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Clash / Eshtebek

Eine Mischung aus Thriller, Politdrama und Farce. In der Enge eines Polizeiwagens werden die gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen der ägyptischen Gesellschaft greifbar.

Text: Tereza Fischer / 23. Mai 2017

Schon während die Signete der Produktionsfirmen auf der Leinwand erscheinen, hören wir einen startenden Motor, ein entferntes Hupen, Strassenlärm. Dann öffnet sich von innen eine schwere Metalltür eines Gefängniswagens, durch die die Kamera nach draussen blickt: Soldaten nehmen zwei Journalisten ihre Ausrüstung ab und werfen die beiden in den kleinen Raum. Sie sind die Ersten, aber noch lange nicht die Letzten, die in diesem mobilen und eigentlich temporären Gefängnis landen. Die Fahrt des Panzerwagens allerdings hat kein Ziel, denn die Gefängnisse Ägyptens sind im Juli 2013 bereits überfüllt.

Mohamed Diabs zweiter Spielfilm definiert Ort und Zeit des Geschehens ganz eng. Erzählt werden die Ereignisse eines einzigen Tages, zwei Jahre nach der Ägyptischen Revolution und ganz kurz nach der Absetzung des Präsidenten und Muslimbruders ­Mohamad Mursi. Das Land befindet sich in Aufruhr und vor einer unsicheren politischen Zukunft. Auf der Strasse liefern sich Mursis Anhänger einen Kampf mit Gruppierungen, die sich hinter die militärische Regierung stellen, während die Armee ihrerseits hilflos versucht, Ordnung herzustellen.

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Nach und nach landen ganz unterschiedliche Menschen aus beiden Lagern in der Gefängniszelle auf Rädern. Die etwa zwanzig Figuren bilden eine repräsentative Stichprobe aus der ägyptischen Gesellschaft: Neben den beiden eher beobachtenden Journalisten sind es Muslimbrüder, die untereinander eine Zweiklassengesellschaft bilden. Eine resolute Krankenschwester

drängt sich freiwillig in den Wagen, ihrem Mann und dem zehnjährigen Sohn folgend. Ein DJ, der sich zwischendurch Sorgen um seine Figur macht, überwirft sich mit seinem besten Freund, weil er heimlich in dessen Schwester verliebt ist. Ein Obdachloser landet hier ebenso wie eine grau verschleierte Jugendliche, die sich Vorwürfe macht, weil sie ihren betagten Vater auf die Strasse mitnahm. Der Letzte, der sich unfreiwillig zu dieser Gruppe gesellt, ist ein Soldat, ein Christ, dem die Krankenschwester rät, er solle besser seine Kreuztätowierung verstecken.

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Während draussen die Lager aufeinanderprallen und in einem zweiten, hoffnungslos überfüllten Gefängniswagen nebenan Menschen sterben, setzen drinnen die Sorge um Angehörige, Hitze, fehlendes Wasser und der Mangel an Platz und sanitären Anlagen den Gefangenen zu. Hier gilt kein Gesetz, die Menschen müssen mit ihren unterschiedlichen politischen Ansichten selbst umgehen. Nur in wenigen Momenten gewinnt Menschlichkeit die Oberhand, die Differenzen scheinen sich eher zu verstärken. Viele sehnen sich nach der Ägyptischen Revolution zurück, als alle noch geeint das gleiche Ziel verfolgten.

Mohamed Diab ist in Ägypten eher als Aktivist denn als Filmemacher bekannt. Er war 2011 ein glühender Promoter der Bewegung und wollte ursprünglich schon bald nach seinem Erstling Cairo 678 einen Film über die Revolution drehen. Aber beim Schreiben musste er merken, dass seine Ideen schnell obsolet wurden, weil die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Ägypten rasant vonstatten gehen. Dennoch sind in Clash die Kontrahenten immer noch die gleichen wie damals: Revolutionäre, die Muslimbrüder und die Armee. Das Einzige, das sich als Thema von der Revolution für den Film übernehmen liess, war ihr Scheitern.

Diab moduliert die Stimmung zwischen stillen Momenten und heftigstem Streit, er lässt in der Huis-clos-Situation keine Langeweile aufkommen. Die Handkamera von Ahmed Gabr, sosehr sie auch in ihrer Mobilität eingeschränkt ist und den acht Quadratmeter grossen Raum nie verlässt, vermittelt Dynamik und Chaos. Den Film auf diesem begrenzten Raum zu realisieren, war aufwendig und eine technische Herausforderung. Gedreht wurde ein Jahr lang in einem aus Holz nachgebauten Polizeiwagen. Dieser stand in einer Wohnung. Die Proben mit den Schauspielern nahmen mehrere Monate in Anspruch, wobei in dieser Zeit zusammen mit den Darstellern die Figuren detaillierter ausgearbeitet wurden. Vor den definitiven Aufnahmen leistete sich Diab Probeaufnahmen, die als Story Board fungierten. Erst dann entstand der definitive Wagen, der wie ein echter Polizeilaster aussah und fahrtüchtig war. Die finalen Aufnahmen wurden innerhalb der acht Quadratmeter und in 26 Tagen gemacht. Alle Schauspieler waren jeweils anwesend.

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Die unmittelbar spürbare Enge und die emotionalen Eklats führen zu einer äusserst intensiven Erfahrung. Manchmal darf man kurz Luft holen, wenn sich die Gespräche plötzlich alltäglichen Belanglosigkeiten zuwenden oder doch echtes Interesse am anderen aufblitzt, etwa wenn der Obdachlose seinem verstorbenen Hund, seinem einzigen Freund, nachtrauert und ein Fremder Interesse zeigt und das Bild seines eigenen Vierbeiners hervorholt.

Immer wieder öffnet der Blick durch die Gitterstäbe den Raum, um ausserhalb Gewalt und Chaos zu erhaschen. Der Überblick fehlt jedoch, und das bedrohliche Aussen dringt immer wieder ins Innere hinein und lässt die Eingeschlossenen zunehmend verzweifeln und sich aneinander aufreiben. So befindet sich die virtuos geführte Kamera mitten in den politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen und vermittelt ein erschütterndes Bild der ägyptischen Gesellschaft.

Wegen seiner Aufmüpfigkeit wurde einer der Journalisten mit Handschellen angekettet. Aus dieser fixen Position beginnt er, mit einer in seiner Hightech-Uhr versteckten Kamera das Geschehen im Wagen zu filmen, mit der Begründung, Filme könnten Menschen beeinflussen. Die Frage wäre hier bloss wie. Mohamed Diab bleibt seinen Figuren gegenüber jedenfalls unparteiisch. Am Ende kommt etwas Hoffnung auf, als der Bruder eines Insassen den Laster entführt und die Tür aufzubrechen versucht. Statt Freiheit erwartet die Menschen draussen aber ein wild gewordener Mob, und das Gefängnis verwandelt sich überraschend in einen Schutzraum. Die grünen Laserstrahlen der Protestierenden, deren Zugehörigkeit unklar bleibt, dringen als Erstes durch die Nacht ins Innere. Immer mehr der Strahlen zerteilen das Dunkel, bis ein wildes Durcheinander von Linien diese ohnehin unübersichtliche Situation im visuellen Chaos enden lassen.

Am Ende ist nicht nur die Minikamera zerstört, die Aufnahmen sind verloren, auch die Bilder von Clash lösen sich auf, enden im Nichts. Ein verstörendes Ende für ein Scheitern und eine scheinbar ausweglose Lage.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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