«It’s certainly a startling opening line», muss Father James in der Beichte zugeben. Mehr als nur überraschend, bestürzend ist der Eröffnungssatz von Calvary. John Michael McDonagh weiss, wie man die Zuschauer gleich am Anfang packt, und lässt seine schwarze Komödie mit einem Dialog beginnen, der zwar Gelächter provoziert, aber auch einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Father James Lavelle wird mit dem Jahrzehnte zurückliegenden sexuellen Missbrauch eines Kindes konfrontiert. Nicht der damalige und unterdessen verstorbene Peiniger soll nun bestraft werden, sondern er, der gute Priester, muss sterben. Das Verbrechen an einem unschuldigen Knaben soll mit einer ebensolchen Ungeheuerlichkeit gerächt werden. Das Ziel des Angriffs ist die katholi-sche Kirche, die sich aber nur über den Einzelnen erreichen lässt.
Sieben Tage bleiben nun Father James, um mit dem Leben abzuschliessen. Während er weiss, wer ihn bedroht, bleibt die Identität für uns bis zuletzt verborgen – dank ausgefeilter Verzerrung der beichtenden Stimme. Kein «Who-dunit», sondern ein «Who’sgonnadoit» also. Der Mystery-Anteil des Films bleibt aber über weite Strecken im Hintergrund, stattdessen kämpft der von Brendan Gleeson schlicht grossartig gespielte integre Geistliche mit den Herausforderungen, die ihm die Dorfbewohner stellen. Dabei sind in diesem Film nicht die Landschaft oder das Wetter an der irischen Westküste rau, sondern die Sitten der Leute: Mit ihren verbalen Provokationen und Tiraden, mit ihrem Zynismus dem Leben und dem Tod gegenüber missbrauchen sie die Gutmütigkeit und Geduld des Priesters.
Witz, Ironie und Hauptdarsteller Gleeson waren schon in McDonaghs The Guard elementare Erfolgsingredienzen. Auch das Vorgängerprojekt des Schauspieler-Regisseur-Duos bewegt sich zwischen krudem Humor und einer gefühlvollen Charakterstudie – getragen von Gleeson. Am Ende von The Guard steht der Polizist vor der Entscheidung, in der Korruption unterzugehen oder ehrenvoll seines Amtes zu walten. Calvary ist im Vergleich dazu düsterer, weniger handlungsorientiert als vielmehr episodisch um sein Thema kreisend. Die zwölf Nebenfiguren verkörpern Varianten aller möglichen, der katholischen Kirche gegenüber enttäuschten und feindseligen Haltungen. Die irische katholische Kirche hat sich viel zuschulden kommen lassen und unzulänglich darauf reagiert.
Der Film findet sein zentrales Thema jedoch im Umgang mit dem Tod und vor allem in der Vergebung. Lavelle hat erst nach dem Ableben seiner Frau seine Berufung als Priester gefunden. Nun besucht ihn seine Tochter Fiona, die ihn nach einem missglückten Selbstmord mit grundsätzlichen Fragen des Lebens konfrontiert. Ist es einfacher, dem Tod zu begegnen, wenn man weiss, dass das Ende naht? Wie stark ist der Glaube angesichts des als unfair und zufällig empfundenen Todes eines geliebten Menschen? Ist töten zur Selbstverteidigung erlaubt? Ist Selbstmord den Hinterbliebenen gegenüber fair? Und: Gilt der Aufopferungstod auch als Selbstmord?
Dieser Fragenkomplex entwickelt sich insbesondere in zwei intimen Dialogen und kondensiert sich in der Hälfte des Films. Von da an dominiert der düstere Anteil der Tragikomödie. Obwohl die Auseinandersetzung mit Tod und Verlust für den Priester zum Leben gehört, muss er den zynischen Umgang damit als Provokation empfinden: vom gelangweilten Jüngling mit Fliege, der Mordlust verspürt und sich deshalb zum Militär melden will, oder vom Serienmörder, der sich bei seinen Gräueltaten wie Gott fühlt. Was ihn jedoch fast am meisten erschüttert, sind die Vorurteile der Kirche gegenüber und die Ignoranz im Alltag, etwa die eines Flughafenarbeiters, der sich achtlos auf einen Sarg stützt.
All dies gipfelt für Father James in der Erwartung des eigenen Todes. Wie sich der Berg von einem Mann der Prophezeiung stellt, lässt an eine Kavallerie denken und den Titel möglicherweise als «Cavalry» fehllesen. Im Titel klingt aber Golgatha an, jener Hügel bei Jerusalem, auf dem Jesus gekreuzigt wurde. Dieser Aspekt von Aufopferung und Vergebung fehlt im profanen deutschen Verleihtitel Am Sonntag bist du tot (ein Spoiler von einem Titel). Der Protagonist ist dennoch kein Heiliger, sondern ein komplex gezeichneter Charakter, dessen Schicksal berührt.
Die überaus menschlich gestaltete Figur verträgt sich dabei erstaunlich gut mit den teilweise übertriebenen, ironischen Dialogen und einer tendenziell stilisierten Bildsprache. Als sich Father James am Sonntag, vor der Begegnung mit seinem potenziellen Mörder, in die Soutane hüllt und betet, erinnern die Bilder an Carl Theodor Dreyers La passion de Jeanne d’Arc. In Weiss gehalten und enträumlicht, wirkt das Zimmer, als befinde sich der Priester mit seinem festen Glauben ausserhalb dieser Welt.
So wandelt sich die Komödie in ein philosophisches Drama, das existenzielle Grundfragen stellt. Wenn der Mörder sein Vorhaben als «cell phone filling prophecy» bezeichnet, dann ist auch dies mehr als ein Kalauer: Trotz Ankündigung folgt ein echter Schock. Die Tat ist eine Ungeheuerlichkeit, die statt verkürzter Medienmeldungen, emotionaler Vereinfachungen und Verurteilungen eine echte Auseinandersetzung verdient.