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Als die Sonne vom Himmel fiel

Anhand ihrer Familiengeschichte erinnert die japanisch-schweizerische Regisseurin Aya Domenig an den Abwurf der Atombombe 1945 über Hiroshima. Ihr Grossvater arbeitete damals als Arzt am Rotkreuzspital und pflegte die Überlebenden; Jahrzehnte später starb er vermutlich an den Spätfolgen von innerer Verstrahlung.

Text: Natalie Böhler / 13. Dez. 2015

Anhand ihrer Familiengeschichte erinnert die japanisch-schweizerische Regisseurin Aya Domenig an den Abwurf der Atombombe 1945 über Hiroshima. Ihr Grossvater arbeitete damals als Arzt am Rotkreuzspital und pflegte die Überlebenden; Jahrzehnte später starb er vermutlich an den Spätfolgen von innerer Verstrahlung. Zu Lebzeiten sprach er nie über diese Zeit, denn wer sie nicht erlebt habe, könne das Ungeheuerliche nicht begreifen. So macht sich die Regisseurin auf eine filmische Spurensuche und befragt andere Zeitzeugen. Nebst ihrer Grossmutter kommen auch ein ehemaliger Kriegsarzt und eine Krankenschwester zu Wort, die damals die verstrahlten Kriegsopfer pflegten. Beide sind heute über 90 Jahre alt und engagieren sich resolut gegen das Vergessen der Katastrophe. Trotz Gedenkfeiern werden die Folgen des Atombombenabwurfs in Japan bis heute totgeschwiegen. Die Opferrolle, die den Überlebenden anhaftet, ist gesellschaftlich verpönt und macht es für sie und ihre Nachfahren schwierig, Arbeit und Ehepartner zu finden. Das kollektive Verdrängen wurzelt in der Zeit unmittelbar nach der Katastrophe: Ärzte hatten damals Redeverbot, und die Folgen radioaktiver Strahlung wurden zum Militärgeheimnis erklärt. Der Schutz der Bevölkerung wurde diesem Grundsatz untergeordnet.

Die Archivaufnahmen, die Domenig durch eine sorgfältige Recherche zusammengetragen hat, belegen eindrücklich die damalige Not und das Ausmass der Katastrophe. Durch die Verschränkung mit der persönlichen Familiengeschichte der Regisseurin und mit Zeitzeugenaussagen wirken sie über ihren historischen, dokumentarischen Gehalt hinaus höchst lebendig. Überhaupt ist es nicht eigentlich das Historische, das die Filmemacherin interessiert, sondern der Bogen, der sich in die Gegenwart spannt. Denn ein Jahr nach Beginn der Dreharbeiten geschieht 2011, was niemand ahnen konnte: die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Dadurch stellte sich in Japan sowie auch für die Filmemacherin die Frage, wie der Staat und die Gesellschaft mit der Atomthematik umgehen, auf akute Weise neu. Auch heute noch versucht die Regierung, die Folgen der Strahlung zu verharmlosen. Kritik an der mangelnden Aufklärung der Bevölkerung und der fehlenden Katastrophenhilfe gilt, wie damals nach dem Krieg, als ziviler Ungehorsam und bringt gesellschaftliches Aussenseitertum mit sich. Flüchtlinge aus der Gegend um Fukushima werden, wie damals die Hiroshima-Überlebenden, sozial stigmatisiert. Das Anliegen der Atomkraftgegner wächst dadurch über ein energiepolitisches Engagement hinaus und wird zur sozialen Kritik und zur Forderung nach einer gerechteren Regierung.

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Als die Sonne vom Himmel fiel dokumentiert nicht nur das Brechen des Schweigens, der Film wirkt bei dieser Tat gleich selber mit. Dabei beobachtet und erzählt Domenig stets feinfühlig und mit der angebrachten Balance von Involviertsein und respektvoller Distanz. Zugleich kreist der Film um das Thema des Erinnerns und des Bewahrens der Erinnerung. Das hohe Alter der Hiroshima-Zeugen lässt ihre Aussagen kostbarer und dringlicher werden; die Verknüpfung zwischen den beiden Atomkatastrophen stellt die Frage, wie sich aus der Geschichte lernen lässt. Domenigs Grossmutter indessen, so deutet der Film zum Schluss in einer kurzen, berührenden Sequenz leise an, verstarb kurz nach Beendigung der Dreharbeiten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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