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The BFG

«What’s a fairy tale without a dark center? How do you bring all of us into the most beautiful, enchanting dream we’ve ever seen?» – Steven Spielberg

Text: Philipp Stadelmaier / 22. Juli 2016

Der grosse gute Riese in Steven Spielbergs Verfilmung von Roald Dahls Buch «The Big Friendly Giant» ist niemand anderes als Spielberg selbst. Gespielt wird der Riese vom grossen guten Mark Rylance, der mit Spielbergs Bridge of Spies in Hollywood seinen Durchbruch hatte und in vielen seiner Folgeprojekte gesetzt ist: die aktuelle Vertrauensperson des Kinoriesen. Hier verkörpert er sein Kino selbst.

Zum ersten Mal erscheint der Riese hinter einer Leinwand, genauer gesagt: hinter einem weissen Vorhang am Fenster des Schlafsaals eines Waisenhauses. Dort steht, mitten in der Nacht, das zehnjährige Waisenmädchen Sophie. Und sieht durch den Vorhang, wie draussen an einer Strassenecke eine Mülltonne umfällt – und plötzlich zwei Riesenfinger erscheinen und sie schnell wieder aufstellen. Dann greift die Hand des «Big Friendly Giant» (BFG) durchs Fenster und entführt Sophie auf die andere Seite der Leinwand – ins «Giant Country». Lese: Der Schlafsaal ist der Kinosaal, die Welt hinter dem Fenster der Film, das Kind der Zuschauer und der Riese Spielberg ­himself, der die Zuschauerin in seinen Film entführt.

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Wie Spielberg ist der Riese ausserdem ein Traumfabrikant. In einer «Traumwelt» sammelt der BFG durch die Luft schwirrende Leuchtkugeln, um sie in seiner Höhle (Studio) in Giant Country (Hollywood) zu neuen Träumen zusammenzusetzen, die er mit einem grossen Horn den Kindern (Zuschauern) in ihre Schlafzimmer (Kinosäle) bläst. Abgesehen davon ist das Riesige eine Metapher für einen Haupteffekt des Spielberg’schen Kinos: das Staunen. Schon die Anfangsszene zeigt, wie man eine Figur im Staunen entdeckt. Von ihr ist erst nur ein Teil sichtbar (Finger, Hand), der staunen und dadurch neugierig auf den Rest macht. Das Staunen vor dem Spektakel war bei Spielberg immer schon die Bedingung für das Entdecken des Anderen (etwa des Aliens in E.T.). Hier wird es zur schrittweisen Entdeckung von Grös­se: vom Finger zur Hand über den Riesen bis zu den noch viel grösseren Ogern im «Giant Country». Der Andere ist, so zeigt es dieser Film, immer ein Riese, weswegen Spektakel und Ethik bei Spielberg Hand in Hand gehen müssen.

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Der Humanismus ist vom Spektakel des Riesigen, dem «bigger than life», also ununterscheidbar. Und dennoch gibt es zwischen beiden eine Differenz: Das Selbstportät Spielbergs muss das Verhältnis von Humanismus und digitaler Animation, die die Riesen hervorbringt, stets neu verhandeln. Gerade weil das Menschliche hier zu einer Frage reiner Grösse wird, kann sie sich, soll sie eben eine menschliche bleiben, nicht immer einfach weiter ausbreiten. Der freundliche BFG etwa ist riesig, aber nicht so gross wie die unmenschlichen Oger. Damit hält er genau die Mitte zwischen der Grösse des Menschen und dem «bigger than live», zwischen dem Körper von Mark Rylance und der digitalen Vergrösserung seines Körpers. Ebenso muss der BFG Spielberg, der grosse, freundliche, humanistische Kinoriese, aufpassen, das richtige Gleichgewicht zwischen Mensch und Riese zu wahren, also ins Bad der Animation mit ihren digital aufgeblähten Bildern zu springen und sich dabei dennoch von den Hollywoodgiganten Disney oder Marvel und ihren animierten Superheldenriesenfilmen durch Menschlichkeit abzugrenzen – wie der BFG von den Ogern.

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Der Reiz des Films liegt damit weniger in den Spektakeln, die er zu bieten hat, sondern einzig in der Serie aus Passagen zwischen verschiedenen Sphären, die mit der Durchquerung des Vorhangs/der Leinwand am Anfang initiiert werden und in denen Spielberg seine Situation zwischen dem Animierten und dem Menschlichen verhandelt. Gesprungen wird etwa zwischen Menschenwelt und Riesenwelt, und dann zwischen den zwei Seiten einer Wasseroberfläche, hinter der die Traumwelt liegt, in der der BFG die Träume sammelt. Und so adaptiert der Riese (der Film) das Waisenmädchen nur, damit dieses später schliesslich in der Menschenwelt von echten Pflegeeltern adoptiert wird. Das Mädchen/die Zuschauerin wird nur ins Riesenland/den Film gebracht, um aus ihm wieder entlassen zu werden. Das ist die Aufgabe des BFG Spielberg. Die superheldenstarken Oger hingegen wollen Sophie dabehalten und fressen, ganz wie der Franchise-Koloss Marvel sein Publikum mit seinen Serien von Riesen, seinen riesigen Serien.

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Der Riese lehrt dabei das Mädchen zu sehen, zu staunen – in einer Szene legt er mit seinen Fingern zärtlich ihre Brille parat, wie jene Brille, durch die man den Film auch in 3-D sehen kann. Um sie physisch in diese Welt des Digitalen einzuführen. Einfach vor der Leinwand sitzen lassen kann er sie nicht mehr in Zeiten, in denen die Bilder überall und nicht mehr nur im Kinosaal sind (sozusagen auch «auf der Strasse» vor dem Waisenhaus) und die Konkurrenz gross ist. Gleichzeitig aber lehrt das Kind den Riesen zu sprechen. Denn dieser hat seine eigene Sprache: «Human beings» werden bei ihm zu «human beans» et cetera. Er braucht das Mädchen also nicht nur als Konsumentin, sondern auch, damit sie ihm eine menschliche Sprache entgegensetzt, die er in dieser Sphäre zu verlieren droht. Steven Spielberg leidet übrigens an Dyslexie.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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