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Brunaupark hergert zietlow vincafilm 03
© Vinca Film

Brunaupark: Schwanengesang einer sterbenden Gemeinschaft

Eine Wohnsiedlung in Zürich blutet langsam aus. Diese filmische Betrachtung eines sterbenden Mikrokosmos ist eine leichtfüssige an der Gewinnmaximierung.

Text: Susanna Bosch / 27. Aug. 2024
  • Regie, Buch

    Felix Hergert, Dominik Zietlow

  • Kamera

    Dominik Zietlow

  • Schnitt

    Selin Dettwiler

  • Musik

    Simon Borrer, Marcel Gschwend

Ciccio räumt zum letzten Mal die Tische und Stühle der Pizzeria im Brunaupark zusammen. Über 28 Jahre lang hat er das Restaurant der Wohnsiedlung geführt, das den Bewohner:innen der fünf Betonblocks mit den 405 Wohnungen Raum für Begegnungen und Austausch bot.

2018 reichte die Eigentümerin des Brunauparks, die Pensionskasse der Credit Suisse, der Hälfte der Mieter:innen die Kündigung ein. Ein Schockmoment, der nach und nach eine ganze Nachbar:innenschaft auseinanderreisst.

Felix Hergert und Dominik Zietlow begleiten in ihrem Film Brunaupark eine Gemeinschaft, die um ihre verlorenen Mitglieder trauert während sie Verdrängung standhält und um ihr Fortbestehen kämpft. Mit zurückhaltenden filmischen Mitteln eröffnen die beiden Filmemacher einen theaterähnlichen Raum, der die Bewohner:innen auf den verschiedenen Bühnen des Brunauparks auftreten und wieder abgehen lässt.

Eine Gruppe von Kindern trifft sich am Fusse der Baupfähle, die den geplanten Neubau der Credit Suisse abstecken und die gegenwärtigen Wohnkomplexe hoch überragen. Wie ein Rat versammeln sich die Kinder um einen runden Betontisch und diskutieren den bevorstehenden Abriss. Am selben Tisch kommen auch Gruppen von Jugendlichen oder älteren Menschen zusammen. Sie alle eignen sich die Räume des Brunauparks auf ihre eigene Weise an. Gleichzeitig sind sie von ähnlichen Fragen getrieben. Wieso verlieren wir unser Zuhause? Wer ist schon gegangen und wer geht als nächstes?

Brunaupark hergert zietlow vincafilm 06

© Vinca Film

Für die Anwohner:innen hat sich das Leben mit dem schleichenden Verlust der Nachbar:innenschaft verändert. Ein grosses Unterstützungsnetz reisst zunehmend ein. Mehrere der Familien sind seit drei Generation im Brunaupark wohnhaft, die Kinderbetreuung oder alltäglichen Sorgen haben sich Familien und alleinstehende Menschen geteilt. Eine Mutter von zwei Kindern beklagt die verlorenen sozialen Kontakte: «Es war so lebendig früher. Und jetzt ist es immer leer.» Und dennoch ist sie sich einer Sache sicher: «Ich bleibe hier, bis sie die Gebäude abreissen.»

Auch Ciccio bleibt. Er eröffnet in einer Wohnung ein improvisiertes Bistro, erhält damit ein Stück Gemeinschaft am Leben. In die ehemalige Pizzeria sind derweil Café-Variationen und schicke Cocktails eingezogen.

Die leerstehenden 3,5-Zimmer-Wohnungen fallen in die Hände einer Zwischenvermietungsfirma. Neue Wände werden gezogen, das Wohnzimmer aufgelöst und die vier Schlafzimmer für kurze Zeiträume an Einzelpersonen vermietet. Die neuen Mieter:innen bringen eine andere Lebensform in die Siedlung. Sie leben zurückgezogen und eignen sich die Räume des Brunauparks nicht mehr an, haben auch gar keine Möglichkeit dazu. Sie wirken wie Vorboten einer neuen Gesellschaft, die langsam Einzug nimmt.

Die angrenzenden Gebäude der Credit Suisse zeigen Hergert und Zietlow nur ab und an, statisch aus der Ferne. Ein riesiges Tor, ein Höllenschlund, der immer wieder mal Menschen ausspuckt. Die Absichten dieser Institution – Gewinnmaximierung, Schaffung eines Renditeobjektes – werden in den kleinen filmischen Beobachtungen deutlich. Hergert und Zietlow gelingt eine nüchterne Gegenüberstellung verschiedener Lebensformen – vom Solidarischen und Gewinngetriebenen – und formulieren darin eine tiefgreifende Kapitalismuskritik.

Die betroffenen Mieter:innen des Brunauparks stehen im Mittelpunkt des Films. Es wird klar: Es geht nicht nur um Verdrängung, sondern auch um Widerstand und ums sich nicht verdrängen lassen. Hergert und Zietlow halten den Prozess einer rapiden Veränderung in einem langsamen, feinfühligen Film fest. Er erzählt davon, dass wir als Menschen wertvoll sind und einander brauchen. Nicht zuletzt schaffen sie eine Hommage an gut strukturierten Wohnraum, der ein gemeinschaftliches Zusammenleben erst möglich macht.

 

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