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Casse tete 01

Casse-têtê chinois

Auch mit bald vierzig Jahren ist Xavier nicht vor romantischen Irrungen und Wirrungen gefeit und auf der Suche nach dem richtigen Platz im Leben. Cédric Klapischs neuster Film schliesst an die Vorgänger L’auberge espagnole (2001) und Les poupées russes (2004) an und lässt uns den Figuren, die wir vor rund fünfzehn Jahren in einer Studentenwohngemeinschaft in Barcelona kennengelernt und vor zehn Jahren in Paris, London und Sankt Petersburg wiedergesehen haben, aufs Neue begegnen.

Text: Natalie Böhler / 12. März 2014

Auch mit bald vierzig Jahren ist Xavier nicht vor romantischen Irrungen und Wirrungen gefeit und auf der Suche nach dem richtigen Platz im Leben. Cédric Klapischs neuster Film schliesst an die Vorgänger L’auberge espagnole (2001) und Les poupées russes (2004) an und lässt uns den Figuren, die wir vor rund fünfzehn Jahren in einer Studentenwohngemeinschaft in Barcelona kennengelernt und vor zehn Jahren in Paris, London und Sankt Petersburg wiedergesehen haben, aufs Neue begegnen.

Xavier hat die zehn Jahre seit Les poupées russes glücklich mit Wendy, seiner ehemaligen WG-Kollegin aus L’auberge espagnole, in Paris und London verbracht. Nach ihrer Trennung siedelt Wendy nun zu ihrem neuen Lebenspartner nach New York über. Xavier folgt ihr, um den beiden gemeinsamen Kindern nahe zu sein, und muss sich in der neuen Stadt eine Wohnung, einen Job und zwecks Einwanderungsbewilligung eine Ehefrau suchen, wobei Letzteres sich eigentlich, dem Zufall sei Dank, am einfachsten gestaltet. Ebenfalls nach New York gezogen ist Isabelle, Xaviers beste Freundin, die mit ihrer Lebenspartnerin ein Kind möchte und ihn um Hilfe bittet. Und noch eine alte Bekannte taucht auf: Martine, Xaviers Exfreundin aus Studententagen. Xavier, mittlerweile erfolgreicher Schriftsteller, hat zwei Romane veröffentlicht, die auf seinen Erlebnissen in den ersten beiden Filmen basieren. «Casse-tête chinois» soll nun sein dritter biografisch gefärbter Roman heissen; die Erlebnisse, die wir im Film sehen, flicht er gleich laufend in den wachsenden Text ein und fragt sich dabei: Was macht ein gelungenes Leben aus? Und wie fabriziert man aus dem Leben Kunst? Ein verspielt-ironischer Erzählstil sorgt dafür, dass diese Fragen nicht allzu ernst bleiben.

Eine Trilogie also, deren Figurenensemble wir über eine längere Zeitspanne hinweg immer wieder begegnen und dem wir beim Älterwerden zusehen. Vergleiche mit Linklaters Before …Trilogie drängen sich auf, oder mit Truffauts Doinel-Reihe: Die Frische und Unbeschwertheit der Jugend weicht der Richtungssuche des Erwachsenwerdens und schliesslich der Reife der Lebensmitte, wobei die sich hier wenig abgeklärt, sondern ziemlich turbulent und als vergnüglich leichtfüssige Komödie gestaltet, die auch bei Nichtkenntnis der vorherigen Trilogieteile bestens zugänglich ist.

Casse tete 02

Wie die ersten beiden Titel, ist auch der dritte in der Reihe eine französische Sprachwendung mit einer geografischen Zuschreibung, die Xaviers Lebenssituation widerspiegelt. Im ersten Film der Trilogie wurde die Studenten-WG als «spanische Herberge» beschrieben, als Ort, wo das Angebot aus dem besteht, was man selber mitbringt. Mit den russischen Matroschkas verglich Xavier im zweiten Film die Suche nach der wahren Liebe, die in jeder Frau die ideale Lebensbegleiterin sucht und doch nie zum Kern vordringt. Mit dem «chinesischen Kopfzerbrechen» des dritten Teils ist das Tangram gemeint, ein chinesisches Puzzle, bei dem es darum geht, aus gleichbleibenden, einfachen geometrischen Grundelementen immer wieder andere Bilder zu legen. Das Sprachbild ist Programm: Die bekannten Figuren beschäftigen sich erneut mit immer wiederkehrenden Fragen nach der Liebe, dem Finden eines Zuhauses, und dem Lebenssinn.

Metaphern dafür liefert der Schauplatz New York. Klapisch vermeidet den touristischen Blick und zeigt stattdessen in komplex verschachtelten Cadragen und wunderschön nuancierten Farbtönen Hinterhöfe, enge Gassen, Wimmelbilder des Alltags. Dabei philosophiert er – wie jeweils in den Städten der Vorfilme – darüber, wie die urbane Geografie Lebenswege widerspiegelt. Eine von New Yorks wenigen nicht geradlinigen Strassen führt Xavier denn auch prompt ins Chaos.

Die fremde Stadt als Schlüsselerlebnis und Erkenntisquelle: Klapischs Figuren sind mit der Entstehung der EU und der Globalisierung gross geworden, mobile «citoyens du monde», wie sie der Regisseur nennt. Wo die Studi-WG, als Mikrokosmos eines geeinten Europa, ein (vielleicht etwas blauäugiges) Lehrstück über kulturüberbrückende Toleranz darstellte, soll nun New York, als polyglotte, multikulturelle Metropole, für eine globale Offenheit stehen: die Welt als Dorf. Es gelingt Klapisch, das Quartier als bunt durchmischte Nachbarschaft zu zeigen. Sieht man genau hin, finden sich überall Ikea-Möbel, die Simpsons, Apple-Geräte, Freitag-Taschen: Insignien der globalisierten Konsumgesellschaft. Die globale Ausrichtung des Lebens ist selbstverständlicher geworden, das Globale gleichzeitig viel homogener als noch vor einem Jahrzehnt.

Neuland gibt es aber nach wie vor. Als Xavier sich über die emotionale Kompliziertheit seines New Yorker Daseins beklagt, kommentiert eine Freundin trocken: «Man merkt, dass du noch nie in China warst.» In der Tat scheint China – New Yorks Chinatown, die chinesischen Geschäftspartner, die chinesische Schein-Ehefrau – für Xavier die wahre Fremde in der Fremde zu sein. Hier zeigen sich denn auch die Grenzen von Klapischs Kosmopolitismus, wenn die Darstellung der Chinesen und ihrer Sprache teilweise klischiert und lächerlich gerät. Das tut dem fröhlichen, optimistischen Charme des Films jedoch kaum Abbruch, der – bei aller Globetrotterei – doch sehr französisch bleibt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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