Mittel fur die Umsetzung anbelangt, so ging Murer von seinem Staff aus und von finanziellen Gegebenheiten, die im Endeffekt keine wesentlichen Einschränkunqen bedingten, während Reusser sich selber an den Ausgangspunkt und letztlich auch ins Zentrum setzte, Cinémascope und Dolby-Stereo als Mittel seines Ausdrucks benötigte. Mit dem Resultat: In Derborence haben Form und lnhalt nichts miteinander zu tun, sie waren vermutlich erstaunt, wenn ihnen jemand sagen würde, dass sie zusammengehörten. In Höhenfeuer andererseits wachsen sie permanent auseinander hervor, ergeben sich gegenseitig und kommen sich so auch nicht permanent in die Quere.

Konkret, zum Beispiel: der Berg. Les Diablerets, die Teufelsberge, heissen jene gebirgigen Erhebungen, die die Alp von Derborence im Wallis dominieren. Der Bristen wäre jener lnnerschweizer Gipfel, der über der Szenerie von Höhenfeuer steht. Da Murer Fiktion so konsequent macht, dass die tatsächliche Geographie ihre Rolle verliert, das ganze Allgemeingültigkeit erlangt, existiert der Bristen nicht mehr als er selbst, sondern vielmehr als ein Ehrfurcht erheischender Berg, der immer wieder ein anderes Gesicht zeigt. Es ist ein Gesicht, das Murers Film mir unaufdringlich vermittelt – ich kann es sehen, so, wie der Bub in seiner Abgeschiedenheit aut der Alp es erfahren mag. Eine ganz einfache, fixe Einstellung mit langer Brennweite aut den Gipfel, den die Wolken, der Nebel ohne technischen Aufwand wirken lassen.

Derborence

Reusser zeigt mir die Diablerets auch. Mit dem Helikopter, dessen Schatten mir den optischen Spass aut Anhieb zu dem macht, was er ist – eine unausgereifte, technische Spielerei –, fliegt der Stadtmensch ein in jenes Bergtal, das fur seine Bild- und Tonorgie herhalten muss. Dass das ganz toll wirkt, hat bei uns Alain Tanner in Messidor mit geringerem Aufwand auch schon bewiesen – hier nun fehlt der innere Zusammenhang, und das zieht sich durch. lch erfahre den Berg in Reussers Film nie als sagenumwobene Erscheinung, die eine ganze Talschaft über Jahrhunderte hinweg in ihrem Bann halt. Genausowenig wie ich das Dorf, wie ich die Atmosphäre in den Häusern vermittelt bekomme.

Es gibt in Derborence ein immer wieder auftauchendes Bild, das mir bezeichnend scheint fur die Diskrepanz zwischen dem, was erzählt wird, und der Art, wie es erzählt wird. Jedesmal wenn jemand sich durch die niederen Türen der Hauser, seien es nun die Alphütte oder das Wohnhaus von Thérèse schiebt, entlarvt sich die Technik des Cinémascope von selbst: die Kamera scheint sich nicht in einem engen Walliserhaus mit tiefer Decke zu befinden, sie steht in einer Halle, in die hinein sich die Personen bücken rnussen. Das ist nur noch lächerlich, und die Frage taucht auf, ob dieses Bildformat in unserer auch naturgemäss engen Schweizer Szenerie überhaupt eine Daseinsberechtigung haben kann. Reusser hat es ausprobiert, am falschen Ort und mit der falschen Geschichte. Er hat die Technik an den Anfang gestellt und ihr alles untergeordnet. Seine Aufnahmen stehen immer in Funktion zu ihrer Wirkung – das musste schiefgehen. Und so schön die Fotografie von Derborence auch sein mag, so leer bleibt sie im Eindruck, den sie hinterlässt.

Bei Höhenfeuer scheint mir der Prozess umgekehrt verlaufen zu sein. Murer und seine Equipe haben eine einfache Geschichte, und sie gehen daran, diese vor Ort und unter dessen Einbezug filmisch umzusetzen. Wenn Fredi Murer sagt, die «Geschichte von Narayama» habe ihm als literarische Vorlage besser gefallen als der Film, der danach entstand, so deutet er selber genau auf das hin, was auch mit Ramuz passierte. Da wurde ein Staff der leisen Töne vergewaltigt, das heisst immer: zum einseitigen «Genuss» rücksichtslos missbraucht. Murer weiss um die Kraft, die in seiner Erzählung steckt. Auch er liebt schöne Bilder, die bei ihm (und Pio Corradi) eine andere Oualität, die Bestand haben. Reusser scheint seiner Vorlage überhaupt nicht zu vertrauen, und so inszeniert er seine Technik und und eine Reihe von Tönen und Effekten, die überall nur nicht in der Geschichte ihren Ursprung haben. Der Vergleich der zwei aktuellen Filme aus der gegenwärtig gesteigert beachteten Schweizer Produktion mag wieder einmal illustrieren, wie wenig es nützt, die finanziellen Mittel zu haben, wenn die geistigen sie nicht einzusetzen verstehen. Reusser benimmt sich in seiner spekulativ auserkorenen Bergwelt wie der berühmte Elefant im Porzellan-Laden. In seiner Erzählweise wächst nur, was Lärm macht, und damit bleibt alles Leise auf der Strecke. Bei Murer bleibt im Gegensatz dazu immer das Gefühl, dass sich die Filmequipe möglichst diskret verhält, wie wenn das Leben, dessen Schattierungen sie zusamrnenträgt, ein reales wäre. Die Verbundenheit des Dokumentaristen, das Sich-Zurücknehmen für die betrachtete Sache, lässt den eigennutzigen Missbrauch nicht zu. Seine Fiktion nimmt Rücksicht auf die Wirklichkeit, auf der sie baut, aus der sie wächst. Das, scheint mir, müsste ein grundlegendes Kriterium überhaupt sein.

(Titelbild: Höhenfeuer; zweites Bild: Derborence; letztes Bild: Höhenfeuer)

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/1985 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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