Was erzählst du über dich, wenn deine Zukunft davon abhängt? Diese Frage treibt jede:n Asylbewerber:in in der Schweiz um. Denn im Zentrum jedes Antrags steht eine Anhörung durch die Behörde. Das sieht dann ungefähr so aus: ein Bürogebäude, so langweilig, wie man es sich vorstellt. Weisse Wände, ein blaugrauer Spannteppich, ein paar Tische, Stühle, ein Computer. Auf der einen Seite sitzt der oder die Asylsuchende. Auf der anderen ein:e Beamte:r des Schweizer Staatssekretariats für Migration (SEM), dazu Protokollant:innen und Übersetzer:innen.
Lisa Gerig baut dieses Setting in ihrem Film nach und ermöglicht uns mit dem Reenactment einen Blick in die Mechanismen des Schweizer Asylrechts. Die Asylsuchenden und ihre Geschichten sind echt, die Beamten ebenfalls.
In der Folge dringt Die Anhörung zu etwas vor, das unter philosophischen Gesichtspunkten spannender ist als unter politischen. Wie nämlich stellt ein bürokratischer Prozess aus den Fragen und Antworten subjektiver Gegenüber eine Wahrheit her? Eine Wahrheit, die zu einem konkreten Entscheid darüber führt, ob eine Person in diesem Land bleiben darf oder nicht. Wurde hier ein System geschaffen, das eine faire Chance ermöglicht, oder ist der Prozess willkürlich und unzulänglich? Der Film verkneift sich zum Glück ein explizites Urteil und gibt sich so neutral wie das gefilmte Dekor.
Eine Ahnung davon, wie die Behörde tickt, liefern in Die Anhörung aber die Angestellten des SEM, die die Reenactments durchführen. Schon in der ersten Hälfte des Films bekommt man einen Eindruck davon, wie genau wonach gefragt wird. Und bereits hier stehen sich die unterschiedlichen Perspektiven unversöhnlich gegenüber. «Erzählen sie ehrlich und ohne Angst,» fordert die Beamte und beginnt gleich mit der Frage, wo und mit wem die Asylsuchende in ihrem Heimatland gewohnt hat. Was in Schweizer Ohren nach einer Formalität klingt, mutet für das Gegenüber womöglich wie eine Drohung an. Woher soll man schliesslich wissen, dass sie sicher sind, wenn man Namen und Wohnorte von Angehörigen preisgibt?

Bild: Outside the Box
Dass am anderen Ende des Tisches traumatisierte Personen sitzen könnten, die nur ungern darüber sprechen, warum sie ihre Heimat verlassen haben, hat der Staat wohl nicht antizipiert. Wobei man sich doch fragen muss, ob das naiv ist oder politisches Kalkül. Wen anderes als Menschen, die vor unsagbarem Leid fliehen, erwartet man denn in einem Asylverfahren?
Gerig kehrt den Prozess am Ende um: Die Asylsuchenden befragen die Beamt:innen. Mit dieser Umkehrung wird schlagartig deutlich, wie die Macht hier verteilt ist. Einer der SEM-Angestellten wird nach seinem Vorstellungsgespräch beim Staatssekretariat gefragt – und kann sich nicht daran erinnern. Zwar sieht er ein, dass er sich damit in einer richtigen Anhörung Schwierigkeiten einhandeln würde. Er kann es aber nicht lassen, fast schon herablassend den Frageprozess zu analysieren. Seine ganze Körperhaltung schreit: «Ich habe die Kontrolle über die Erzählung». Ein Luxus, den sich Asylsuchende nicht leisten können.
Die Anhörung ist eine neue Perspektive im Subgenre «Asylfilm». Gerig schafft es mit einer ruhigen Kamera und unspektakulären Schnitten eine zurückhaltende Beobachtungsposition zu schaffen, die ihren Film nicht wie ein linkes Propagandavideo aussehen lässt. Auch deshalb bleiben am Schluss nicht die einzelnen Schicksale der Beteiligten hängen, sondern die Frage, ob dies wirklich die beste und fairste Methode ist, über menschliche Schicksale zu entscheiden.