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Pingu The Thing 5
© Pingu`s The Thing

Das greifbare Etwas

Stop-Motion-Animation scheint besonders die kleinsten Film- und Fernsehzuschauer:innen zu begeistern. Der Stopptrick hat aber auch subversives Potential. 

Text: Nino Büchi / 26. Sep. 2024
 

In hohem Tempo watschelt ein vor sich hin trötender Pinguin auf einer Eisscholle. Seine Augen werden übergross, die Arme lang, der Hals gestreckt. Die Figur wird zum Spielball von Angst, Freude, Trauer und Stolz, die den Körper bizarr verziehen und verdrehen. Lautstark äussert sich diese bewegte Formation aus Knete mit den fantasievollen Trompetenklängen, die uns noch Jahre in den Ohren bleibt.

Die Kinderserie Pingu wurde nach ihrer Erstausstrahlung 1986 ein globaler Hit. In vielen Schweizer Wohnzimmern bedeutete die SRF-Produktion so etwas wie Heimat. Und wie für so viele war auch für mich Pingu ein erster Berührungspunkt mit der Stop-Motion-Animationstechnik.

Stop-Motion ist nicht nur an die eigene Kindheit geknüpft, sondern auch an jene des Kinos. Es ist die älteste Form der Animation, ja des Prinzips Film überhaupt. Es ist die Arbeit mit Puppen, Modelliermasse oder anderen Materialien, welche man dann Bild um Bild manipuliert. Aus der anschliessenden Aneinanderreihung und nahtlosen Wiedergabe entsteht die Illusion der Bewegung.

Ein also grundsätzlich filmischer Prozess, dessen Grundprinzip sich im Lauf der Geschichte nur wenig veränderte. Musste früher zum Beispiel für eine Kamerabewegung über mehrere Frames hinweg noch per Hand gekurbelt werden, übernimmt heute eine vorprogrammierbare Steuerung. Einst mussten Hintergründe bis in die tiefste Unschärfe gebaut werden, heute kann dank Greenscreen oder Masken in der Postproduktion auf Wunsch ein Set eingefügt werden.

Und was ist mit Pingu passiert? Die Serie gibt es tatsächlich noch – wenn auch nicht mehr aus Knete. 2017 wurden die Rechte von einer koreanischen Produktionsfirma aufgekauft und die Figuren für 26 Episoden unter der Regie von Naomi Iwata in 3DCG-Format digital nachmodelliert. Die neuen Pingu-Folgen sehen fast gleich aus wie die alten, aber eben nur fast. Wer die alten Folgen gesehen hat, denkt unweigerlich: Es ist nicht mehr dasselbe. Irgendetwas geht in der Übersetzung in digitale Bilder verloren. Nur was genau? Worin liegt die Magie der Knete? Und warum werden mit den Möglichkeiten der Computertechnik überhaupt noch Stop-Motion-Filme gefertigt?

Sandmännchen

Geknetet wie eh und je: Das Sandmännchen. © ZDF

Pingu, Sandmann, Shaun und Co.

Antworten erhoffe ich mir bei der weltweit langlebigsten Serie der Geschichte: dem Sandmännchen. Ursprünglich war es eine Figur aus dem DDR-Fernsehen, die Ende 1959 ihren ersten Auftritt hatte. Auch im Westen wurde fast zeitgleich eine Sandmännchen-Figur geschaffen, die aber in den Neunzigern wieder aus dem Fernsehen verschwand. Das Ost-Sandmännchen schaffte den Sprung in die Gegenwart. Unzählige Folgen entstanden in fast 65 Jahren. Und noch wird Folge um Folge mit dem altbewährten Stopptrick produziert. Ob Stop-Motion gerade das Besondere am Sandmännchen sei, fragte ich Drehbuchautor und Regisseur Stefan Schomerus. Er wirkte schon an zahlreichen Sandmännchen-Produktionen mit, auch in der Postproduktion. «Stop-Motion ist für die ‹Beseelung der Figuren› die Technik, die sich am meisten ‹handgemacht› anfühlt. Es ist die sinnlichste Art der Animation, nur schon weil mit echtem Material gearbeitet wird», sagt Schomerus.

Zum Sandmännchen kam er nach seinem Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg im Bereich Animation und Arbeiten an Sets zahlreicher Produktionen für junges Publikum. 2022 führte Schomerus erstmals Regie für das Sandmännchen im deutschen Fernsehen. Seine Begeisterung für die Kunstform begann mit eigenen Animationsfilmen mit Playmobil- und Lego-Figuren, nachdem er und sein Bruder den Stopptrick mit der Kamera ihres Vaters entdeckt hatten.

Für Schomerus ist es keine Überraschung, dass Stop-Motion gerade für Kinderserien beliebt ist. «Die meisten Stop-Motion-Produktionen findet man in Filmen und Serien für das Vorschulalter. Das hat sicher damit zu tun, dass die Technik mit den Spielzeugwelten der Kinder verbunden ist.» Selbst wenn heute sehr viel auch am Computer modelliert wird, stecke gerade dort viel Betonung auf der Ästhetik des Analogen.

Die Spielwelten der Kinder verändern sich mit der Zeit. Als Schomerus die Sandmännchen-Geschichten anvertraut wurden, sei es der Wunsch der Redaktion gewesen, die Tradition des Handwerks beizubehalten, aber mit einem modernen Touch, erzählt er. Statt über die Filmtechnik sollte das Zeitgenössische über die Inhalte – die Figuren und deren Interaktionen – einfliessen. Auch die Ausstattung, zum Beispiel die Fahrzeuge, reflektiert unsere heutige Zeit. Ob im Roboteranzug, im fliegenden Bücherbus oder im Recyclingfahrzeug unterwegs: Das Sandmännchen trifft heute auf Kinder in ihrer aktuellen Lebenswelt und will auch divers sein. Mit diesem Anspruch stösst das Team auch mal an Grenzen. Eine 2021 erstmals ausgestrahlte Folge, in der eine trans Figur namens Herr Ingeborg vorkommt, sorgte bei ihrer Zweitausstrahlung 2023 für Empörung in rechtskonservativen Kreisen. Die Folge wurde aus der Mediathek entfernt.

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Pigu`s The Thing (2012)

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Pädagogisches Bild-um-Bild

Nicht nur Knete ist formbar, sondern auch Kinder. Das wissen auch die Bildungsstätten für Lehrer:innen. Anja Morawietz Dalla Torre ist Dozentin im Bereich Kunst und Design an der Pädagogischen Hochschule Zürich und wendet auch in den eigenen Unterrichtslektionen die Animationstechnik an. Sie erklärt, warum: «Einerseits bietet das eigene Ausprobieren mit Stop-Motion die Möglichkeit für Kinder, dahinterzukommen, wie Film grundsätzlich funktioniert.» In der Alltagswelt würden sie den Filmen auf zweidimensionalen Bildschirmflächen begegnen, was es nicht möglich mache, zu verstehen, wie Filme überhaupt entstehen. «Andererseits dient es der Selbstermächtigung der Schüler:innen. Stop-Motion ermöglicht es, selbst etwas zu kreieren, innovativ zu sein und dies vielleicht selbst einmal als Beruf ausüben zu können.»

Und tatsächlich, wer Animation studiert, kommt um Stop-Motion kaum herum. Auch hier bestätigt sich: Seit der Erfindung der Technik hat sich kaum etwas an ihr verändert. «Innerhalb eines inzwischen komplett digitalen Umfelds und gewisser Automatisierungen des Arbeitsablaufes bleibt der Kern einer Stop-Motion-Produktion konstant», meint Jürgen Haas. Er ist Professor und Studiengangsleiter für den Bereich Animation an der Hochschule Luzern. Würden grundlegende Dinge wie das greifbare Material oder das Bild-um-Bild-Verfahren wegfallen, «dann wäre es dann ja auch keine Stop-Motion mehr.» Haas beobachtet, dass die Studierenden an der Hochschule Luzern die handgemachte Animation als Gegenpol zu technologischen Neuerungen schätzen: «Je technologischer der Film wird, umso mehr wenden sich die Leute dem Analogen wieder zu.» Insbesondere mit der aktuellen KI-Thematik verzeichne die Fachhochschule eine wachsende Anzahl von Studierenden, die sich lieber wieder der Stop-Motion-Animation widmen.

(Kindes-)Faszination Erwachsener

Stop-Motion spielt also mit Nostalgie, mit Erinnerungen an die eigene Medienbiografie. Morawietz Dalla Torre bestätigt dies aus eigener Erfahrung: «Mir fehlt die Haptik bei rein digital hergestellten Filmen. Das ist für mich halb tot. Aber ich glaube, dieses Gefühl für eine gewisse Ästhetik ist generationsabhängig.» Da sie in den Siebzigerjahren geboren ist, hätten für sie Filme mit handgemachten Knetanimationen eine unersetzbare Lebendigkeit.

Auch Sandmännchen-Regisseur Schomerus sieht in der Imperfektion gerade das Lebendige. Am Computer animierte Objekte müssen nicht in einem realen Raum vorhanden sein, das bleibe ein Nachteil. Da es mittlerweile aber auch in digitaler Form möglich ist, diese «Gemachtheit» der Stop-Motion zu imitieren, sei das ein brauchbarer Ersatz für ihn. Es seien schliesslich die gute Unterhaltung und funktionierende Figuren, die fürs junge Publikum zählten. Für Haas steht das Grundbedürfnis, Dinge anzufassen, im Zentrum der Beliebtheit der Stop-Motion-Animation. Der Mensch verstehe die Welt über das Taktile, sagt er. Auf diese Faszination bauen für ihn auch Filme wie La Vie de Courgette: «Wenn man sieht, wie die Acrylfarbe auf der Oberfläche der Figuren liegt, kriegt man das Gefühl, dies selbst machen oder beeinflussen zu können», sagt er.

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Fantastic Mr. Fox (2009)

Subversion ins Kinderfreie

Vielleicht ist es dieses Grundbedürfnis nach Haptik, nach Taktilem, mit dem die Stop-Motion-Technik die Brücke von Kinderserien zur Erwachsenenunterhaltung schlägt. Tim Burtons The Nightmare Before Christmas (1993) oder Wes Andersons Fantastic Mr. Fox (2009) und Isle of Dogs (2018) tragen die aus Kindertagen vertraute Kunstform über die Schulzeit hinaus. Diese Filme spielen bewusst mit der Nostalgie für unsere Lieblingsserien von einst, um uns damit schwere, ja manchmal existenzialistische Inhalte zu vermitteln.

Auch Barry Purves schreibt in seinem Buch zum Animationsfilm, dass wir dazu konditioniert seien, Stop-Motion-Animationen mit Kindern in Verbindung zu bringen. Die Kunstform sei aber gerade dadurch ein kraftvolles Mittel des Ausdrucks für Erwachsene.

Wenn die nostalgisch aufgeladene Stop-Motion für Erwachseneninhalte benutzt wird, scheint sie ein besonders interessantes Ventil zu sein. Sexuelle Szenarien, Horror- und Gore-Sequenzen finden sich beispielsweise in den elf Staffeln der Kult-Sketch-Comedyserie Robot Chicken (2005–) oder davor schon im genauso kultigen, satirischen Wettkampf-Animatic Celebrity Deathmatch (1998–). In den Robot Chicken-Sketches werden Themen des Alltags, Celebrities und Popkultur mittels Stopptrick parodiert und in abstruse Erzählungen verwickelt. Oft mit Knete und bekannten Kinderspielzeugen in den Hauptrollen, durchbricht die Comedyserie zahlreiche Hemmschwellen: Von explodierenden Köpfen und spritzendem, dickflüssigem Knetblut bis zu verlorenen Kondomen findet sich in den Kurzgeschichten, die dank Stop-Motion-Animation absichtlich «amateurhaft» daherkommen, schlicht alles. Die Verwendung der Technik, die man aus Kindertagen kennt, produziert mit dem bizarren oder brutalen Inhalt einen Clash. Und die Karikatur wird – zumindest für Anhänger:innen des Brachialen und Absurden – noch humorvoller.

Auch die Fans von Pingu sind längst erwachsen. Naheliegend also, dass auch der Südpolbewohner für nicht jugendfreie Inhalte herhalten muss. Der Animationskurzfilm Pingu’s The Thing (Lee Hardcastle, 2012) wurde zum kleinen Hit im Internet. John Carpenters The Thing nachempfunden, zeigt das Passionsprojekt Pingus Kampf gegen ein mörderisches Alien. Aufgesplitterte Rippen, spritzendes Blut, Flammenwerfer und Dynamit zeigen eine brutal-komische kill-or-be-
killed
-Version der ursprünglich doch so liebevoll inszenierten Schneelandschaft.

Ob das nun dem Geschmack der erwachsenen Zuschauer:innen entspricht oder nicht, es zeigt eines: In Pingu, meinem ersten Berührungspunkt mit Stop-Motion-Animation, fliessen Nostalgie, Freude an Haptik und der Drang, Eigenes zu erzählen, zusammen. Stop-Motion ist eine Kunstform, die so formbar ist wie das Material ihrer Figuren.

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