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Das Erste und das Letzte

Das Erste und das Letzte ist ein respektvoller, berührender Film. Die Die Psychologin Jacqueline von Kaenel erzählt darin von ihrer Kindheit, die von einer sadistischen Mutter geprägt ist, Sie reflektiert sie nun, im Wissen, dass sie bald an ihrer unheilbaren Krebserkrankung sterben wird.

Text: Tereza Fischer / 07. Feb. 2018

Ein unsichtbarer Pinsel, wie von Geisterhand geführt, malt auf die weisse Filmleinwand. Einfache Striche und leichtere und stärkere Schattierungen erscheinen, lassen aber lange nicht erkennen, was nach und nach vor unseren Augen entsteht. Es sind Erinnerungs- und Traumbilder, in Schwarzweiss gehalten und ab und zu mit einem verstörenden Einsatz von roter Farbe ins Unheimliche und Schmerzliche driftend.

Die langsam entstehenden und nicht vorhersehbaren Zeichnungen von Anja Kofmel (die an den Solothurner Filmtagen ihren eigenen Animationsdokumentarfilm Chris the Swiss vorgestellt hat), nehmen in Kaspar Kasics’ Das Erste und das Letzte viel Raum ein. Die Langsamkeit, die Konzentration, mit der wir den Pinselstrichen folgen, verdichten sich zu meditativen Momenten. Wir schauen und hören dabei gleichzeitig der Protagonistin zu. Die Psychologin Jacqueline von Kaenel erzählt von ihrer Kindheit. Und sie erzählt von ihrer unheilbaren Krebserkrankung. Sie tut dies in einer bedächtigen Art, als würde auch sie Pinselstrich für Pinselstrich hintereinander setzen, oder eben Wort für Wort Bilder entstehen lassen. Was sich als Gesamtbild am Ende zusammenfügen wird, lässt sich zu Beginn nicht erahnen. Vielmehr tauchen Fragen auf, wie die Kindheit – das Erste —und der Tod – das Letzte –, hier verknüpft sind.

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Jacqueline von Kaenel erzählt von ihren Eltern, der wohlhabenden Familie mit vier Kindern, hinter deren perfekter Fassade sich psychische und physische Folter verbirgt. Die Familie lebt in den Fünfziger- und Sechzigerjahren im Franco-Spanien, der Vater arbeitet dort für Sulzer. Die Mutter, die aus einer strengen ostpreussischen Familie stammt, ist mit Repräsentation und mit der perfekten Inszenierung ihrer Kinder beschäftigt, die sie bis ins letzte Detail lenkt und kontrolliert. Die drei Mädchen und der Knabe dürfen sich nie nach eigenem Ermessen kleiden oder etwas unternehmen, was nicht von der Mutter bewilligt worden ist. Den ganzen Tag werden sie mit Aufträgen zugedeckt und bei kleinsten Vergehen unverhältnismässig bestraft. Am schwersten wiegen die grundlosen Schläge, die sadistische Freude der Mutter am Schmerz der Kinder und die lange voraus angekündigten Züchtigungen.

Im Zentrum der Erzählungen steht die Mutter, nur am Rande spricht von Kaenel von ihren Geschwistern und dem Vater. Die ältere, rebellische Schwester wird mit Achtzehn vor die Tür gesetzt, dem jüngeren Bruder gelingt mit Sechzehn die Flucht aus einem Internat. Sie verschwinden damit aus der Familie, und aus der Geschichte. Die junge Jacqueline selbst war nie zu aktivem Widerstand fähig; die einzig mögliche Flucht war jene in die Unauffälligkeit, bis zur Unsichtbarkeit, bis zur körperlichen und psychischen Auflösung. Was später erst möglich und notwendig wird, ist das Ringen um eine eigene Identität und ein eigenes Leben.

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Die Episoden fügen sich zu einem erschütternden Bild. Darauf muss man sich als Zuschauer_in einlassen können. Und auch auf die Protagonistin selbst, die mit ihrer Stimme omnipräsent ist und über weite Strecken direkt in die Kamera spricht. Sie allein erzählt von ihrem Leben. Diese Subjektivität gilt es anzunehmen oder auszuhalten.

Der Film ist in der Wahl seiner Mittel zurückhaltend. Neben den das subjektive Erleben reflektierenden Zeichnungen, den inneren Bildern, kontrastiert Kasics die Talking-Head-Aufnahmen auch mit Familienfotos, Bilder des Äusseren. Er lässt uns dabei viel Zeit, in den Gesichtern etwas suchen, das mit dem Erzählten korrespondieren könnte. Je länger wir diese perfekt inszenierte Familie und die lächelnden schönen Menschen anschauen, umso unheimlicher wird die Diskrepanz zwischen der Stimme und dem Bild, zwischen dem subjektiven Erleben der Protagonisten und dem Schein, der sich auf den Fotos manifestiert.

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Die Art und Weise, wie ruhig Jacqueline von Kaenel über den Horror ihres Elternhauses spricht und welch treffende Bilder und Deutungen sie verwendet, deutet auf eine jahrelange und intensive Verarbeitung hin. Nur wenig erfahren wir von ihrer «ungesunden» Ehe, in der sich ein Stück weit die Beziehung zu den Eltern reproduziert, und von ihrem Erfolg als Kinder- und Familienpsychologin. Die Zeit zwischen dem Ersten und dem Letzten spielt keine grosse Rolle und so ist der Vergangenheit die Gegenwart in Gestalt des nahenden Todes in brutaler Weise gegenübergestellt. Den Tod vor Augen versucht Jacqueline von Kaenel zu verstehen, warum ihre Mutter so war, und daraus zu lernen. Aber wofür, fragt sie sich, ist die Erkenntnis gut, jetzt kurz vor dem Ende des Lebens. Die Tragik dieser Erkenntnis, aber auch der Konstruktion des Films, trifft uns. Dennoch haben wir in Sequenzen, die sie im Spital zeigen, gesehen, dass Jacqueline von Kaenel diese Einsichten nicht erst an ihrem Lebensende hatte: Wenn sie im Spital von ihren beiden erwachsenen Söhnen besucht wird, sind die alltäglichen – soweit dies unter diesen Umständen möglich ist – Gespräche von einem ehrlichen und liebevollen Umgang geprägt. Von Kaenel selbst ist eine liebevolle Mutter geworden. Daran merkt man, dass sie den dunklen Schatten ihrer Kindheit nicht erst jetzt am Ende des Lebens überwunden hat, dazwischen gab es ein Leben, das der Film zwischen dem Ersten und dem Letzten weitgehend ausblendet, das sich aber in den beobachtenden Szenen im Spital deutlich zu spüren ist.

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