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Despicable 2

Despicable Me

Kleine gelbe Eierköpfe mal einäugig, mal zweiäugig, dämlich, aber voller Tatendrang – Die Minions brauchen einen Anführer, der möglichst schrecklich und bösartig sein soll. Mit Zügellosigkeit, Übermut und Ideenreichtum erzählen Pierre Coffin und Chris Renaud von den Erlebnissen dieser aussergewöhnlichen Wesen.

Text: Michael Ranze / 29. Sep. 2010

Bösewichter, wer wüsste das nicht, sind im Kino die interessanteren Charaktere, und der Bösewicht hier hat es ganz schön in sich. Schon das Aussehen: Gru (im Original mit russisch-ungarischem Akzent lebhaft und engagiert gesprochen von Steve Carell) hat einen flachen Glatzkopf mit langer, spitzzulaufender Nase, einen runden, weiten Körper und – welch eigentümlicher Kontrast – lange, dünne Beine. Mit einem ökologisch zweifelhaften Ungetüm fährt er zu Beginn des Films zu einem Coffee-Shop, friert die Leute in der Schlange vor ihm kurzerhand ein und zersticht die Luftballons argloser Kinder. Fast scheint es, als wolle Gru alle schlechten Eigenschaften der Superverbrecher der Kinogeschichte, von Fantomas bis Goldfinger, auf sich vereinen. Einem Tony Soprano gleich wohnt er in der ruhigen Vorstadt. Zwischen all den weissen Zäunen und blühenden Büschen fällt sein schwarzes Haus allerdings sofort auf. Doch was sich dar-unter verbirgt, nämlich ein unterirdisches Labor, das von einem mad scientist geleitet wird, ahnen auch die Nachbarn nicht. Wie weiland Maxwell Smart aus der US-Serie Minimax verschwindet Gru über einen Fahrstuhl ins Erdinnere, wo sich ein riesiger Raum auftut, der in seiner Weite und Grosszügigkeit an die Entwürfe des berühmten Produktionsdesigners Ken Adam, egal ob für James Bond oder für Stanley Kubricks Dr. Strangelove, erinnert. Hier greift ein Rädchen ins andere, ausfahrbare Plattformen und schwenkbare Kräne nutzen den Raum und verschaffen Überblick. Gru – und das ist eine der schönsten und witzigsten Ideen des Films – gebietet über eine Heerschar von sogenannten Minions: kleine, gelbe Eierköpfe, mal einäugig, mal zweiäugig, dämlich, aber voller Tatendrang, in einem abgehackten Kauderwelsch sprechend, das nicht zu verstehen ist. Sie sind die eigentlichen Stars des Films.

Despicable 3

Gru sieht sich gern als grösster Bösewicht aller Zeiten, immerhin besitzt er die Freiheitsstatue – wenn auch bloss die Minia-turausgabe aus Las Vegas. Doch der Nachwuchs schläft nicht. So hat sein Erzrivale Vector, ein verwöhnter Teenager, die Pyramiden von Gizeh geklaut und durch Attrappen ersetzt. Ein heist, der nur schwer zu toppen ist. Da kommt Gru auf die Idee, den Mond vom Himmel zu holen. Dazu dringend vonnöten: eine Laserpistole, mit der sich der Trabant auf tragbare Grösse schrumpfen lässt.

Despicable Me ist, mit umgekehrten Vorzeichen, am ehesten mit dem Pixar-Trickfilm The Incredibles (2004) vergleichbar. Hier wie dort treten Superhelden gegen Superbösewichter an, verquicken sich Abenteuer und Alltag, versteckt sich hinter der Fassade des unscheinbaren Vorstadtlebens eine Phantasiewelt – so, wie sie nur im Trickfilm möglich ist. The Incredibles funktionierte auch deswegen so gut, weil dort eine Familie mit glaubwürdigen zwischenmenschlichen Konflikten und Problemen beschrieben wurde. Eine Erkenntnis, die auch Pierre Coffin und Chris Renaud, die Regisseure von Despicable Me, nutzen. Und so führen sie drei süsse kleine Mädchen namens Margo, Edith und Agnes ein, drei Waisen, die Gru unverhofft für seinen Plan, besagte Laserpistole zu klauen, nutzen kann. Dafür muss er sie allerdings adoptieren, und plötzlich erwischt sich Gru dabei, wie er die Kleinen zu Ballettstunden fährt und ihnen Gutenachtgeschichten erzählt. Sollte dieser Superbösewicht tatsächlich ein Herz haben?

Despicable 1

Das klingt natürlich alles ziemlich verrückt. Coffin und Renaud fabulieren einfach drauflos und schiessen, besonders bei einigen waffenstrotzenden Duellen, auch über das Ziel hinaus. Die Zügellosigkeit der Erzählung zeugt dabei immer auch vom Ideenreichtum und der Originalität der Macher. Komödie, Drama, Action, Science-fiction, Krimi – wild jonglieren sie mit den Genres und erweisen auch den Zeichentrickfilmen der Warner Brothers ihre Reverenz. Dabei verlieren die Drehbuchautoren Cinco Paul und Ken Daurio nie die Charaktere aus den Augen. Sie sind lebendig umrissen. So schlägt sich Gru zum Beispiel mit einer dominanten Mutter herum, während Vector im Schatten seines Vaters steht. Familie ist in Despicable Me zuallererst ein Hort für Neurosen und Probleme, der Grundstein für eine kriminelle Karriere. Dazu macht sich der Film einige Gedanken zu Ruhm (wenn auch ins Negative verkehrt), Moral und Verantwortung. Spass machen auch immer kleine Angebote an den Zuschauer. So will sich einer der Superverbrecher bei einer Bank Geld leihen. Natürlich ist es nicht irgendeine Bank, sondern die «Evil Bank, formerly Lehman Brothers».

Despicable 4

Anlässlich von Despicable Me trat US-Kritikerpapst Roger Ebert eine Diskussion um die Qualität von 3D los. Der 3D-Prozess produziere Bilder, die zu dunkel seien. Man solle den Preisaufschlag sparen und den Film wie gewohnt in 2D schauen. Im Wochenmagazin «Newsweek» legt er sogar nach: «3D fügt dem Filmerlebnis nichts Wesentliches hinzu. Einige empfinden es als störende Ablenkung. Andere kriegen davon Übelkeit und Kopfschmerzen.» Einer derartigen Borniertheit, die auch immer die Weigerung bedeutet, sich mit neuen Techniken auseinander zu setzen oder ihre Qualitäten zu entdecken, steht der Optimismus deutscher Kinobesitzer entgegen, für die 3D-Filme nach wie vor «ganz hervorragend» funktionieren, so ein Cinemaxx-Vorstand. Auch Despicable Me überzeugt, ähnlich wie zuletzt Toy Story 3, durch makellose, computeranimierte Bilder, die mit ihrer dritten Dimension nicht zu sehr angeben, in einigen Szenen aber, etwa bei einer Achterbahnfahrt, schlichtweg atemberaubend sind und Spass machen. Mehr kann man nicht verlangen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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