Xolani ist Anfang dreissig, ruhig und in sich gekehrt. Er arbeitet als Lagerist im provinziellen Queenstown. Sein wohlhabender Onkel aus Johannesburg übergibt ihm seinen Sohn zur Initiation – weil Kwanda «zu weich» sei. Das traditionelle Beschneidungsritual der jungen Xhosa-Männer soll dies korrigieren. Xolani akzeptiert und erhält ein Bündel Geldscheine dafür. Wenig später nimmt ein «Mediziner» an einem abgelegenen Ort in der Wildnis bei jedem der jungen Männer den schmerzhaften Schnitt vor, wonach die zu Initiierenden laut «Ich bin ein Mann» rufen und dann ihren «Mentoren» übergeben werden. In rund drei Wochen sollen sie in eigens gebauten Hütten genesen und den Prozess des Erwachsenwerdens durchlaufen. Alles, was sie erleben und durchmachen, unterliegt einem Schweigegelübde. Xolani nimmt sich Kwandas an, der sich nur widerwillig dem archaischen Ritus unterzieht. Der sensible Kwanda, der aufgrund seines reichen und urbanen Hintergrunds von den andern als Aussenseiter behandelt wird und ein modernes und aufgeschlossenes Südafrika verkörpert, entdeckt die im Versteckten gelebte Beziehung zwischen Xolani und Vija, einem verheirateten Familienvater. Diese kennen sich seit Kindsbeinen – beide treffen sich aber nur noch anlässlich der «Ukwaluka» genannten Rituale. Kwanda, der selbst eine homoerotische Neigung hat, spricht Xolani offen auf seine Homosexualität an. Als Kwanda dann die beiden im Dschungel nackt und eng umschlungen überrascht, nimmt die Geschichte ihren unvorhersehbar tragischen Verlauf.
Der weisse südafrikanische Regisseur John Trengove präsentiert mit The Wound sein Langfilmdebüt und ein eindringliches Coming-of-Age-Drama. Es thematisiert die Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne, die Findung sexueller Identität und verhandelt Männlichkeit in einer patriarchalen Gesellschaft: Alles brisante Themen auf dem afrikanischen Kontinent. Trengove erzählt aus intimer Nähe und legt viel Wert auf Authentizität: Die Rollen der Novizen sollten alle von Xhosas verkörpert werden, die selbst das Ritual durchlaufen haben. So auch der eindrücklich spielende Hauptdarsteller Nakhane Touré, der eigentlich Sänger ist und in The Wound meisterhaft seine allererste Filmrolle spielt. Nicht zuletzt dank des Films steht der erfolgreiche Musiker mittlerweile auch offen zu seiner eigenen Homosexualität.
John Trengove führte als Recherche für seinen Film viele Gespräche mit «Betroffenen» und kommt zum Schluss, dass dieses Ritual nicht zuletzt dafür gemacht sei, die unter Heranwachsenden verschiedener Ethnien Afrikas tolerierte Homosexualität zu «überwinden» und gleichzeitig zu tabuisieren.
Der Kameramann Paul Özgür schuf für die mit wenig Dialog erzählte Geschichte sehr realitätsnahe Bilder. Er zeigt die Figuren aus der Distanz oder lässt im Dunkel der Nacht oder der Innenräume sich kaum merklich die Silhouetten der Akteure abzeichnen. Körperlichkeit, sei es Sex oder auch Geraufe, fängt Özgür oft aus nächster Nähe ein – kraftvoll, erotisch, aber nie voyeuristisch. Ebenso lässt er in seinen Bildern den Kontrast zwischen althergebrachtem Ritual und Jetztzeit aufscheinen – etwa wenn die Novizen durch den Busch streifen und hinter ihnen die Kühltürme von Atomkraftwerken in den Himmel ragen. Oder wenn Xolani und Vija sich im hohen Steppengras zwischen Starkstrommasten streiten und prügeln, weil Xolani sehr wohl möchte, dass Vija zu seiner Neigung und ihrer Beziehung stünde, Vija dazu aber nur schweigt …
Die Parallelen zu Brokeback Mountain liegen nah: eine konservative Gesellschaft, die zwar kaum einen Namen für diese Art der Anziehung und der Gefühle hat, mit Verurteilungen und Sanktionen aber schnell zur Hand ist, was nicht zuletzt von den «Betroffenen» selbst oft verinnerlicht wird, sodass sie sich eher gegen sich selbst oder andere Homosexuelle wenden als gegen die Zwänge der heuchlerischen Umgebung. Trengove hat aus diesem komplexen Konflikt mit seinem brillanten Erstling ein überaus sinnliches, emotional einnehmendes und fein konstruiertes Drama geschaffen, das überzeugend die widersprüchlichen Facetten der heutigen afrikanischen Gesellschaft in sich fasst.