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Daniel Schmid-Le chat qui pense

Text: Pierre Lachat / 14. Apr. 2010

Schon früh lag ein Schatten auf dem Plan von Pascal Hofmann und Benny Jaberg, statt über Daniel Schmid einen Dokumentarfilm mit ihm zu machen, erlag doch der Schweizer Regisseur im August 2006 einem langen Krebsleiden. Es brauchte wohl die Weitäugigkeit zweier Studenten kurz vor dem Diplom, um an ihrem Vorhaben unverdrossen festzuhalten. Statt ohne den Protagonisten, berichten sie nun doch über Daniel Schmid.

Sie spüren einem Lebenslauf von mehr als sechzig Jahren nach und einer Filmografie, die nahezu ein halbes Jahrhundert umfasst. Beiseite lassen sie nur Weniges, und eines schält sich zuvorderst dabei heraus. Da operiert nämlich ein Querkopf von der ausgesprochen bündnerisch-berglerischen Sorte gewollt oder ungewollt antizyklisch. Zu einer Zeit, die resolut lauter Politisches fordert, ist er auf alles Ästhetische, gelegentlich sogar Kitschige aus. Es entstehen die drei oder vier wesentlichen Spielfilme von Heute Nacht oder nie über Violanta bis Hors saison. Umgekehrt widmet er sich später, da immer schriller auf Kasse und Quote gepocht wird, seinen beiden vollendeten Dokumentarfilmen.

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Mehr denn je erscheinen im Gesamten der Hinterlassenschaft Il bacio di tosca von 1984 und Das geschriebene Gesicht von 1995 als Schmidsches Kino in reinster Ausprägung. Beide bewegen sich jenseits der angeblichen Unvereinbarkeit von Fiktion und Faktion, von Erzählung und Analyse, von Beschreibung und Interpretation, von Vergangenheit und Gegenwart, von Bühne und Leinwand; und sie finden sich so sehr im Alltag an der nächsten Ecke beheimatet wie im Exotischen und in den Träumen.

Il bacio di tosca schildert das Asyl für pensionierte Opernsänger in Mailand als ein naheliegendes Domizil des Formenmischers. Aber in Das geschriebene Gesicht erscheint selbst das ferne Tokio des jahrhundertealten Kabuki-Theaters, als wärs ein Zuhause. Das eine Kinostück und das andere legen den Schluss nahe, in späterer Zeit habe Schmid fast ausschliesslich die Kunst der Inszenierung in der engsten Bedeutung des Wortes gesucht, nämlich verstanden als das Motivieren und Anleiten von Spielern und Darstellern aller Art, und zwar einerlei, in welchem Sinne sie jeweils als Berufsleute gelten konnten: Sänger, Musiker, Mimen, Tänzer, Diseure.

Nach der gleichen Richtung deutet die Rückkehr des Auswanderers ins helvetische Flims am Ende einer Dekade in Paris, wo er die Auftritte von Ingrid Caven im Habitus der Dietrich arrangiert hat. Der halbgöttlichen Diseuse aus Saarbrücken fiel die Rolle einer Schmid-schen Muse zu, und zwar aus einem offensichtlichen Grund: weil sie eine Nachgeborene war. Als beglaubigtes Imitat hatte sie die Vorzüge des dahingegangenen Originals zu vertreten, zu verdeutlichen und zu verherrlichen, doch ohne die Qualitäten jemals selbst egalisieren zu dürfen.

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Seiner Sache vollauf bewusst, war Schmid in dem präzisen Sinne ein bürgerlicher Dekadenter, als der schmerzlich empfundene, scheinbar unaufhaltsame allgemeine Niedergang allein nie als eigenständiger Wert oder Unwert gelten kann. Denn zu behaupten vermag er sich nur dank der ständigen Rückbesinnung auf die unwiederbringlich verflossene Epoche des auch nur vermeintlich Echten. Damals stellte alles sich noch so unvergleichlich viel wahrer und schöner dar: bezaubernd brüchig, weil keiner Zukunft versprochen und befreit von allen Obliegenheiten und Effizienznachweisen, aber auch unbelastet von jeder Nostalgie.

Kein Zwang kann die Freiwilligkeit aufheben. Zu einem Unzeitgemässen wird nur der, der sich dafür halten mag. Und wenn er sich zwischen den Epochen verlaufen hat, dann schimmert auf dem untersten Grund seiner Verwirrung die Trauer darob durch, niemals wieder in die Kindheit zurückkehren zu können. Denn sie ist die eine wahre verlorene Zeit, zu der sich später alle weiteren Einbussen bloss noch hinzurechnen. Der Weggang aus Flims und seinen Alpen, die Heimkehr und das Ausharren bis zum letzten Seufzer bilden zusammen die Klammer, die alle andern Themen umarmt: schon fast zärtlich, wie zum Trost. Nichts gelingt den Autoren besser. Schmids Grundstimmung, jener melancholische Gleichmut, der irgendwann nichts mehr für wirklich beklagenswert hält, wird zur Atmosphäre des Films. Als Marke dient eine Skizze, auf der er sich als «chat qui pense» oder sinnierenden Katze auf felsigem Grund darstellt. Der Rücken ist dem Publikum zugewendet, der Blick in eine Ferne gerückt, weit hinten auf dem Zeichenpapier, die wohl das Gestern ist.

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Beim Gang durch die letzten vierzig Jahre vor dem Millennium greifen Hofmann und Jaberg nur einmal zu kurz. Gewiss, auf die weitere Sicht hat jener militante Westberliner Widerstand zwischen 1965 und 1980 den zögernden Mitläufer Schmid wohl weniger geprägt, als er selbst glaubte, und bestimmt weniger, als es die spätere Pariser Periode tun sollte. Dennoch war und bleibt es unmöglich, die Lage in der durchmauerten Metropole zu begreifen, ohne die Verhältnisse als den zugespitzten Ausdruck des Ost-West-Konflikts zu interpretieren, der alles Damalige überschattete.

Die Opposition in den Strassen galt den verbrecherisch auf Weltherrschaft zielenden Machenschaften des einen wie des andern Militärblocks. Die handfesten Proteste zu einer vorübergehenden Indisposition des Zeitgeistes abzuwerten, wie es hier geschieht, geht an der Historie vorbei. Nachvollziehbar wird die Einschätzung der Filmemacher bestenfalls von der Verlegenheit her gesehen, die Schmid manifestierte: immer dann, wenn es ums Politische ging und zumal um solche Fragen, die sich aufdrängten statt sich verdrängen zu lassen. Auch hierin war er der Bewohner einer Unzeit, die ungebeten darauf insistierte, die seine werden zu wollen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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