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Anime nere 06

Anime nere

Francesco Munzi hat sich nicht der dramatischen Darstellung der in höchsten Kreisen virulenten politischen Mafia verschrieben. Obwohl sein gewähltes Beispiel nicht davon zu trennen ist, denn die Grundlage für die Makroszenerie bildet sicherlich eine funktionierende Mikroszene.

Text: Erwin Schaar / 27. Juli 2015

Im Juni 2015 war in der «Süddeutschen Zeitung» zu lesen: Rom «wirkt zerfressen und ausgesaugt. Zwischen 2008 und 2013, in den Jahren unter dem postfaschistischen Bürgermeister Gianni Alemanno, war Mafia Capitale so mächtig und ihr Korruptionsnetz so weit gezogen, dass mittlerweile gegen mehr als hundert Personen ermittelt wird, wegen Zugehörigkeit zu einer mafiösen Organisation, wegen Bestechung, Erpressung, Geldwäscherei.» Keine überraschende Meldung aus einem Land, dem mafioses Streben als Agens eingeschrieben scheint. Da muss man sich nur die vielen Filme über die Mafia ins Gedächtnis rufen, um die Eigenheit gesellschaftlichen Lebens in der kine matografischen Kunst zu ermitteln.

Francesco Munzi hat sich nicht der dramatischen Darstellung der in höchsten Kreisen virulenten politischen Mafia verschrieben. Obwohl sein gewähltes Beispiel nicht davon zu trennen ist, denn die Grundlage für die Makroszenerie bildet sicherlich eine funktionierende Mikroszene. Munzi hat den gleichnamigen Roman von Gioacchino Criaco zur Vorlage für seine Bild ererzählung benutzt. Und die hat ihre Mitte in der Schilderung einer Familie, die im kala brischen Dorf Africo ihren Ursprung hat und Opfer ihrer mafiosen Aktivitäten wird. «Africo hat eine grosse kriminelle Geschichte. Das kann viele Dinge in unserem Land verständlich machen. Von Africo aus haben wir einen verständlicheren Blick auf Italien.» (Munzi)

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Die ersten Bilder lassen auf die grosse Welt der Mafia schliessen, denn wir befinden uns in Amsterdam und sind noch etwas irritiert über die Personenkon stellation. Aber unter dem auch durch die musikalische Untermalung eher zwiespältig erscheinenden Personal befindet sich bereits einer der drei Brüder, deren Schicksal die zentrale Geschichte des Films bildet. Dabei wird der Drogenhandel die Aktivitäten erklären, ohne dass er herausragend thematisiert wird. Die Mafiosi mögen eher am Rande damit charakterisiert sein. Von der weltoffenen holländischen Stadt geht es dann schnell nach Milano und dann in das abgelegene Dorf in der Nähe des Aspromonte-Bergmassivs. Meist sind die nicht mehr bewohnten, schon fast zerstörten alten Bauernhäuser zu sehen. Die neuen Bauten, die Kirche eingeschlossen, sind eher Ausdruck eines diffusen Verlangens nach Moderne, aber am untersten Rand ästhetischen Trachtens angesiedelt.

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Der von Amsterdam reisende Luigi ist der Bruder des im Dorf verbliebenen Luciano und von Rocco, der in Mailand einem mafiosen, nicht zu defi nierenden Job nachgeht. Seine intellektuell anmutende Erscheinung wird durch das antikisierende Meublement seiner Wohnung eher zwiespältig charakterisiert. Luigi scheint der international Agierende des Drogenhandels zu sein, während Luciano seine bäuerliche Abstammung nicht als Hindernis für sein weiteres Leben empfunden hat und von der Ziegenzucht lebt. Er scheint der Gute zu sein, der seine Wurzeln nicht verraten hat an ein scheinbar aufregendes Leben, das das Verbrechen und die Grossstadt bietet. Dieses aber ist auch die Wunschwelt seines Sohns Leo, der sich seine Ziele in den Aktionen von Onkel Luigi findet. Diese Konstellationen werden den Niedergang einer Familie bestimmen. Dabei mag die im Dorf ansässige Mafiafamilie von Don Peppe, der Luigis Vater getötet hat, nur das Agens für die Story bilden, die auch nur oberflächlich Entwicklungen erklären und eigentlich keinerlei analytische Vorgaben für die gesellschaftlichen Verhältnisse liefern kann.

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Am Ende der Tragödie einer Familie sehen wir wieder die Ziegenherde am Strand, diesmal nicht vom Besitzer, sondern von einem Verräter getrieben, der den Zusammenbruch einer Familie mit auf dem Gewissen hat und für die Prolongation des mafiosen Treibens mit die filmische Aussage liefert. Die blökende Ziegenherde, immer wieder auffällig im Bild, mag in ihrem ruhelosen Verhalten für menschliche Ansammlungen stehen, deren Aktivitäten diffus und undurchdacht sind, die manipuliert von Alphamenschen den Lebensweg abgrasen.

Der Verrat und das Böse haben wieder gewonnen. Und der Dorfheilige von Africo, dessen steinernes Abbild wie das Treten auf der Stelle anmutet, hat seine Pflicht wieder nicht getan. Auch wenn Luciano den Staub um die Statue zusammenkratzt und ihn gemischt mit seiner Medizin einnimmt. Der wirkungslose Aberglaube korrespondiert mit dem Ende der Geschichte und mit einer möglichen Fortsetzung. Munzi könnte sich an die nächste Story machen, denn es scheint eine never ending Story zu sein, die von unten bis in die höchsten Schichten weiterwuchert.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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