Den Anzug ohne Krawatte, das Hemd zerknittert, oben offen, das Gesicht zerschlagen, aber die Zigarette locker im Mundwinkel und das Billardqueue geschmeidig zwischen den Fingern: das ist Jaeckie Zucker. Halbseidener Zocker und Berliner Lebenskünstler, Spezialität: Hals aus der Schlinge ziehen. Aber bevor er so zur Hochform aufläuft, zeigt ihn Regisseur Dani Levy erst einmal (beinah) am Ende: im Krankenhaus und im traumatischen Koma, aus dem er zurückblickt auf seine womöglich letzten turbulenten Tage.
Ein paar Schnitte später, als Jakob Zuckermann seine jüdische Herkunft leugnet, indem er flapsig behauptet: «mit dem Club habe ich nichts zu tun», wird klar, warum Levy diese künstliche Erzählperspektive wählt: um seine Hauptfigur aus dem Off mit frecher Schnauze eben solche Sätze sagen zu lassen. Jetzt sind die Zuschauer auf der sicheren Seite; nicht nur der Regisseur ist Jude, sondern sogar die nichtjüdische Identifikationsfigur. Von nun an darf gelacht werden, nicht über, sondern mit Juden, wie Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, bemerkt. Levy und Co-Autor Holger Franke schöpfen das gängige Komödienreservoir ziemlich weitreichend aus; ganz gelassen und routiniert. Das Herzstück des Films ist fraglos Jaeckie Zucker, famos verkörpert von Henry Hübchen. Ein charismatischer Antiheld, der alles und alle um sich herum verblassen lässt. Die anderen Rollen sind stark besetzt, gut gespielt, aber schwach geschrieben. Eindimensionale Figuren, die sich kaum entwickeln und wenn, dann abrupt. Eine psychologische Dynamik erzeugen diese Scherenschnittcharaktere nicht. Die komische Triebfeder des Films sitzt höher, an der Oberfläche des kulturellen Zusammenpralls.
Jaeckies Mutter ist gestorben. Ihr letzter Wille war es, auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weissensee begraben zu werden. Vor vierzig Jahren, unmittelbar vor dem Mauerbau, floh sie gemeinsam mit Jaeckies älterem Bruder Samuel in den Westen. Später übersiedelten sie nach Israel. Jaeckie blieb allein zurück. Seitdem hat er Mutter und Bruder nicht wiedergesehen und will auch nichts mehr von ihnen wissen. In der DDR machte er als Sportreporter Karriere, nach der Wende schlug er sich mehr schlecht als recht durch. Ein Spieler in rauchgeschwängerten Bars, Buchhalter eines ostalgischen Freudenhauses. Als das Telegramm seines Bruders eintrifft, steckt er mal wieder mitten im Schlamassel. Er hat sich verzockt, ist bös verprügelt worden, seine Frau Marlene hat ihn rausgeschmissen und will die Scheidung; sein Sohn Thomas, Filialleiter einer Bank, hetzt ihm den Gerichtsvollzieher auf den Hals. Einziges Licht am Horizont: ein hochdotiertes Billardturnier, das Jaeckie zu gewinnen hofft. Doch ausgerechnet jetzt reist sein Bruder mit Frau und Kindern an; zur Beerdigung und um anschliessend – so will es das Testament – gemeinsam mit Jaeckies Familie Schiva zu halten, eine siebentägige Totenwache. Erst hinterher, und nur wenn die beiden Brüder Frieden schliessen, bekommen sie das Erbe. Da selbst Marlene bereit ist mitzuspielen und sich wieder mit ihm versöhnt, lässt sich auch Jaeckie darauf ein. Freilich, sein Billardturnier will er noch immer gewinnen. Kurzerhand täuscht er am Grab seiner Mutter einen Herzinfarkt vor. Aber anstatt ins Krankenhaus geht es ab in die Billardhalle.
Im Stile fröhlichen Boulevardklamauks sorgt Levy für reichlich Durcheinander. Samuels laszive Tochter macht sich an den stotternden Thomas ran, und Jaeckies Tochter outet sich als Lesbe. Leidlich amüsant mäandriert die Cultural-Clash-Komödie so dahin. Da verzweifelt Marlene schon mal an den vielen jüdischen Gesetzen und scheitert kläglich mit ihrem Schnellkursus im Koscher-Sein. Die ganze Schiva wird zum Fiasko: «So koscher wie ein Schweinekotelett», jammert Samuels matronenhafte Frau ins Kopfkissen und macht des lieben Geldes wegen dennoch mit.
Am Anfang dreht sich alles um die Erbschaft, später geht es dann um andere, familiäre Werte. Eine moralische Läuterung, die wohl nicht ausbleiben durfte. Entsprechend pflichtschuldig wird sie abgehandelt. Denn eigentlich interessieren Schicksale in Alles auf Zucker nicht. Die Charaktere sind bloss Vehikel für muntere Dialoge und gutgelaunte Situationskomik. Vom im Vorfeld viel beschworenen jüdischen Alltag bleibt wenig mehr übrig als eine nichtssagende Patina. Ein bisschen «Mischpoche», ein wenig «Massel Tow», die wunderbar ausgelassene, vom jüdischen Klezmer inspirierte Musik, hie und da ein jüdisches Witzchen. Von allem ein bisschen packt Levy in sein Humorallerlei, mal augenzwinkernd, mal plump, nur nie zu kompliziert. Genauso wie Jaeckie «berlinert»: für alle leicht verständlich. Das tut keinem weh, nicht einmal als das Wort «Holocaust» fällt, muss einem das Lachen im Halse stecken bleiben.
Gerade darin aber zeigt sich Levys grösste Errungenschaft. Es gelingt ihm, das Spektrum jüdischer Themen im deutschen Film zu erweitern. Vielleicht muss Alles auf Zucker dafür eine reine, simple Happy-End-Komödie sein, die sich auf keinen ernsthaften Tonfall einlässt. Gut möglich. Als Wegbereiter für neue jüdische Einflüsse im deutschen Kino sollte man den Film jedenfalls im Auge behalten. Für sich genommen bereitet er bestenfalls neunzig Minuten Vergnügen, hinterher darf man ihn getrost vergessen.