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Des hommes et des dieux

«Nie tun Menschen Böses so gründlich und glücklich wie aus religiösen Überzeugungen.» Des hommes et des dieux thematisiert die Ermordung von sieben Mönchen in der Nähe der marokkanischen Stadt Médéa. Bis heute ist diese Untat nicht geklärt, bei den Mördern soll es sich um Rebellen der radikalen «Groupe Islamiques Armés» handeln. Xavier Beauvois will jedoch nicht die Schuldfrage klären, sondern beleuchtet vielmehr eine zeitlos erscheinende Handlung.

Text: Erwin Schaar / 08. Dez. 2010

«Nie tun Menschen Böses so gründlich und glücklich wie aus religiösen Überzeugungen», meint Blaise Pascal, den Bruder Luc zitiert. Er ist der Mediziner der kleinen Mönchsgemeinschaft der Trappisten im Kloster Notre-Dame de l’Atlas in Tibhirine, einem kleinen Dorf bei der Stadt Médéa, neunzig Kilometer südlich von Algier im Atlasgebirge.

Im März 1996 haben Bewaffnete sieben Mönche dieses Klosters entführt. Ihre abgeschlagenen Köpfe werden im Mai 1996 auf der Strasse nach Médéa gefunden. Die Mönche sollen von den Rebellen der radikalen «Groupes Islamiques Armés» (GIA) ermordet worden sein. Der ehemalige Prokurator der Zisterzienser, denen auch die Trappisten angehören, Armand Vieilleux, glaubt allerdings an ein Komplott der algerischen Armee, die die Öffentlichkeit gegen die islamistische Guerilla aufbringen wollte. Wirklich geklärt ist die Untat bis heute nicht.

Dieses Geschehen hat Xavier Beauvois als Grundlage für das Drehbuch seines Films genommen, der nicht die Schuldfrage klären will, dem es eher um eine zeitlos erscheinende Handlung geht, die zwar aktuelle Bezüge hat, aber wie das Pascal-Zitat Gültiges über menschliches Verhalten ins Bild setzen möchte.

Wenn geistliche Rituale mit spirituellen Gesängen einen beträchtlichen Teil des filmischen Geschehens bestimmen, ist der Betrachter gerne bereit, seinen kritischen Geist dem Verlangen nach Höherem zu widmen, als die Präsentation nach dem Sichtbaren zu beurteilen. Das kann auch die Gefahr von Beauvois’ Film sein, der in Frankreich beim Publikum und beim Festival in Cannes bei der Kritik einen ungemeinen Erfolg verzeichnete.

Die einstimmende Landschaftstotale des in Marokko gedrehten Films zeigt eine Schönheit der Landschaft, die auch eine grausame Komponente besitzt, weil man sich in ihr ausgesetzt fühlen könnte. Aber das Leben im Dorf, in dem das Kloster steht, gibt der Geschichte wieder Sicherheit, weil die Mönche dort das Leben zu strukturieren scheinen. Sie gehen ihren handwerklichen, geistigen oder pflegerischen Tätigkeiten nach. Keinerlei missionarisches Bestreben ist zu spüren, der Dienst am Nächsten kommt aus dem Glauben, der lediglich auf die eigene Individualität gerichtet ist. Die sieben Mönche und ihr Prior Christian feiern mit den muslimischen Dörflern auch deren Feste, sie helfen ihnen bei Amtshandlungen, geben persönliche Ratschläge und medizinische Hilfe. Und Bruder Luc, der die emotionale Mitte des Films und auch das emotionale Zentrum für den Betrachter ist, verkörpert schon allein die Wichtigkeit des Klosters für die Bewohner. Michel Lonsdale bringt eine so stimmige Präsenz der Nächstenliebe und der medizinischen Kompetenz in sein Spiel, dass jeglicher Zweifel am Sinn christlicher Missionsarbeit ausgeschlossen scheint. Wäre doch Tibhirine sonst nur seinem vegetativen Schicksal überlassen, denn kaum etwas, oder eher nichts wird über die Arbeit der Einwohner sichtbar.

Die alltäglichen Verrichtungen im Kloster werden in ihrer Gottgefälligkeit von den spirituellen Gesängen der Mönche in ihren über den Tag hin verteilten Gebetsstunden bestimmt. Vielleicht wirkt der Film durch diesen hingebungsvollen Gesang so eindringlich, lässt die psychische Heilkraft der liturgischen Musik spüren: «En toi Seigneur nos vies reposent». Aber der Friede täuscht. Prior Christian erfährt vom Imam des Dorfes von den mörderischen Umtrieben islamischer Fundamentalisten, und bald rückt die Gefahr näher, als in der Nähe kroatische Bauarbeiter von den religiösen Rebellen getötet werden. Die Beschaulichkeit schlägt in Unsicherheit um, weil das Militär und Politiker der Provinz die Mönche wegen der Vorfälle zur Rückkehr in ihre französische Heimat bewegen möchten

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Christian, der sich für den islamisch-christlichen Dialog engagiert – die Bibel und der Koran sind sichtbare Zeichen seiner Studien –, diskutiert mit seinen Mitbrüdern über diese Herausforderung und über die Auswirkungen für das soziale Leben des Dorfes. Die eher zögerliche Haltung einiger Brüder wird durch den gewalthaltigen Besuch der GIA-Rebellen zu einem trotzigen Widerstand, und auch die Provokation durch das Militär schweisst sie mehr denn je zusammen. Obwohl sie Christian seine autoritäre Haltung vorwerfen, erweist sich dieser in seiner Intellektualität als die entscheidende Person. Christians Rolle, dem wirklichen Prior Christian de Chergé nachgezeichnet, dürfte für die Besetzung die schwierigste Aufgabe gewesen sein. Die gläubige Hingabe an das Klosterleben kann durch die Darstellung Lambert Wilsons mehr oder weniger als geglückt angesehen werden. Ist er überzeugend bei seinen intellektuellen Tätigkeiten, meint man bei seiner Glaubenshaltung eine Diskrepanz zu spüren, die sich erst bei den Chorgesängen wieder verliert: «Es ist das Singen, das uns am meisten für die Interpretation dieser aussergewöhnlichen Rollen vorbereitet hat.»

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Auch gegen Ende des Films versucht Beauvois die Musik als gemeinschaftstiftendes Element einzusetzen. In einer dem letzten Abendmahl nachempfundenen Feier werden die freudigen Gesichter der weintrinkenden Brüder aneinandergeschnitten, ihrer feierlichen Stimmung soll Ausdruck gegeben werden, und die vom Tonband kommende Musik – Tschaikowskis Schwanensee – soll ihre Gemeinschaft feiern. Die festliche Stimmung wird durch den Überfall der GIA-Rebellen zerstört. Die Mönche werden nach einem beschwerlichen Marsch in winterlicher Kälte den im Abspanntext mitgeteilten Tod erleiden, dessen Verursacher bis heute nicht bestimmt werden konnten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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