Filmbulletin Print Logo
504 89 sinalco froschkoenig

Condor Films

Orson Welles, Federico Fellini, Martin Scorsese haben es getan, und sogar Akira Kurosawa hat für japanischen Whisky geworben – und damit Kagemusha mitfinanziert. Aber in den Werklisten der Meister werden Werbefilme normalerweise schamhaft verschwiegen. So sehr man deren Ertrag aus finanzieller Sicht schätzt, aus künstlerischer Sicht rümpft man die Nase.

Text: Thomas Binotto / 01. Sep. 2010

Ist einer, der Werbefilme macht, ein Filmemacher? Oder gar ein Künstler? – Die Filmbranche hat zum Werbefilm gemeinhin ein höchst zwiespältiges Verhältnis, obwohl sich fast jeder Regisseur irgendwann einmal für einen Werbefilm «verdingt» hat. Orson Welles, Federico Fellini, Martin Scorsese haben es getan, und sogar Akira Kurosawa hat für japanischen Whisky geworben – und damit Kagemusha mitfinanziert. Aber in den Werklisten der Meister werden Werbefilme normalerweise schamhaft verschwiegen. So sehr man deren Ertrag aus finanzieller Sicht schätzt, aus künstlerischer Sicht rümpft man die Nase.

Das hat Martin A. Fueter in sechsundvierzig Jahren als Filmemacher zu Genüge erlebt. Dabei fährt er den Rolls-Royce der Branche, wie er selbst lachend erklärt. Gegen 3500 Werbespots hat Fueter in seiner langen Karriere produziert. Damit ist er in der Schweiz der Doyen dieser sowohl finanziell wie technisch aufwendigsten Filmgattung, die gleichzeitig höchst ökonomisch arbeitet, weil jene, die es bei gerade mal 500 Bildern auf die Sekunde genau nehmen, schon sträflich unpräzise sind.

Werbespots sind Mikrospielfilme, in denen ein einzelnes Bild gigantische Summen kosten und gleichzeitig pure Zeitverschwendung bedeuten kann. «Warum mache ich seit sechsundvierzig Jahren Werbefilme?» fragt sich Fueter und liefert die Antwort gleich selbst: «Es ist die Faszination, so kurz und präzise wie möglich Geschichten zu erzählen; Geschichten, die originell sind, leicht verständlich, und die deshalb haften bleiben.» Sein Suva-Spot für den Velohelm beispielsweise, in dem er die Scream-Hits buchstäblich zur eindrücklichen Warnung transformiert hat. Oder im Spot für die Coop-Bank, mit dem «Mr. Sammelklage» Ed Fagan durch Guerilla-Methoden zum Werbeträger gemacht wird. Es sind nur zwei von vielen kurzen Meisterwerken einer Filmgattung, die viel mehr zu bieten hat als bloss Kommerz.

283 71 das sexte programm6

Als Martin Fueter 1944 geboren wurde, war sein Weg ins Filmgeschäft praktisch vorgezeichnet. Seine Mutter Anne-Marie Blanc hatte man kurz zuvor als Gilberte de Courgenay zur Ikone der Nation gemacht. Sein Vater Heinrich Fueter war Produktionsleiter bei der Praesens Film gewesen und hatte die Gloriafilm ins Studio «Bellerive» ans Zürcher Bellevue gebracht. Schon als Dreikäsehoch war der kleine Martin also mittendrin im Filmgeschäft. Ein altes Foto zeigt ihn gebannt unter dem Dreibein einer Filmkamera sitzend.

Mit der 1947 gegründeten Condor-Film AG spezialisierte sich Heinrich Fueter auf PR-Filme, Lehrfilme oder Dokumentarfilme. Diese Auftragsfilme wurden mit grossem technischem Aufwand produziert und liefen in den Kinos als Vorprogramm. Schon damals hielten sich namhafte Regisseure mit Werbeaufträgen über Wasser. Hans Trommer, Max Haufler und Kurt Früh beispielsweise bekamen in schwierigen Zeiten bei Condor Asyl. Fueter erinnert sich heute noch lebhaft daran, wie Trommer skrupulös jede Szene aus möglichst vielen Blickwinkeln filmen wollte.

Andere Regisseure wie Herbert Meier träumten davon, endlich einen grossen, einen “richtigen” Spielfilm zu machen. Es blieb beim Traum, obwohl Fueter Meiers Werbefilmen eine hohe künstlerische Qualität attestiert. Das Heimwehdrama Zwischen uns die Berge, für das Meier am Drehbuch mitgewirkt hatte, sei dagegen eine kitschige Schmonzette.

Neben den zeitweiligen Asylanten und den ewigen Aspiranten gab es in der Geschichte der Condor aber auch immer wieder junge Regisseure, die hier ihre ersten Chancen erhielten und diese auch packten, Regisseure wie Niklaus Gessner, Markus Imhof, Thomas Koerfer und Daniel Schmid.

159 59 auskunft im cockpit 2

Die Möglichkeiten der Condor veranschaulicht ein 1959 entstandener PR-Film, der Jugendliche für die Fliegerei begeistern sollte. Auskunft im Cockpit dauerte lediglich fünfzehn Minuten, wurde aber mit Stars wie Anne-Marie Blanc, Paul Hubschmid und Robert Freitag bestückt. Regie führte Niklaus Gessner, und das Buch schrieb Oscar-Preisträger Richard Schweizer. In einer Nebenrolle trat Martin Fueter auf.

Bereits vier Jahre später trat dieser als Neunzehnjähriger in die Firma ein, weil sein Vater kurz zuvor einen Herzinfarkt erlitten hatte, von dem er sich nie mehr ganz erholen sollte. Heute sagt Fueter, er habe einfach «Schwein» gehabt, in dieser Umgebung aufwachsen zu dürfen. «Anstatt seriös Hausaufgaben zu machen, habe ich doch lieber am Abend unseren Filmemachern am Schnittplatz über die Schulter geguckt und so allmählich begonnen, selbst mitzuarbeiten.» Und irgendwann haben die Grossen seine Meinung nicht mehr nur angehört, sondern eingefordert.

Die Condor war also ein El Dorado für den technikbegeisterten Jugendlichen, der als Kind mit Romy Schneider vor der Kamera stehen durfte, mit vierzehn bereits als Hochzeitsfotograf Geld verdiente, als Jungreporter für die Condor filmte und damit Schritt für Schritt in alle Bereiche des Filmemachens eingeführt wurde. Mit seiner ansteckenden Begeisterung, die ihn auch als Teilzeitpensionär noch auszeichnet, erzählt Fueter von diesen Jahren, in denen er sich mit dem Schweizer Fernsehen oft ein Wettrennen als People- und Sportberichterstatter lieferte. Gewonnen hatte er jeweils, wenn es seine Beiträge von Skirennen oder prominenten Wintertouristen waren, die von der BBC übernommen wurden.

Sechsundvierzig Jahre lang blieb Martin Fueter der Condor treu – dreissig Jahre davon als Direktor. Und eine seiner ersten Taten war 1965 die Gründung der Abteilung «Condor Commercials». Damit sollte er zum Pionier des Werbespots werden. Das war in den sechziger Jahren eine beim «echten» Cineasten verpönte Disziplin. Aber mit dem Vater hatte er das Organisationstalent und die kaufmännische Bodenständigkeit gemein. Dem Vater überlegen war er im technischen Know-how, dank dem er das verdiente Geld immer wieder in die technische Entwicklung der Condor investierte und sie so konkurrenzfähig hielt.

253 69 imitationen9

Wenn man Fueter jedoch darauf anspricht, worauf er heute am Ende seiner Karriere besonders stolz sei, liefert er weder filmografische Daten noch Firmenzahlen: «Besonders stolz bin ich darauf, dass ich so viele junge Leute ins Metier einführen konnte. Die Förderung des Nachwuchses war mir immer mein wichtigstes und schönstes Anliegen.» Mit diesem Credo hat er die Condor zu einem der wichtigsten und traditionsreichsten Ausbildungsplätze im Schweizer Filmschaffen gemacht. Fueter war es zudem ein Anliegen, dass sein gesamtes Personal, auch jenes in der Administration, die Grundbegriffe des Filmemachens kannte. Geradezu legendär sind deshalb seine Filmkurse, die er alljährlich für die gesamte Belegschaft der Condor durchführte.

Einzig über die Zeit mit dem TA-Media-Konzern, der von 1991 bis 2005 Mehrheitsaktionär war, spricht Fueter sichtlich ungern. Da waren ihm dann offenbar doch zu oft zu viele Erbsenzähler am Werk, die nur auf Profit aus waren und kein Gespür dafür hatten, dass auch ein passionierter Werbefilmer wie Fueter ein glühender Cineast sein konnte. Einer, dem es wenig ausmachte, dass er jeweils viele Werbefilme drehen musste, um wieder einen Kinospielfilm seines Bruders Peter-Christian Fueter ermöglichen zu können. Dieser war 1966 in die Condor eingetreten und hatte bereits ein Jahr später mit Kuckucksjahre von George Moorse einen Überraschungserfolg als Koproduzent gelandet. Gemeinsam übernahmen die Brüder 1972 die Direktion der Firma. Und 1979 starb ihr Vater und Firmengründer Heinrich Fueter.

Noch immer bedauert es Fueter, dass 1999 die Spielfilmabteilung aus dem Unternehmen herausgebrochen wurde. Peter Christian Fueter, Edi Hubschmid und Peter Reichenbach wären bereit gewesen, die C-Films als Firma auf eigenes Risiko innerhalb der Condor zu positionieren – die TA-Media jedoch war dagegen. Da lag der spektakulärste Erfolg der Condor Spielfilmabteilung bereits acht Jahre zurück, als man 1991 mit Reise der Hoffnung von Xavier Koller den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhalten hatte.

075b 47 gratwanderung arbeitsfoto

Dass Fueter nun im Ruhestand sein soll, mag man angesichts seiner Vitalität und seines sprühenden Temperaments kaum glauben. Noch immer tritt er so engagiert auf, dass aus einem halbstündigen Gespräch wie im Flug eine anderthalbstündige Debatte wird.

Und dennoch ist es so: Seit 2002 hat er sich sukzessive aus der operativen Verantwortung zurückgezogen und ist seit Beginn dieses Jahres bei Condor nur noch ein sporadisch beschäftigter Free-Lancer. Weil von der dritten Fueter-Generation – Sohn Michael Fueter und Neffe Tobias Fueter sind ebenfalls Regisseure – niemand die Firma übernehmen wollte, steht nun Kristian Widmer in der Verantwortung. Er ist bereits seit 1993 bei Condor tätig, ab 2002 als Geschäftsführer, und er hält inzwischen auch die Mehrheit der
Aktien.

Nach achtunddreissig Jahren ist die Firma damit erneut im Besitz eines studierten Juristen wie Heinrich Fueter, ein Jurist, der auch wie dieser ein leidenschaftlicher Filmmensch ist und gleichzeitig das Rüstzeug zum kühl kalkulierenden Unternehmer mitbringt. Obwohl die Firma als Familienunternehmen des Fueter-Clans damit Geschichte wird, besteht Hoffnung, dass am Zürcher Bellevue in der gleichen Tradition wie bis anhin Bilder zum Laufen gebracht werden. Die entscheidenden Standbeine, von denen die Condor stets getragen wurde, scheint Widmer längst verinnerlicht zu haben: filmische Leidenschaft, technische Innovation und kaufmännisches Geschick.

Widmer versucht, Condor als «Bilderproduzent» breit aufzustellen, als Unternehmen, das nach dem One-Stop-Shop-Prinzip einem Kunden alles liefern kann, was er sich an bewegten Bildern wünscht. Und inzwischen hat sich auch die Unternehmenseinheit Faro-TV als Serienproduzent mit Formaten wie «Joya rennt», «Tapetenwechsel» oder «Bauer ledig sucht» etabliert.

Heute will Condor nach eigener Aussage ein «Bewegtbild-Kompetenz-Zentrum» für Film, Web und Video sein. Dafür hat man ein Jahr lang das ehemalige Studio unter dem Glasdach an der Kreuzstrasse umgebaut. Vom Studio Bellerive, aus dem von 1952 bis 1972 das Schweizer Fernsehen gesendet hat, ist nur noch eine vom Dach hängende Original-Kabine als Reminiszenz geblieben. Wo früher gedreht wurde, stehen jetzt Büros zur Verfügung, in dem sich die Bildwerker möglichst optimal in die Hand arbeiten können. Ein vernetztes Arbeitsumfeld voller PC-Power, das auf den ersten Blick weit weg von der Kinoleinwand ist.

Aber wenn Widmer mit leuchtenden Augen davon erzählt, wie er mit Dani Levy in Island für Volkswagen Das Geheimnis, den ersten Kurzspielfilm im 360°-Circlevision-Format gedreht hat; wie die Condor John Malkovich und Jean Reno für IWC-Uhren vor die Kamera gebracht hat, dann wird wieder sichtbar, was Martin Fueter offenbar so erfolgreich vermittelt hat: Diese Leidenschaft für Film – ganz egal woher das Geld kommt.

098 49 mf unter debrie parvo l

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Essay

11. Sep. 2021

Der flimmernde Krieg

Kein anderes Genre hat auf 9/11 derart eindringlich reagiert wie der US-Kriegsfilm. 20 Jahre danach ist der Paradigmenwechsel um die «neuen Kriege» im Kino vollzogen, aber die Haltung zum «War on Terror» alles Andere als eindeutig.

Essay

18. Feb. 2021

Retrofuturismus und das digitale Nirvana

Die Zukunft ist retro, im Loop der Postmoderne wird wiederbelebt und wiederholt, was einst war. Über die Ästhetik einer künftigen Vergangenheit und die verkabelt-digitale Endlosigkeit in neuen Serien und Filmen.

Essay

01. Aug. 2018

Das Jahr, das nie zu Ende ging

Die Umwälzungen von 1968 haben auch dem Kino neue Wendungen gegeben. Die Ereignisse auf den Strassen von Paris und anderswo waren nicht zuletzt durch Filme vorausgeahnt, vorangetrieben und begleitet worden. Und bis heute erinnert sich das Kino intensiv dieser bewegten Zeit – mal kritisch, mal nostalgisch. Versuch einer Chronik in Schlaglichtern.