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Ad astra szenen ov 04 roy brad pitt

Ad Astra

Eine Heldenreise zum ultimativen Affektbild: James Grays Ad Astra ist kein subtiler Film. Umso besser.

Text: Lukas Foerster / 17. Sep. 2019

Wir befinden uns, teilt eine Texttaffel zu Beginn mit, in der nahen Zukunft. Nah aus einer kosmischen Perspektive zumindest: Die Menschheit existiert noch, und auch die Sandwichladenkette Subway hat überlebt. Die betreibt inzwischen Filialen auf dem Mond, der Mars ist ebenfalls (spärlich) besiedelt und einzelne Expeditionen haben sich noch weiter vorgewagt, an die Ränder unseres Planetensystems. Zu den Sternen strebt man, nicht zur Sonne, den Gravitationskräften trotzend, nicht nur den physikalischen, auch den sozialen, den familiären, den höchstpersönlichen.

Beides gehört stets zusammen im Film: das Kosmische und das Intime, das cinemascopebreite Sternenpanorama und die Träne auf der Wange Brad Pitts, actionreiches Space-Adventure inklusive bissigen Weltraumaffen und schmerzende Erinnerungen an Blicke der Vertrautheit, an Berührungen, die momenthaft die Einsamkeit besiegen. Der letzte derartige Körperkontakt ist allerdings lange her. Der Astronaut Roy McBride (Pitt) geht isoliert, zurückgezogen durchs Leben, selbst wenn er sich ausnahmsweise einmal auf der Erde befindet, gilt: «nicht anfassen». Oben, in der Einsamkeit des Weltalls, wird sein Raumanzug zur Rüstung gegen die Aussenwelt, gegen die Menschen; aber er wird, im Verlauf des Films, auch zum Kokon: zum Medium einer Verwandlung.

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Engültig weg von der Welt und zu den Sternen treibt Roy ein doppeltes, paradoxes Bedürfnis: nach Einsamkeit und nach Nähe. Nach allgemeiner, grundsätzlicher Einsamkeit und nach einer einzigen, spezifischen Nähe. Er sucht, zunächst auf Anordnung seiner Vorgesetzten, aber von Anfang an auch und irgendwann nur noch aus eigenem Antrieb nach seinem Vater, der im Weltall verloren gegangen ist. Dieser Vater, Clifford McCoy (Tommy Lee Jones), ebenfalls ein Astronaut, eine Weltraumlegende, hat den Gravitationskräften getrotzt wie kein anderer, im Namen einer Suche nach dem radikal Anderen. Er ist besessen von einem absoluten Wissensdurst, einer antisozialen Energie, die sich zunächst gen aussen richtete, weg von allem Menschlichen; jetzt aber hat sie die Richtung gewechselt und sich dabei in eine nun offen destruktive, todbringende Kraft verwandelt: Die Erde wird von elektrischen Stürmen heimgesucht, deren Ursprung in der Nähe des Saturns vermutet werden. Eben dort war die Expedition von Roys Vater zuletzt, vor vielen Jahren, gesichtet worden.

Ad Astra ist nicht der erste Film, der sternenferne Exploration und privaten Affekt kurzschliesst. Aber selten fällt beides so sehr in eins wie hier, ohne jegliche allegorische Hilfskonstruktion. Da fliegt einer bis ans Ende des Universums, und am Ende wartet tatsächlich, buchstäblich: Papa. Der Weg dorthin ist trotzdem, wunderbarerweise, eine ganz klassische, lineare Heldenreise. Die nebenbei zu einem Durchgang durch die Ästhetiken des modernen Science-Fiction-Kinos wird. Gleich der Prolog, ein rasanter Sturz in Richtung Erde, evoziert Alfonso Cuarons Gravity. Die rabiaten Feuergefechte auf dem Mond könnten einem Endzeitfilm der Mad Max-Tradition entstammen, werden allerdings durch die geringe Schwerkraft abgefedert, irrealisiert. Nach einem horrorfilmartigen Abstecher zu den erwähnten Weltraumaffen (eine Szene die – eine vermutlich eher zufällige, aber für den gesamten Film instruktive Verbindung – an High Life von Claire Denis erinnert) geht es weiter mit dem Mars, den Regisseur James Gray in die wabernden Farben der entschläunigten psychedelischen Genrekinometaphysik taucht. Ein herrenloser Hund sträunt durch einen gottverlassenen Korridoren, und Ruth Negga hat einen schönen Kurzauftritt – sie ist ein Sternenkind, die einzige Figur im Film, die sich von ihrer irdischen Herkunft emanzipiert hat.

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Am Ende des Wegs schliesslich, im Asteroidengürtel des Saturn, ist Gray dort angelangt, wo er schon mit den ersten Bildern hinwollte: beim hochemotionalen Weltraumexistenzialismus, wie ihn ähnlich effektiv zuletzt höchstens Christopher Nolans Interstellar aufgezogen hat. Dessen Kameramann Hoyte van Hoytema hat auch Ad Astra fotografiert und wie Nolans Film kommt der von Gray letztlich nicht in spektakulären Effekt-Shots zu sich selbst, sondern in Grossaufnahmen von Gesichtern hinter Raumhelmvisieren. Wenn das Gesicht, mit Gilles Deleuze, immer schon eine Grossaufnahme und deshalb immer schon ein Affektbild ist, dann ist das vom Raumhelm gerahmte Gesicht ein potenziertes Gesicht, ein radikalisiertes Affektbild - weil die Schutzhülle gleichzeitig ein Schirm ist, der das Subjekt von der Welt und damit von der Option, Gefühl unmittelbar in Handlung umzuleiten, abschneidet.

Anders und kürzer ausgedrückt: Ad Astra ist nah am Wasser gebaut, besonders am Ende, aber längst nicht nur da. Brad Pitts Voice-Over-Stimme zum Beispiel teilt uns von den ersten Minuten an und dann immer wieder, fast mantraartig, mit, was wir zu fühlen haben: Ich bin allein und will es so, aber es tut weh und insgesheim wünsche ich mir, dass es anders wäre. Das Fantastische daran: Wir fühlen genau das trotzdem, beziehungsweise erst recht. Ad Astra ist kein subtiler Film, aber Subtilität im Kino wird wahrscheinlich grundsätzlich überschätzt. Ein präzise geführter emotionaler Vorschlaghammer ist, das wagt man meist erst anzuerkennen, wenn er einen getroffen hat, allemal effektiver.

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