Magisch grünes Licht bricht durch die Oberfläche in diese Unterwasserwelt. Und doch es ist kein Meer, durch das die Kamera zu Beginn von The Shape of Water gleitet, sondern eine gewöhnliche Wohnung. Möbel und Gegenstände schweben im Wasser, leuchtende Lampen gar, gerade so, als wären die grossen, hohen Räume eben noch bewohnt gewesen. Und tatsächlich taucht plötzlich eine Frau auf einem Bett auf, auch sie mitten im Raum schwebend. Schlafend. Träumend. Wie in einem anderen, fantastischen Universum.
Guillermo del Toro ist für seinen unkonventionellen Zugang zur Fantastik bekannt. Seit vielen Jahren versucht der bibliophile Filmemacher etwa, H. P. Lovecrafts «Berge des Wahnsinns» zu realisieren. Sein eigener moderner Vampirroman und die nach seinem Drehbuch entstandene Fernsehserie The Strain bürsteten das Genre gegen den Strich – und bedienten dabei umso intensiver die alten Ängste vor dem Fremden, das man in sich selbst zu erkennen glaubt. Vielleicht pflegt der gebürtige Mexikaner auch deshalb seinen Status als Aussenseiter in Hollywood. Die Liebe zu den von der Gesellschaft Versteckten und Verachteten jedenfalls zieht sich als roter Faden durch del Toros Werk. Die Figuren seiner filmischen Arbeiten stammen aus der Literatur, aus Comics, jedenfalls aus Parallelwelten, die sich unaufhaltsam mit der Wirklichkeit überlagern. In Hellboy geht eine solche bizarre Kreatur mit Kiemen, Schwimmhäuten und bläulicher Haut, gespielt vom ehemaligen Schlangenmenschen Doug Jones, auf Dämonenjagd. Auch in The Shape of Water hat Jones eine Rolle übernommen: die eines gefangenen Amphibienmanns, aus dem ein Gejagter wird.
The Shape of Water, bei den Filmfestspielen von Venedig vergangenes Jahr verdientermassen mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, mangelt es seither nicht an Beschreibungen wie «rätselhaft», «magisch», «fantastisch», «bildgewaltig», «opulent». Doch irgendwann im Laufe dieses Films stellt sich die Frage, woher diese Bilder eigentlich stammen. Aus del Toros überbordender Vorstellungskraft? Vom dänischen Kameramann Dan Laustsen, der bereits Mimic und Crimson Peak für ihn fotografierte? Oder entstammen sie nicht eher einer kollektiven Fantasie, die del Toro mit persönlichen Erinnerungen und Reminiszenzen befeuert? Die richtige Antwort müsste lauten: von allen und allem etwas.
Denn zuallererst ist The Shape of Water ein Genrefilm, der mit den Elementen so spielerisch und zugleich so sicher umzugehen weiss, als wäre gar keine andere Kombination möglich gewesen. Es sind die Sechzigerjahre. Die Reinigungsangestellte Elisa arbeitet in einem Hochsicherheitslabor der US-Regierung. Tagein, tagaus geht sie mit ihrer Kollegin und einzigen Freundin Zelda die Böden wischen. Die eine stumm, die andere schwarz. Die weissen Männer hingegen, sie reden, diskutieren, streiten, machen Politik, säen Hass und verbreiten Furcht, als eines Tages ein aus dem Amazonas gefischter Amphibienmann eingeliefert wird. Vor allem seine Atmungsorgane sind für die Wissenschaftler und Militärs von Interesse, erhofft man sich doch im Wettrüsten mit den Sowjets einen entscheidenden Vorteil in der Raumforschung: America first.
In dieser sehr ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen Monster und Mädchen, die beide diesen märchenhaften Vorgaben dann doch nicht so recht entsprechen wollen, stecken unzählige filmhistorische Referenzen: unmittelbar Jack Arnolds Science-Fiction-Klassiker Creature from the Black Lagoon und die Monsterfilme der Fünfzigerjahre, aber ebenso das Genre des Musicals, das Alexandre Desplat mit nostalgischen Chanson- und Walzerklängen heraufbeschwört. Unter Elisas und ihres schwulen Nachbarn Giles Wohnung erstreckt sich ein riesiger Kinosaal in leuchtendem rotem Plüsch, in dem der untergehende Monumentalfilm in seinen letzten Zügen liegt. Vor allem vor dem Zugriff des brutalen Sicherheitschefs Strickland, dem Michael Shannon für ihn gewohnt dunkle Züge verleiht, möchte Elisa das Wesen retten. Strickland, autoritätsgläubiges Familienoberhaupt und selbst ein Gefangener innerhalb der militärischen Hierarchie, bringt der Kreatur seine ganze Abscheu entgegen und darf sich, auch mit elektrischem Folterstab in der Hand, keinen Fehler erlauben. Und doch ist Strickland mehr als blosser Antagonist, der sich hasserfüllt der unerlaubten und deshalb ungehörigen Liebe entgegenstellt: Er ist ein Produkt jener Gesellschaft, die im Nachkriegsamerika die Freiheit des Einzelnen propagiert und zugleich mit eiserner Disziplin unterdrückt. So schliesst auch del Toro die mit einer gross angelegten Befreiungsaktion einhergehende Liebesgeschichte immer wieder mit der US-amerikanischen Realpolitik der Sechzigerjahre kurz. Vieles erinnert hier an del Toros imposanten, in der Zeit der Franco-Diktatur spielenden Pan’s Labyrinth, nur dass The Shape of Water die Fantastik und den Realismus, die dort noch von einem Tor in einem geheimnisvollen Baum voneinander getrennt waren, diesmal ganz eng miteinander verzahnt, die eine Welt mit der anderen ständig in Beziehung treten lässt: das Oben der Aussenwelt mit dem Unten des Bunkers, das strahlende Grün des Wassers mit dem stählernen Grau des Labors, Elisas karg eingerichtete Wohnung mit dem darunter liegenden luxuriösen Filmpalast, in den sich irgendwann das Wasser ergiesst, weil dieses wie die Liebe unaufhaltsam strömt.
The Shape of Water ist ein Film, der das, was er kann und ist, offen zur Schau stellt. Das mag man als Widerspruch zur geheimnisvollen Attitüde, mit der del Toro sein perfekt komponiertes Gesamtkunstwerk schmückt, kritisieren. Doch will er im Gegensatz zu Le fabuleux destin d’Amélie Poulain, mit dem er bereits verglichen wurde, nicht dafür bewundert werden. Das Fabelhafte bei del Toro liegt nämlich woanders: in der Überwindung jeder erdenklichen Grenze. Im festen Glauben, dass ohne Selbstliebe auch keine Empathie für den anderen möglich ist. Das ist nicht rätselhaft, magisch oder gar fantastisch. Das ist die Wahrheit.