Was wohl die Tiere sehen, wenn sie uns betrachten? So fragt sich unweigerlich, wem es schon einmal passiert ist, dass im Zoo plötzlich der eigene Blick vom Tier auf der anderen Seite des Gitters erwidert wurde. Und so scheinen auch wir während der ersten Einstellung von Becoming Animal, in der zwei Elche beobachtet werden, allmählich von der Rolle der Zuschauenden in die der Angeschauten zu wechseln. Um solche Perspektivwechsel geht es dem Film und darum, ein Gefühl zu bekommen für jene Welt, die uns zwar umgibt und uns dabei aber auch verschlossen bleibt, weil sie uns und unsere Wahrnehmung unweigerlich übersteigt.
Als «more-than-human world» bezeichnet sie deswegen der amerikanische Ökologe und Philosoph David Abram, den Peter Mettler und Emma Davie auf dessen Wanderungen durch die Natur begleiten und von dessen 2010 veröffentlichtem Buch «Becoming Animal» sie auch den Titel übernommen haben. Wir hätten den Kontakt verloren zu jener übermenschlichen Natur, von der wir doch eigentlich Teil sind, und die Ambition von Abrams Erlebnisberichten aus der Wildnis ist es, diesen Kontakt wiederherzustellen: Der Mensch, will er sich nicht abhanden kommen, muss wieder zu dem Tier werden, das er eigentlich ist. Das wäre ein faszinierender Gedanke, würde ihn Abram nicht gar so platt ausbuchstabieren und damit letztlich gar in sein Gegenteil verkehren. Wenn wir den Denker mit ausgebreiteten Armen den Flug der Vögel nachempfinden sehen, wird man das ungute Gefühl nicht los, dass hier nur behauptet wird, sich auf die Andersheit der Tiere einzulassen, es eigentlich aber darum geht, sie sich einzuverleiben. Und wenn er vor der Kamera ferne Tierschreie ausdeutet als Klang gewordenes Gefühlsspektrum, das von grösster Ekstase bis abgrundtiefer Angst reiche, bemerkt er nicht, wie er damit genau jene Vereinnahmung der Natur betreibt, die anzuklagen er behauptet. Im Tierlaut hört Abram nur wieder das, was er aus der eigenen Gefühlswelt kennt und wofür er über das poetische Vokabular verfügt. Statt Tierwerdung geschieht Antropomorphismus: die Zurichtung der Phänomene auf den menschlichen Massstab.
Doch während uns Abram in seinen Büchern, aber auch hier vor der Filmkamera die Welt simpel macht, indem er sie in lauter angebliche Gegensätze aufteilt – in schöne Natur vs. verblendende Technologie, direkten Kontakt vs. störende Medialität und lustvolle Körperlichkeit vs. dürre Abstraktion – sind die Filmbilder selbst ungleich komplexer und radikaler. Wenn wir in riesenhafter Vergrösserung sehen,
wie eine Schnecke langsam ihre Fühler ausstreckt, sind wir fasziniert, gerade weil das Bild zu denken gibt, statt uns etwas Eindeutiges sagen zu wollen. Der Blick von Mettlers Kamera ist weder naturromantisch verklärt, noch wissenschaftlich sezierend, sondern beobachtet die Vorgänge der Natur als Rätsel, das umso geheimnisvoller wird, je länger man zuschaut. Dass sich die Fremdartigkeit der Schnecke gerade mittels modernster Kameratechnologie zeigt und die dazu passenden Laute aus dem Studio stammen, ist dabei kein Widerspruch, sondern die eigentliche Pointe. Die Technik, so macht der Film damit klar, steht gar nicht im schroffen Widerspruch zur Natur, sondern verbindet sich vielmehr mit ihr. So ist denn die vielleicht faszinierendste Sequenz des Films eine, in der es von der Natur fast nichts zu sehen gibt: Tief in der Nacht spüren der Philosoph und seine Begleitung den Wildtieren nach, die es zu belauschen gilt. Das Bild, würde man meinen, braucht es dazu nicht. Doch Mettler lässt die Kamera laufen und ob des fehlenden Lichts beginnt das technische Gerät alsbald eigene, merkwürdige optische Phänomene hervorzubringen. In der Dunkelheit zeigt die Elektronik ihr eigenes internes Rauschen. Das Bild fängt an zu wabern, kristallisiert und zerfasert in schwarzgrünes Flirren, das unwirklich und körperlich zugleich anmutet – Signalregen, Digitalmoos, Elektronengras. Was 3-D-Kino so oft vergeblich versucht, glückt hier ganz ohne Brille: Der Blick verliert sich in der Tiefe eines Materials, das doch eigentlich niemals da, sondern nur optisches Artefakt war und noch dazu unbeabsichtigt. Wer kann nach solch einer Szene von Technologie noch behaupten, sie sei bloss auf menschliche Kontrolle ausgerichtet, wie es die Voice-over von Emma Davie gegen Filmende noch einmal unterstellt? Haben wir denn nicht mit eigenen Augen gesehen, mit dem eigenen Körper erlebt, wie der filmische Apparat Dinge entstehen lässt, die nie vorgesehen waren und die wir nicht verstehen.
Für ein Tierwerden hat lange vor Abram bereits der französische Philosoph Gilles Deleuze plädiert und dabei etwas ungleich Rätselhafteres gemeint. Nicht ein Abwenden von der angeblich dystopischen Technozukunft zurück zu einem vermeintlich ursprünglichen Naturzustand, sondern vielmehr ein Werden, das auch von solch klaren Dualismen abweicht. Tierwerden meint hier Anderswerden im radikalsten Sinn, ohne eindeutiges Ziel. Technik, gerade auch die Technik des Films, steht zu diesem Anderswerden nicht im Widerspruch, sondern macht daran mit, weil auch die Apparate nie nur das tun, wofür sie angeblich gebaut wurden. Auch der Film und seine Technik ist eine «more-than-human world» – sein andauerndes Anderswerden führt uns über uns selbst hinaus. Peter Mettlers Bilder sind schon so viel weiter, als das Denken hinreicht.