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La Maison

Familiengeschichten: La Maison

Was tun mit einem geerbten Haus? Sophie Ballmer wirft bewegende und zugleich selbstironische Blicke auf ihre Familiengeschichte.

Text: Susanna Bosch / 24. Apr. 2023
  • Regie

    Sophie Ballmer

  • Kamera

    Tarik Hayward

Sophies Partner Tarik erbt ein Haus. Es steht im jurassischen Vallée de Joux und hätte an wohlhabende Leute aus Genf verkauft werden können. Doch Sophie und Tarik sehen das Haus in seinem Potenzial und behalten es. «Ein bisschen Farbe und ihr könnt dort einziehen», stellt die Verwandtschaft fest. Doch stattdessen beginnt das Paar damit, alles bis auf die Grundstruktur niederzureissen. Zuerst die Tapeten und Teppiche, dann die Wände, Böden und Türen. Im Garten sammeln sich demontierte Spülbecken, Toiletten und Radiatoren. Das Inventar eines Hauses, das über 50 Jahre lang von der gleichen Person bewohnt wurde – Tariks Grossonkel.

Sophie Ballmer erzählt augenzwinkernd vom langwierigen Prozess einer in die Zukunft verschobenen Restaurierung, der ein kompletter Rückbau vorausgeht. Dabei scheint es so, als würden die Bilder eher die Erzählstimme begleiten als umgekehrt. Die Aufnahmen zeigen das Haus aus verschiedensten Perspektiven und Winkeln: Mal ganz nah und in bewegten Bildern, dann wieder statisch aus der Ferne. Wackelige Frontalansichten, Aufnahmen aus der Vogelperspektive und Ansichten auf dem Kopf führen langsam und fragmentarisch an den Schauplatz heran. Nach und nach nähern wir uns dem Haus und den Objekten, die ihm innewohnen. Dem Bauschutt und seinem neuen Gewand.

Das gemächliche Tempo der Aufnahmen korrespondiert mit demjenigen des Umbaus. Der Verwandtschaft wäre lieb, würde alles schneller vorangehen. Gerade Sophies Vater schätzt Effizienz und Fortschritt. Tariks Vater nervt alles, was nicht rentiert. Das Projekt des Paars ist geprägt von wandelnden Ideen, vom Hin und Zurück, von Unentscheidbarkeiten. Als sich die Gemeinde an ihrem zugestellten Garten stört, bauen sie als Sichtschutz erstmal einen hohen Zaun um das Grundstück.

Mit Anekdoten rund ums Haus entwirft Sophie Ballmer ein Familienportrait, das die Haltungen und Wünsche mehrerer Generationen abbildet. Dies gelingt ihr nicht zuletzt durch scharfe Beobachtung. Denn ihre knappe, komprimierte Nacherzählung klingt die grossen Fragen an. Mit viel Sprachwitz und Ehrlichkeit erzählt sie zum Beispiel von Tarik, der aus einer Holzbaufamilie kommt, die Bauarbeiten aber ausschliesslich mit Laien durchführen möchte («er hasst Professionelle») oder von dessen Grossmutter und ihrem Anmeldeversuch bei Exit, der an einer unfreundlichen Telefonberatung scheitert.

La Maison ist Sophie Ballmers Filmdebut. «Eine sehr schweizerische Geschichte, die auch ein bisschen karikiert ist», meint die Regisseurin nach der Premiere am Dokumentarfilmfestival Vision du Réel. «Es ist es eine Erbgeschichte aus einem doch recht privilegierten Blickwinkel. Ich wollte aus der Sicht eines Mädchens aus der Schweizer Mittelschicht und gleichzeitig über die Welt dort sprechen. Das Leben auf dem Land. Den verschiedenen Generationen konnte ich mich über Geschichten annähern. Diese sind sehr persönlich, sehr lokal und sehr kulturell. Letztlich wollte ich von dieser Intimität ausgehen.» Ein humorvoller, ehrlicher Film, der von der direkten und persönlichen Erzählweise seiner Autorin lebt.


Der Beitrag entstand im Rahmen einer Exkursion des MA Kulturpublizistik der ZHdK ans Filmfestival Visions du Réel in Nyon.

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