Alex und Lucie schieben eine Krise: Sie möchte gerne ein Kind, mehr Zeit mit ihm und etwas mehr Beteiligung seinerseits im Haushalt. Das Übliche. Doch Alex steckt fest: Er hat einen Job, ein Engagement und ein einziges Gesprächsthema: der politische Widerstand. Das ist zwar löblich, geht Lucie aber trotzdem auf den Keks. Was Lucie nicht weiss: Alex und sein Freund Fred arbeiten an einem grossen Coup im Kleinen: Nebst der Webseite, über die sie Gegeninformation verbreiten, arbeiten sie schon seit längerem daran, ins Netz einer Finanztransaktionsgesellschaft («ICC») einzudringen, um dort einen Virus einzuschleusen und damit die Wirtschaft und deren Bosse – die sich am bevorstehenden «World Leader Summit» treffen sollen – ins Schleudern zu bringen.
Dazu hat Fred – ein gewiefter Hacker – nach jahrelanger Arbeit ein ausgeklügeltes Programm geschaffen, das Alex, der sich schon seit zwei Jahren als Putzmann im ICC verdingt, dort aufs System laden soll. Der Countdown läuft: Die Sache ist für den folgenden Abend geplant – sie besprechen die letzten Details und begiessen das Ganze mit einem Bier. Schnitt. Das nächste Bild zeigt Alex auf der Intensivstation aus dem Koma erwachen. Er wurde von einem Auto angefahren – seine Erinnerung an die letzten vierundzwanzig Stunden vor dem Unfall ist ausgelöscht.
So die Ausgangssituation des neuen Films von Romed Wyder – einem 37-jährigen Regisseur aus der Westschweiz, der mit seiner letzten locker-jovialen Beziehungsgeschichte Pas de café, pas de télé, pas de sexe (1999), die er im Hausbesetzermilieu von Genf ansiedelte, mehrfach ausgezeichnet wurde. Mit Absolut bezieht er sich zwar in etwa auf dasselbe Ambiente – konstruiert aber darüber hinaus einen beklemmenden und atemberaubenden Thriller vor authentischem Hintergrund. Unschwer lässt sich hinter dem «WLS» das protestumrankte WEF erkennen. Und wenn man von den Absichten der beiden Computerpiraten Fred und Alex erfährt, fühlt man sich vielleicht auch vage an einen Skandal von 2001 erinnert, als topgeheime Dokumente aus dem prominent bestückten Treffen in Davos an die Öffentlichkeit drangen und die Details von Kreditkarten einiger Teilnehmer preisgegeben wurden. Doch zu den Realitätsbezügen später.
Alex hat das Kurzzeitgedächtnis verloren, ist sonst aber unversehrt. Was er nicht weiss, aber bald erfährt, ist: seine Freundin hat ihn definitiv verlassen; er erlitt einen Schwächeanfall und wurde deshalb seinen Job im «Hochsicherheitstrakt» ICC los, und Fred ist spurlos verschwunden. Vor allem aber quält ihn die eine bange Frage: und zwar, ob er seinen «Auftrag» ausführen konnte. Als ihm die Ärztinnen die Möglichkeit anbieten, an einem Forschungsprojekt teilzunehmen, das sich mit der Reaktivierung von Hirnzellen (und damit der Erinnerung) beschäftigt, sagt er deshalb zu. Alex lässt sich die Elektrodenkappe aufsetzen und begibt sich auf den Trip in seine jüngste Vergangenheit.
Was wie Science Fiction anmutet, beruht auf tatsächlichen Forschungsexperimenten: Die magnetische Stimulation von Hirnzellen kann die Aktivität des Gehirns – Denken, Erinnern, Sprechen – beeinflussen und wird für eine klinische Nutzung gegenwärtig getestet. Drehbuchautor Yves Mugny setzte diese medizinisch erzeugten Erinnerungssequenzen in den Dienst der Suspense und flicht sie nahtlos in die «aktuelle» Handlung ein, was ein zunehmend beängstigendes Switchen zwischen real und erdacht, zwischen erinnert und vermutet, zwischen erlebt und befürchtet entstehen lässt. Gleichzeitig arbeitet sich Alex (und wir uns mit ihm) Stück für Stück auf der Terra incognita seiner jüngsten Erinnerung vor.
Zwischen Erinnerung und Gegenwart spielt auch Lucie ihren Part – einmal als Vertrauensperson, einmal als Verschworene eines Komplotts. Ebenso wie Fred, dessen Rolle Alex im Laufe seiner Elektrodensitzungen ebenfalls zu entschlüsseln sucht. Widersprüchliche Varianten von Alex’ subjektiver Wahrnehmung und Erinnerung haben nicht zuletzt auch ambivalente Interpretationen auf Zuschauerseite zur Folge, die bald auf ihre eigenen Rekonstruktionen bezüglich Plot angewiesen sind. Die Ereignisse überstürzen sich und führen zu einem schnellen, spektakulären und doch irgendwie unerwarteten Ende. Doch damit hört der Film nicht auf. Es folgt das eigentlich Spektakuläre: Ein kurzer Epilog, der die Geschehnisse in die Realität zieht und einen Prozess der Reinterpretation der Fakten in Gang setzt. Wie war das genau mit dem WEF 2001 und seinen Computerhackern, und wieso hat man seither nie mehr was von dem Fall gehört …?
Diese ausschliessliche Schweizer Produktion zeugt einmal mehr von der Aufgewecktheit der Filmszene in der französischen Schweiz. Nicht nur das Genre, auch die Bezugnahme auf ein sowohl welt- als auch innenpolitisch so brisantes Thema, das erst noch der jüngsten Vergangenheit angehört, verdienen ausserordentlichen Respekt. Für die eindrücklichen Leistungen der Schauspielercrew können unter anderen Vincent Bonillo in der Rolle des Alex (der in Genève–Marseille von Frédéric Choffat mitspielte), Délphine Lanza als Lucie (die Protagonistin in Attention aux chiens von Christophe Marzal) sowie François Nadin als Fred (bekannt aus On dirait le sud von Vincent Pluss) genannt werden.